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WOHNEN • LIVING
WOHNEN MIT MORRIS
IN STUTTGART
Entwurf • Design The Baukunst Dynamites, Stuttgart
Während in der Moderne noch das Paradigma der Funktionstrennung
galt, stehen im Mittelpunkt zeitgemäßer Bauaufgaben immer wieder
Systeme aus temporären, flexiblen und hybriden Raumgefügen. Mit
ihrem experimentellen Monospace „Wohnen mit Morris“ tragen The
Baukunst Dynamites zu diesem Paradigmenwechsel bei und demon-
strieren, wie weiche Wände mit ihren Transparenzen und Überlage-
rungen immer wieder neu anpassbare Wohnszenarien erzeugen.
von • by Janina Poesch, Stuttgart
D icht besiedelte Metropolen sind oft attraktiv, erschwinglicher Wohnraum jedoch
knapp. Dementsprechend muss er clever genutzt werden – eine Aufgabe, der sich
The Baukunst Dynamites gerne widmen: Das international tätige Gestaltungskollektiv an
der Schnittstelle von Architektur, Design, Kunst und Theorie denkt den urbanen Wohn-
raum weiter und beweist mit seinem aktuellen Projekt, wie Wohnen auf kleinstem Raum
zeitgemäß interpretiert und Mietwohnungsraum für dicht besiedelte Städte nachhaltig
nutzbar gemacht werden können: Unter der Leitung von Sarah Behrens und Ina Westhei-
den transformierte das Team eine Zweizimmerwohnung in einem Geschosswohnungsbau
der 1930er-Jahre im Stuttgarter Süden mit winzigen, monofunktionalen Räumen in einen
großzügigen, multifunktionalen Raum mit flexiblem Grundriss. Um die 36 Quadratmeter
große Fläche voll ausschöpfen zu können, lassen sich dabei alle Funktionen des täglichen
Lebens variabel zu- oder wegschalten. Hierfür liegen Arbeiten, Wohnen, Kochen, Essen,
Duschen und Schlafen auf etwa zehn Quadratmetern der Gesamtfläche entlang der Au-
ßenwände – wobei die Bereiche einzeln (oder gemeinsam) zu der 26 Quadratmeter gro-
ßen, funktionsleeren Fläche in der Raummitte gezielt ergänzt oder weggenommen wer-
den können. So kann sich die Bewohnerschaft an einem 28 Quadratmeter großen Bad,
Arbeits-, Wohn-, Ess- und Schlafzimmer oder einer Küche erfreuen – ohne eine 168 Qua-
dratmeter große Wohnung unterhalten zu müssen. Die umlaufenden, textilen Wände, die
diese Mehrfachbelegung ermöglichen, lösen sich dabei in verschiedene Schichten, von
opak bis transparent, auf und legen Objekte und Möbel nach Bedarf nacheinander oder
auch parallel frei. Die äußerste opake Schicht – der Vorhangklassiker Willow Bough von
William Morris aus dem Jahr 1895 – prägt in vier unterschiedlichen Farbtönen den Raum
wesentlich und wirkt mit seinem Ornament aus stilisierten Blattmotiven als raumauflö-
sendes Element. Mit nur wenigen Handgriffen lässt sich das Erscheinungsbild des Mono-
space damit nicht nur visuell schnell verändern, sondern sich die neue Wohntypologie
ebenso an die unterschiedlichsten Bedürfnisse der hier lebenden Personen anpassen.
072 • AIT 7/8.2021