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BANKEN UND BEHÖRDEN • BANKS AND AUTHORITY BUILDINGS   THEORIE  •  THEORY


                                                               Brüstungen und Treppenläufe prägen den siebengeschossigen Raum. Sie münden in der markanten
                                                               „Krone“ des Gebäudes, dem großen Oberlicht im Dach. Im Empfangsbereich lässt sich außerdem das
                                                               grundlegende Materialisierungskonzept des Gebäudes erkennen: Naturstein (Vert de Salvan, wie bei der
                                                               Fassade), Sichtbeton, Eichenholz und schwarz gefärbtes Metall. Die Gebäudetrakte erhalten durch die
                                                               angrenzenden begrünten Innenhöfe einen spezifischen Charakter. Zur Fassade orientierte Erweiterungen
                                                               der Korridorzonen als Coffee- und Meeting-Points dienen der einfachen Orientierung in den einzelnen
                                                               Gebäudetrakten und als zentraler Treffpunkt der Abteilungen. Eine Kombination aus offenen Strukturen
                                                               und Einzel- sowie Gruppenbüros ermöglicht flexibel konzentriertes oder gemeinsames Arbeiten. System-
                                                               trennwände aus Glas mit Eichenholztüren unterstützen dabei die informelle Kommunikation, separieren
                                                               aber auch bei Bedarf die einzelnen Abteilungen. Die Mittelzonen mit den Kernbereichen zeigen ebenfalls
                                                               das reduzierte Materialisierungskonzept. Auch hier sind Sichtbeton und Eichenholz prägend. Individuell
                                                               angepasste Ausbauten für spezielle Nutzungen, beispielweise für das Forensische Institut, die Zürcher
                                                               Polizeischule oder die kantonale Einsatzzentrale, setzen die Art und Flexibilität des Bürokonzeptes fort
                                                               und werden um spezifische Einrichtungen ergänzt. Der Zürcher Polizeischule stehen in den Oberge-
                                                               schossen verschiedene Unterrichtsräume, verglaste Gruppenarbeitsräume und eine gemeinsam genutzte
           „Raum der Stille“, der allen Nutzern zur Verfügung steht • „Room of silence“ for all users  Polithek zur Verfügung. In den Untergeschossen sind eine Turnhalle, Dojo-Räume, ein Fitnessraum und
                                                               die dazugehörigen Garderobenbereiche geschossübergreifend durch großzügige Verglasungen räumlich
                                                               zu einer „Sportwelt“ vernetzt. Sie besitzt den Materialkanon des übrigen Gebäudes. Gleiches gilt für das
                                                               Forensische Institut, für das eine neue Arbeitswelt entwickelt wurde. Die hochtechnisierten Labore sind
                                                               mittig um die Betonkerne angeordnet und können durch die technische Erschließungsebene im erhöhten
                                                               Dachbereich flexibel angeordnet und mit unterschiedlichsten Medien ver- und entsorgt werden. Sie sind
                                                               weitestgehend verglast und erhalten damit ebenso natürliches Tageslicht wie die offenen Büro- und
                                                               Werkarbeitsplätze entlang der Fassade, die die Laborbereiche unmittelbar umschließen.

