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Carl Pruscha und Quirino De Giorgio
Nach der Schwemme an neuen Büchern zum Thema Bauhaus, die das Jubiläumsjahr bruck, Architekturstudium in den 1950er-Jahren in Wien, dann Städtebaustudium in Har-
2019 mit sich gebracht hat, wollte man als Leser schon fast kapitulieren! Es schien, als vard und erste Berufserfahrungen in New York, bevor er 1964 von den Vereinten Natio-
habe die Geschichte der Architektur tatsächlich 1919 in Weimar zugleich ihren Höhe- nen nach Nepal geschickt wird, um hier als „Experte“ den Aufbau des Landes zu koor-
punkt und ihr Ende erreicht. Es tat einem regelrecht leid um die viele Arbeit der Autoren dinieren. Natürlich scheitert Pruscha mit seinen großen Plänen an korrupten Beamten!
und das viele bedruckte Im Geheimen baut er allerdings für sich
Papier. Hätte man diese selbst ein kleines Architekturbüro auf und
Ressourcen nicht sinnvol- entwirft im Stile Louis Kahns einige der
ler einsetzen können? schönsten modernen Bauten des Landes.
Dass es spannende Ge- Dazu kommen – es sind die 1960er-Jah re –
schichten und Biografien reichlich Drogenerfahrungen. Nach Ablauf
auch jenseits des Bau- des UN-Mandats wird Pruscha aus dem
hauses und seiner Prota- Land geworfen und beginnt in Wien eine
gonisten zu entdecken zweite Karriere als engagierter Architektur-
gibt, dafür stehen in der lehrer. Auch die Biografie Quirino De Gior-
aktuellen Büchersaison gios ist nicht ohne Brüche. Wie könnte sie
vor allem zwei Titel: Aus es auch sein, umspannt sein Leben – von
dem Lars-Müller-Verlag 1907 bis 1997 – doch fast das gesamte 20.
kommt die wunderbare Monografie zu Leben und Werk des österreichischen Architekten Jahrhundert! Mehr als 60 Jahre davon hat
Carl Pruscha mit dem treffenden Untertitel: „Ein ungewöhnlicher Architekt“. Bei Park De Giorgio vor allem im Veneto gebaut
Books wiederum ist jüngst ein Band über das – auch hier sei der Untertitel zitiert – „Erbe und dabei die vielen stilistischen Sprünge,
eines Architekten“ entstanden. Konkret geht es darin um das Vermächtnis des Italieners die die Architektur des letzten Jahrhun-
Quirino De Giorgio. Sie haben bisher weder von Pruscha noch von De Giorgio gehört? derts kennzeichnen, immer mitgemacht:
Kein Problem, Sie sind damit nicht allein! Beide gelten bisher eher als Geheimtipp. Das vom Neoklassizismus des italienischen Faschismus über die Betonmoderne der Nach-
Kennenlernen lohnt sich allerdings! Die Lebensgeschichte des Carl Pruscha etwa liest kriegszeit bis zur Postmoderne. Nach den großen Meistererzählungen zum Bauhaus lie-
sich mehr wie ein Abenteuerroman denn als Architektenbiografie: Geboren 1936 in Inns- fern sowohl Pruscha als auch De Giorgio damit wohltuend andere Erzählungen. ub
Carl Pruscha: Ein ungewöhnlicher Architekt Hg. von Lars Müller, Arno Ritter und Eva Schlegel. Erschienen 2020 im Verlag Quirino De Giorgio: An Architect's Legacy Hg. von Michel Carlana, Curzio Pentimalli und Luca Mezzalira. Erschienen 2019
Lars Müller Publishers, Zürich. Deutsch. 272 Seiten. Hardcover. Format: 21,1 x 30,7 cm. 45,00 EUR. ISBN 978-3-03778-598-0 im Verlag Park Books, Zürich. Englisch. 400 Seiten. Softcover. Format: 17.1 x 23.5 cm. 38,00 EUR. ISBN 978-3-03860-176-0