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REDINGS ESSAY
FAR-BI-SOL
Ein Essay von Benjamin Reding
E s war ein Skandal. Ein richtiger Umweltskandal. Mit rostigen Giftfässern, verrie- Märkte, und hinter den Eigenheimgardinen flüsterte man, der alte Patriarch sei gestor-
ben und sein Sohn, dieser Schwachkopf, der könne das überhaupt nicht. Die Firma
gelten Werksgeländen, verseuchten Bachläufen und Fabrikanten-Villen hinter
Buchsbaumhecken, also allem, was einen echten Umweltskandal ausmacht. Und wir stand leer, die Firma verfiel, das Gelände wuchs zu. Aber wenn man sich zwischen den
waren mittendrin, wir, die jungen, ambitionierten Amateur-Redakteure der ökologisch Einfamilienhausgärten nah genug heranpirschte, konnte man sie sehen: Die Giftfässer!
angehauchten Uni-Zeitschrift „Laubfrosch“ (Unterzeile: „Ist lautforsch!“). Wir waren em- Verrostet! Nur die Fabrikantenvilla, hinter ihren dichten Buchsbaumhecken, blieb un-
pört, wir waren wütend und auch ein bisschen auf der Suche nach solchen Skandalen. verändert. Der Rasen gemäht, das Unkraut gejätet, die Hecken gestutzt. Wir stellten uns
Am Rand alter Bundesstraßen, aufgegebener Regionalbahnstrecken und im Weichbild den nichtsnutzigen Unternehmer-Jungspund darin vor, wie er das Geld seiner Ahnen
der Kleinstädte, draußen bei den Rieselfeldern, da sieht man sie manchmal noch: Die verprasst und die Umwelt vergiftet. Unser Uni-Zeitungsartikel geriet zur zornigen Ab-
Parkplätze längst überwuchert, die Umzäunungen verrostet, die Scheiben gesprungen rechnung, zum Pamphlet. Nach einer hitzigen Schreibnacht entschieden wir, den Fabri-
oder vernagelt. Und neben den Eingängen, verbeult und verstaubt, liebevoll in Email kantensohn-Tunichtgut mit seinen Taten persönlich zu konfrontieren, und formulierten
und Eisen gearbeitet, kleine, rechteckige Schilder: „Klavierfabrik Carl Scheel & Söhne“, die passenden Überschriften: „FAR-BI-SOL. Die Zeitbombe tickt!“, „Todesgift im Hinter-
„Elasta Trikotagen-Werke“, „Privatbrauerei Xaver Niedereder“. Die Familienbetriebe! garten!“ und „Lackfabrik killt Kinderglück!“ (Das wurde unser Favorit).
Vorne ein Bürogebäude im „Stil der Zeit“ (von Reform bis Beton) und dahinter, mit Eine Lindenallee führte vom Werk zur Villa. Die Fabrikantenwitwe besuchte jeden Sonn-
Schornstein und Sheddach-Zickzack, wie eine Kinderzeichnung zum selben Thema: die tag die Kirche, sonst sah man sie selten, den Sohn nie. Sicher ließen sie sich das Essen
Fabrik, die Schuhanzieher, Badehauben oder Topflappen produzierte. Das Sheddach anliefern. Champagner, Hummer, Kaviar und was die Hautevolee sonst noch so degu-
war fast überall gleich, für die Arbeiter reichten stiert. Es fand sich kein Name am bronzenen Klin-
wohl neutrales Nordlicht und unverputzte Ziegel- gelknopf. Aber „Far-Bi-Sol“, so heißt ja niemand,
wände, aber vor ne, am Bürogebäude, da tobte der wofür mochten die Buchstaben überhaupt stehen …
gestalterische Zeitgeist. Sicher hatten die Inhaber, ? „Krrrch.“ Aus der Gegensprechanlage erscholl ein
sie wollten im Dorf ja nicht als „altmodisch“ gel- Knacken, ein Knistern: „Ja?“ (Eine Frauenstimme).
ten, die damals aktuellsten Architekturzeitschriften „Ich bin von der Kirche“, sagte ich. Das Eingangstor
durchgeblättert und dann, je nach Zeitgeschmack, fuhr mit elektrischem Surren zur Seite, öffnete den
eine Prise Behrens, später einen Klecks Eiermann, Blick auf eine Anhöhe und die Villa, die mit ihrem
dann zuletzt, in den Turbojahren der Wirtschafts- Schieferdach, weißen Klinkern und „barocken“ Klo-
wunderrepublik, etwas Van-der-Rohe-Stahl oder Gittern exakt so peinsam-protzig aussah, wie wir sie
Le-Corbusier-Beton vom jeweiligen Ortsarchitekten uns vorgestellt hatten. Eine Gardine wurde zur Seite
in Szene setzten lassen. Der Kerntypus jener Büro- geschoben, eine ältere Frau betrachtete mich durch
gebäude ist so wiedererkennbar wie die Mercedes- das Wellglas der Eingangstür: Die Witwe. Eine Frisur
Limousinen, die einst davor parkten: drei Stock- wie aus Beton, ihr Gesicht hart, verschlossen, ernst.
