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REDINGS ESSAY
                       DER VATER, DAS HAUS




                                        UND DIE BANK





                                                             Ein Essay von Dominik Reding





            D   as Grundstück duftete. Schon von Weitem konnte man es riechen: nach Holunder-  gangssaal, Küchensaal, ein Treppenschacht wie für ein Hotel, ein Kamin so groß wie der
                                                                          Parade-„Fireplace“ im Buckingham Palace. Mit schmalen Lippen ging der Vater zurück
                büschen, nach Butterblumen und wild wucherndem Efeu. Versteckt lag es hinter
            windschiefen Mauern. Auf einem Spaziergang kam der Vater am Grundstück vorbei.  zum Auto. Die Mutter redete freudig von Gartenplanung, von Zitronenbäumchen auf der
            Seine drei Kinder wollten mal „einen anderen Weg“ gehen und quengelten. So ging der  Terrasse, von Phlox und Goldregen und Cotoneaster. Der Vater schwieg. Und das Haus
            Vater den anderen Weg und sah das Schild an der Mauer: ZU VERKAUFEN. Und das  gehörte: der Bank. Im Winter, klar und kalt, zogen sie ein. Der Vater hatte neue Kredite
            Grundstück gehörte: der Bank. Der Vater berichtete der Mutter, nachher in der Mietwoh-  erfleht und sie bekommen. Zu anderen Zinsen. „Veränderte Marktlage“, hatte der Filial-
            nung, am Küchentisch. Das Abendessen dampfte. Ein Grundstück am Hang, mit Blick auf  leiter erklärt, diesmal ohne jovialen Händedruck. Die Familie lief um den Kamin, sich an
            die Stadt und drei alten Kastanienbäumen! Die Kinder riefen: „Ja, da wollen wir hin!“  den Händen haltend, der Vater rief „Wir haben es geschafft!“ Überlaut, wieder und wie-
            Und bis spät in die Nacht hörten sie die Eltern noch reden: „Platz zum Arbeiten, Platz für  der. Ein Echo wie in einer Tropfsteinhöhle. Die alten Möbel verloren sich in den Sälen.
            die Kinder, Garten zum Spielen“, noch später: „Einkommen... Erspartes … Kredit … viel-  Der Ölpreis stieg auf das 30-Fache. „Ölkrise“ nannte es die Presse. Der Tank blieb leer in
            leicht … vielleicht …“ Und das Grundstück gehörte: der Bank. Der Vater sprach mit der  jenem Winter. Die Familie hockte in Decken vor dem brennenden Kamin. Ein Glück, dass
            Bank. Der gut frisierte, gut im Maßanzug gekleidete Filialleiter sprach von Geldanlage,  er so groß war. Und das Haus gehörte: der Bank. Vater machte keine Spaziergänge mehr.
            von günstigen Zinsen, von Altersvorsorge, von Vermögensbildung und gewährte, „groß-  Er saß in seinem kalten Arbeitszimmer, bis tief in die Nacht. Schlich dann morgens heim-
            zügig“, wie der mit jovialem Händedruck be-                                                lich zum Postschlitz, steckte die Mahnungen
            tonte, Kredit. „Bauen Sie! Für Sich, Ihre Frau                                             und Bankbriefe eilig ein. Die Mutter bestellte
            und Ihre drei Söhne!“ Und das Haus gehörte:                                                Gartenpflanzen, für ein halbes Jahresgehalt.
            der Bank. Spät kehrte der Vater heim. Und                                                  Die Kinder hörten den Streit aus dem Flur.
            ging mit seinen Kindern spazieren, in der                                                  Und das Haus gehörte: der Bank. Die Kinder
            Dämmerung. Er wanderte über das Flüsschen                                                  wuchsen, lernten, übten Flöte und Klavier,
            in den Wald und röstete über dem Reisigfeuer                                               betranken sich das erste Mal, schauten in
            Kartoffeln. Er lachte und scherzte nicht wie                                               ihren Zimmern verbotene Filme im Spätpro-
            sonst und schwieg auf dem Rückweg. Nachts                                                  gramm. Der älteste Sohn liebte seine erste
            unterschrieb er den Vertrag. Am Küchentisch.                                               Frau, draußen im Garten, unter den früchte-
            Und das Grundstück gehörte: der Bank. Die                                                  schweren Kastanienbäumen. Der Vater sah
            Eltern kauften „Schöner Wohnen“ und „Zu-                                                   es, ging, den Kopf gesenkt, zurück in Haus.
