Page 31 - AIT0423_Leseprobe
P. 31
Entwurf • Design Steinbauer architektur+design, AT-Wiener Neustadt;
Kaltenbacher Architektur, AT-Scheiblingkirchen
Bauherr • Client Immobilien Linz GmbH, AT-Linz
Standort • Location Peter-Behrens-Platz 4, AT-Linz
Nutzfläche • Floor space 9.300 m 2
Mehr Infos auf Seite • More infos on page 142
Das neue Treppenhaus inszeniert alltägliche Bewegungsabläufe. • The staircase for everyday motion sequences Veranstaltungs- und Forschungsräume im 1. Obergeschoss • Event- and research rooms on the first upper floor
von • by Oliver Steinbauer, AT-Wiener Neustadt
D as denkmalgeschützte, nach Plänen von Peter Behrens (1868–1940) und Alexander Form ebenfalls durch den Abbruch in den 1960er-Jahren unwiderruflich verloren ging,
Popp (1891–1947) in den 1930er-Jahren als Tabaklager errichtete Haus Havanna liegt
findet. So unterstreichen das subtile Zusammenspiel der verwendeten Baumaterialien
nahe der Donaulände und ist Teil des Industrieensembles der Tabakfabrik Linz. Vor etwa und die Gliederungen der Fassade die charakteristische Anmutung der ehemaligen Ta-
60 Jahren wurde das Speichergebäude aufgestockt und der Freiraum zwischen den Ma- bakfabrik Linz. Der Innenraum profitiert von der außergewöhnlichen Fassadengestal-
gazinen überbaut. Nach Abbruch aller nicht denkmalgeschützten Bauteile im Jahr 2017 tung. Die durch die Streuung der Glasbausteine entstehende Lichtstimmung verleiht den
stand einer Wiederbelebung des Bestandes nichts im Wege: Ein EU-weites Vergabever- Räumen einen einzigartigen Charakter, unabhängig von ihrer Nutzung. Der neu geschaf-
fahren zur Ideenfindung sollte dem weitgehend unbelichteten Bau durch eine neue Fas- fene Treppenturm im Inneren schafft eine introvertierte Atmosphäre vor dem Eintritt in
sadengestaltung und eine Neukonzeption des Innenraums wieder Leben einhauchen. die offen und individuell gestalteten Büro- und Bildungsflächen. Zwei gegenläufig ange-
ordnete, einläufig eingespannte Sichtbetontreppen überwinden jeweils die Höhe eines
Wiederbelebung durch einen gläsernen Fassadenvorhang gesamten Geschosses. Durch die zusätzlich abgetreppte Untersicht der Treppen entsteht
ein Eindruck, der an eine Lithografie von M. C. Escher erinnert. Die Geländerkonstruktion
Das Credo der Revitalisierung ist, die ausgewogene Balance des Industriedenkmals von reduziert sich auf massive Rundstahlstäbe, die mittels Hunderter Kernbohrungen direkt
Peter Behrens trotz eines neuen Fassadenstatements nicht in seiner starken Präsenz zu in die Stiegenläufe verankert wurden. Die identitätsstiftenden Rundverglasungen als Re-
schwächen, sondern durch ein stimmiges denkmalpflegerisches Konzept zu ergänzen. miniszenz an die vielen Bullaugenfenster im Fabrikgelände wurden exakt auf Höhe der
Der Hauptakteur ist – aus den Anfängen des 20. Jahrhunderts stammend und als Ele- Kreuzungspunkte der Treppenläufe positioniert. So ermöglichen sie Einblicke und Aus-
ment der Neuen Sachlichkeit geltend – der Glasbaustein. So ermöglicht diese Material- blicke aus besonderen Blickwinkeln des Magazins.
wahl eine maximale Lichtausbeute im Inneren des ehemals dunklen Tabakspeichers.
Der gläserne Fassadenvorhang besteht aus 70.000 Glasbausteinen und erstreckt sich Materialwahl als Referenz zur früheren industriellen Nutzung
über sechs Geschosse mit einer Fläche von über 1800 Quadratmetern. Um der vorherr-
schenden Behrens‘schen Gliederung zu entsprechen, verschwinden alle tragenden Stahl- Der Materialkanon im Innenraum differenziert sich von der Erscheinung der Erschließung
konstruktionen im Inneren der Glasbausteinfugen und werden ausschließlich horizontal mit schwarzem Stahl und grauem Beton sowie den individuell gestalteten Regelgeschos-
in Form von tragenden Fensterbändern sichtbar. Die Stahlfenster gliedern sich wiederum sen. Diese orientieren sich an dem Achsraster der Bestandsarchitektur. Der Grundriss re-
im vorgegebenen Raster der denkmalgeschützten Betonskelettstruktur und ermöglichen duziert sich auf die im Zentrum liegende infrastrukturelle Versorgung. In den unbelichte-
durch eine Schwingflügelöffnung, ebenfalls ein Zitat des historischen Vorbilds, eine na- ten Stirnseiten wurden vier neue Sanitärzonen geschaffen. Der Zwischenraum wird von
türliche Belüftung. Als klare Kontur zwischen Bestehendem und Neugeschaffenem wird den NutzerInnen der Geschosse individuell bespielt und gestaltet. So entstanden im Erd-
die gesamte Glasbausteinfassade von einem schwarzen Stahlband umschlossen, das geschoss die erste Schule Österreichs für digitalen Humanismus, im ersten Obergeschoss
seinen Abschluss in einer neuen Vordachkonstruktion, welches in seiner ursprünglichen Veranstaltungs- und Forschungsräume und in den weiteren Geschossen Büroflächen.
AIT 4.2023 • 131