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SERIEN LEHRJAHRE BEI ... • WORKING AT ...



                                                                          sich, sondern für ein ganzes Gebiet prototypisch sind, zum Beispiel, weil ein noch recht
                                                                          wenig verbreitetes Material wie Dämmbeton ausgelotet wird. Der Dialog im Büro und
                                                                          mit den extrem erfahrenen Fachplanern und Handwerkern hat mir viel Spaß gemacht.
                                                                          Ständig konnte ich etwas dazulernen. Am meisten – und teils auch am schmerzhaftesten
                                                                          – habe ich auf der Baustelle gelernt. Dort bekommen Absolventen schnell zu spüren,
                                                                          wenn irgendetwas zu naiv gezeichnet ist oder wenn man eine der vielen bedeutsamen
                                                                          Kleinigkeiten zu lange außer Acht gelassen hat. Ein paar Mal rief mich um kurz vor sieben
                                                                          Uhr morgens – ich bin Langschläfer – jemand von der Baustelle an. Dringendes Problem.
                                                                          So weiß man schon vor dem Frühstück, dass der Tag nur mit viel Ausdauer zu überstehen
                                                                          sein wird. Bei den Bemusterungen konnte ich viel über Oberflächen und Handwerksme-
                                                                          thoden lernen. Dass man am Ende die Ergebnisse einer so intensiven Zusammenarbeit
                                                                          in der Realität erleben kann, hat für mich etwas sehr Berührendes.

                                                                          r Welche Projekte durften Sie noch angehen?
                                                                          Meine allererste Aufgabe war die Ausführungsplanung für ein kleines Dorfgasthaus mit
                                                                          Laden, von dem alle dachten, dass in sechs Wochen die Bagger anrollen würden. Das
                                                                          Vorhaben landete schlussendlich in der Schublade, aber ich hatte erst einmal riesigen
                                                                          Respekt vor der Verantwortung, die mir übertragen worden war. Für die Atto Suites in In-
                                                                          nichen und den neuen Firmensitz von Beton Eisack in Klausen durfte ich in wichtigen
                                                                          Phasen ebenfalls die Ausführungsplanung betreuen. Auch das waren Dämmbeton-Pro-
                                                                          jekte und noch komplexer als Haus G. Die größten Herausforderungen waren diesmal
                                                                          keine inhaltlichen. Eher ging es darum, den Überblick über das Planungsteam zu behal-
                                                                          ten und die Ziele klar genug zu kommunizieren. Als angehender Architekt voller Ideal-
                                                                          vorstellungen bestand der Lerneffekt aber auch darin, den Moment zu erkennen, an dem
                                                                          man besser von seiner Meinung abrückt und gemeinsam einen vertretbaren Kompromiss
            Haus G (2021) steht auf über 1000 Metern Höhe, ... • House G stands at an altitude of over 1000 meters.  entwickelt. Erstaunlicherweise kam das Studium an der Hochschule für Technik in Stutt-
                                                                          gart in diesem Aspekt recht nah an die Planungsrealität heran.
            ... 75 Zentimeter starker Dämmbeton dient als thermische Hülle. • Thermal envelope: thick insulating concrete
            as                                                            r In Deutschland wird ein immer größerer Fachkräftemangel beklagt. Wie haben Sie
                                                                          das viel gepriesene Knowhow der Handwerksbetriebe im alpinen Raum erlebt?
                                                                          Einen Fachkräftemangel gibt es in Südtirol auch. Aber noch lebt die jahrhundertealte Tra-
                                                                          dition vieler Gewerke weiter. In vielen Tälern hat man sich auf bestimmte Gewerke spe-
                                                                          zialisiert, das Wissen über Jahrhunderte weitergegeben und weiterentwickelt. Spürbar
                                                                          ist ein unglaublicher Innovationsdrang selbst in den kleinsten Handwerksbetrieben. Auch
                                                                          als regionaler Betrieb will man gegenüber der globalen Industrie bestehen können. Es
                                                                          kommt mir so vor, als entstünden gerade aus diesem Wettbewerb die beeindruckendsten
                                                                          Dinge. Da kreiert ein Tischlermeister bessere und schönere Fenster als die dutzendköp-
                                                                          fige Entwicklungsabteilung so manchen internationalen Herstellers. Oder ein Schmied
                                                                          schmilzt im selbst gebauten Ofen Erze und verarbeitet diese zu hauchdünnen Blechen.
                                                                          Die Tradition ist ein mächtiger Heimvorteil. Bewegende Neuentwicklungen oder Rückbe-
                                                                          sinnungen brauchen aber auch einen sinnvollen Anlass, nämlich konkrete Projekte. So
                                                                          liegt es wie überall an ArchitektInnen und AuftraggeberInnen, das Handwerk zu fordern
                                                                          und zu fördern. Aus meiner Perspektive ist es unglaublich schön, in aller Freiheit neue
                                                                          Architektur denken zu können und zu wissen, dass es erfahrene, motivierte Teams gibt,
                                                                          die diese fast immer bauen können, auch wenn das ein Stück Pionierarbeit bedeutet.

                                                                          r Sie kümmern sich seit einiger Zeit um die Öffentlichkeitsarbeit des Büros. Was zählt
                                                                          für Sie alles zu dieser Aufgabe dazu?
                                                                          Ich kümmere mich im Wesentlichen um die Website, informiere die Medien über fertig-
                                                                          gestellte Bauten, beantworte Presseanfragen und betreue die Einreichungen von Projek-
                                                                          ten zu internationalen Awards. Inzwischen durfte ich auch deutsch- und englischspra-
                                                                          chige Werkvorträge für das Büro halten. Ein Privileg ist es, dass ich von dort so viel Lob
                                                                          für die Arbeit von pedevilla architekten mitnehmen und in Bruneck ausrichten kann. Sol-
                                                                          che Erlebnisse motivieren umso mehr für die Projektarbeit, die ja nicht immer einfach ist.

                                                                          r Und was zieht Sie, abgesehen vom Büro, immer wieder ins Pustertal?
                                                                          Kurz gesagt: Die Landschaft, die Menschen und der Lebensstil. Bruneck strahlt für seine
                                                                          überschaubare Größe etwas ziemlich Städtisches aus. Auf dem Weg zur Arbeit, wenn
                                                                          man durch die Altstadt unterhalb des Schlossberges geht, trifft man jeden Tag fünf bis
                                                                          zehn Bekannte. Man grüßt sich – mittlerweile im Dialekt – hat ein Stammcafé und wird
            Fotos: Gustav Willeit                                         ritivo-Kultur, wie man sie aus Italien kennt, und wunderbares Essen. Und über all dem
                                                                          schnell heimisch. Verabredungen funktionieren auch noch ohne Handy. Es gibt eine Ape-

                                                                          thront die Berglandschaft. Sie ist herrlich, eine eigene Welt. Es wird es nie langweilig.

            040 • AIT 1/2.2023
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