            hause“ und überlegten und planten und                                                      Und das Haus gehörte: der Bank. Der Bahn-
            träumten, skizzierten mit dem Bleistift auf Ser-                                           damm brannte. Ein rotes Glühen hinter den
            vietten, Telefonbüchern, Notizblöcken: Eine                                                Gartenmauern, Flammen bis zu den Baum-
            Schiebewand, eine Pantry, eine Loggia, einen                                               kronen. Großeinsatz der Feuerwehr. Die Mut-
            Kamin. Sie suchten einen Architekten und fan-                                              ter lief mit nassen Tüchern um das Haus.
            den ihn. Und das Haus gehörte: der Bank.                                                   „Wie im Krieg“, sagte sie. Und das Haus ge-
            „Ein Wohnhaus, mehr Villa, mit Galerie“,                                                   hörte: der Bank. Das Haus wurde eine Villa in
            sprach der Architekt und zeigte die Entwürfe: Foto-Grafik: „Familienkreise“ von Benjamin Reding  Brasilia. Für eine kurze, warme Sommer-
            Wohnebene, Schlafebene, Studio, Schwimm-                                                   nacht. Die Eltern waren verreist. Alle Freunde
            bad und Steingarten. „Kein Garten, eher ein                                                luden die jugendlichen Söhne dazu ein, lie-
            Park“. Und berechnete: Jede Skizze, jeden Git-                                             ßen die Musik schallen, hart und laut, öffne-
            terrost vor den Kellerfenstern, jede Treppen-                                              ten die Terrassentüren, Zimmertüren, mach-
            stufe, jede Deckenlampe. „Ein Traumhaus wie in Hollywood“, staunte die Nachbarin.  ten alle Lampen an, hingen Segeltücher über die nie genutzten Balkons. Und verwischten
            „Ein Albtraum“, sagte der Vater, der Kredit war verbraucht. Und das Haus gehörte: der  am Morgen der elterlichen Rückkehr alle Spuren. Und das Haus gehörte: der Bank. Der
            Bank. „Schlüsselfertig!“ In der Tageszeitung sah der Vater die Anzeige. „Hausbau. Schlüs-  älteste Sohn heiratete, zog aus, ihm folgten, Jahr nach Jahr, seine Brüder. Der Vater
            selfertig!“ 100-Quadratmeter-Haus, 200-Quadratmeter-Haus, 250-Quadratmeter-Haus –  schaute nun Fernsehen, oft tagelang, die Mutter ging wieder mehr in die Kirche. Moos
            für je so und so viel. FESTPREIS! „Das ist es!“, rief der Vater erleichtert und telefonierte.  wuchs auf den Terrassen, das Kaminholz verfaulte. Die drei Kastanien wurden gefällt. „Es
            Der Vertreter der Hausbaufirma kam sofort, mit Aktentasche und Plänen, schenkte den  ist so dunkel im Haus“, erklärte die Mutter. Und das Haus gehörte: der Bank. Der Vater
            Kindern Süßigkeiten, lachte, scherzte, sprach, wieder und wieder, vom „Festpreis“, von  sagte, er könne nicht mehr gehen. Er bekam einen Rollstuhl. Der Vater sagte, er müsse
            günstiger Ölheizung, von bequemer Ratenzahlung und präsentierte die Hausvarianten  sich hinlegen. Er bekam ein Bett im Erdgeschoss. Die Mutter sagte, sie schaffe das Ko-
            „Nizza“, „Ruhesitz“, „Familienglück“: Brave, kleine Eigenheime mit Satteldach und Glas-  chen, das Putzen, das Aufräumen nicht mehr. Ein Pflegedienst kam. Und das Haus ge-
            bausteinen. Der Vater unterschrieb. „Jetzt bauen wir ein Haus!“ Und gönnte sich einen  hörte der Bank. Der Vater erhielt einen Brief von der Bank. Die letzte Rate sei gezahlt. Der
            Whiskey danach. Seine Hände zitterten. Und das Haus gehörte: der Bank. Der Vater be-  Vater lächelte. Das Haus gehörte ihm. Nach der Beerdigung ging der Sohn spazieren. An-
            suchte die Baustelle. Die Familie kam mit. Die Mutter posierte als „Schlossherrin“ über-  dere Wege. Auf einem schmalen Rasengrundstück stand ein Schild: ZU VERKAUFEN. Er
            stolz und bester Laune vor der Rohbau-Eingangstür, die Kinder spielten im Baustellen-  überlegte. Sein Gespartes könnte reichen und vielleicht mit einem Kredit …
            sand, der Vater betrat das Rohbau-Dunkel. Das Haus war riesig. Wohnzimmersaal, Ein-  Und das Grundstück gehörte: der Bank.

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