                                                               Das Gefängnis – integriert und separiert

                                                               Das Gefängnis zeigt – resultierend aus seinen spezifischen Anforderungen – eine andere Gestaltung. Rück-
                                                               wärtig zu den Gleisen orientiert ist das „Gefängnis Zürich West“, ein vollständig integrierter Bestandteil
                                                               des Gebäudevolumens, aber funktional ebenso vollständig vom restlichen Gebäude separiert. Die Ver-
                                                               bindung zu Polizei und Staatsanwaltschaft erfolgt über den zentralen Vernehmungsbereich, der entlang
           Spurenanalyse im Forensischen Institut • Trace analysis at the Forensic Institute  des gesamten Gefängnisses als Schleuse zwischen Untersuchungshaft und Strafverfolgung ein zentrales
                                                               Ziel für das PJZ erfüllt: Während zuvor Häftlinge, Polizisten, Anwälte, Zeugen oder Dolmetscher weite
                                                               Wege in der gesamten Stadt zurücklegen mussten, wird nun der gesamte Vernehmungsprozess fokus-
                                                               siert an einem zentralen Ort abgewickelt. Erschlossen wird das Untersuchungsgefängnis über einen
                                                               eigenen Eingang und umfasst vier nahezu identische, aber weitgehend voneinander getrennte Module.
                                                               Jedes Modul enthält rund 40 Zellen, die abgewandt von den Außenfassaden jeweils um einen begrünten
                                                               Innenhof organisiert sind. Aus den Erkenntnissen des modernen Strafvollzugs resultiert mit Parkettbelag
                                                               und hell gestrichenen Wänden und Decken eine unerwartet „wohnliche“ Gestaltung der meisten Zellen;
                                                               die Fenster mit schmalem Öffnungsflügel sind großflächig verglast und bis auf wenige Ausnahmen nicht
                                                               vergittert. Darüber hinaus gibt es eine Vielzahl von speziellen Zellen und Räumen, wie sie ein Gefäng-
                                                               nisbetrieb verlangt. Aus der innerstädtischen Lage resultiert die Anordnung der Spazierhöfe, welche sich
                                                               auf dem Dach oberhalb der Zellentrakte befinden.
                                                               „Gegenwelten“ – Gemeinschaftsräume mit differenzierter Gestaltung


                                                               Die Arbeit von Polizei und Justiz ist intensiv und oftmals auch stark belastend. Die gemeinschaftli-
           Die Sportbereiche: für Polizei (oben) und Gefangene (unten) • The diffent sports areas  chen Räume wie auch die begrünten Außenräume sind deshalb in ähnlicher Materialisierung wie die
                                                               „Arbeitswelt“, jedoch räumlich differenzierter konzipiert. So setzt die organische Gestaltung der Innen-
                                                               höfe mit verschiedenen Grünräumen und mit einer starken Bildhaftigkeit einen bewussten Gegensatz
                                                               zur Härte des Baukörpers. Der Gastronomiebereich im Erdgeschoss, der am Atrium angeschlossen ist,
                                                               nimmt diesen Ansatz auf und verstärkt durch seine weichen organischen Formen den bewussten Kon-
                                                               trast zur Großform des Gebäudes. Natürliche Belichtung über verglaste und üppig bepflanzte Lichthö-
                                                               fe, geschwungene Möbelelemente, Holzverkleidungen und Naturstein schaffen einen besonderen Ort
                                                               für das Restaurant, aber auch eine zentrale Aufenthalts- und Begegnungszone abseits der Arbeitswelt.
                                                               Gleiches gilt für den ganz in Holz ausgebauten „Raum der Stille“, der im Zentrum des Gebäudes allen
                                                               Nutzern zur Verfügung steht. Auch der zentrale Konferenzbereich bietet ein besonderes Raumerlebnis:
                                                               Über Haupteingang und Atrium bildet er den oberen Abschluss des Gebäudes, städtebaulich und archi-
                                                               tektonisch markant. Empfangen von einer großzügigen und hohen Foyer- und Begegnungszone mit
                                                               Loungemöblierung eröffnet sich ein weiter Blick auf die Stadt, flankiert von den verglasten und flexibel
                                                               einteilbaren Konferenzräumen. Das Polizei- und Justizzentrum Zürich ist das erste derartige Gebäude in
                                                               der Schweiz. Schon während der Planungszeit entstanden in anderen Kantonen Überlegungen zu ähnli-
                                                               chen Zentren, und inzwischen folgten diverse Wettbewerbe. Nach den positiven Erfahrungen in Zürich
           Weitere Bilder zum Projekt siehe S. 50 • For more pictures of the project see p. 50  dürfte das Konzept also auch an anderen Orten Schule machen.

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