werke, übertrieben repräsentative Eingangshalle Ich lächelte ihr zu, sie öffnete. „Ist ihr Sohn da?“ Sie
und im 3. OG die „Chefetage“ mit holzgetäfeltem zögerte. „Nein.“ Dann eben die Witwe! Ich legte los:
Konferenzraum und Minibar. Und ganz oben aufs „Wir haben einen Artikel verfasst.“ Ich zog das Pa-
Dach gehörte ein Neonschriftzug, mindestens grö- pier hervor, auch ein bisschen stolz, fast beglückt.
ßer als das benachbarte Dorfkirchenkreuz: „Eika- Foto: Benjamin Reding „Ihr Sohn hat …“ Sie unterbrach mich. „Sie sind der
Kerzen“, „Zikal-Leuchten“, „Ideal-Spaten“. neue Betreuer?“ Sie schaute mich erwartungsvoll
Ein solches Familienunternehmen gab es auch bei an. „Äh ... Betreuer?“ Ihr Ton wurde flehentlich: „Sie
uns – zwischen den wohlständigen Einfamilienhäusern, wogenden Sonnenblumenfel- kümmern sich jetzt um meinen Sohn?“ „Na, also, wir kümmern uns schon … irgend-
dern und quergelüfteten Neubauschulen. Die Fabrik wie die Kinderzeichnung (mit Shed- wie.“ Sie drehte sich um, rief freudig: „Arne, schau, Dein Betreuer ist gekommen, end-
dach und Schornstein), das Bürogebäude Zeitgeist (hier: Eiermann) und auf dem Dach lich!“ Aus dem Dunkel des Flurs ging, nein schwankte, ein junger Mann zitternd vor-
der Firmenname: „FAR-BI-SOL“. Eine Lackfabrik! Nah herangebaut an den Lauf unseres wärts, brav gekleidet, brav gescheitelt. Er blickte mich an: „Juhjawaaa!“ Ich zuckte zu-
Dorf-Flüsschens. Das machte Sinn! Einmal, nach einem erschöpfenden Waldlauf, hatte sammen. Er schrie: „Hawaannjahha!“ Seine Mutter nickte ihm kurz zu. „Gleich, Arne,
ich – das Wasser plätscherte kühl und klar – daraus getrunken und erbrach mich wenig gleich“, und zu mir, fast entschuldigend: „Gleich gibt es bei uns Mittagessen. Mein Sohn
später fürchterlich. Der Bach war eben ideal für die Firmenabwässer. Heute ist von al- bekommt die Schübe immer öfter, wie es halt so ist bei Morbus …“ Ich erinnere mich
ledem nichts übrig. Die Fabrik abgerissen, das Bürogebäude mit all seinen goldglänzen- nicht, welche Krankheit es war und was ich antwortete, vielleicht, dass der Betreuer
den Aluminiumfenstern, seinem etwas zu schwer, zu kantig geratenen Flugdach, seinen noch vorbeikäme, später. Jedenfalls dankte sie und schloss die Tür. Ich ging über die
babyblauen Mosaikkacheln, selbst die Fabrikantenvilla daneben, alles zermahlen, alles Auffahrt an der Fabrik, dann am Bürogebäude vorbei. Die Rollladen geschlossen, Moos
ökologisch einwandfrei entsorgt. Aber das lag nicht an uns. Als die Fabrik gebaut wurde, auf den Treppenstufen. Die Bäume ließen das Sonnenlicht auf dem Asphalt flirren, gelb,
da schämte man sich noch keiner Umweltsünden. Da sagten sie hinter den Einfamili- weiß, grün. Es roch nach Lindenblüten und frisch gemähtem Rasen. Am Ende der Allee
enhausgardinen nicht ohne Stolz: „Und das da ist unsere FAR-BI-SOL-Lackfabrik!“, fast fand ich eine Mülltonne. Der Pamphlet-Artikel ist nie erschienen.
so, als gehöre sie ihnen selbst. Ein junger Praktikant gab uns den Tipp. Er erzählte von
Pumpen und Pigmenten, von Rührwerksmühlen und Siebaggregaten, Mahltöpfen und Jeden Monat nähern sich die Berliner Filmemacher Dominik und Benjamin Reding
unserem jeweiligen Heftthema auf ihre ganz eigene Art und Weise. Geboren wurden
Qualitätskontrollen und dann, es rutschte ihm so heraus, von Giftfässern, die auf dem
die Zwillinge am 3. Ja nuar 1969 in Dortmund. Während Dominik Architektur in
Werksgelände ungesichert herumstünden. Wir Jung-Redakteure horchten auf, witterten Aachen und Film in Hamburg studierte, absolvierte Benjamin ein Schauspiel -
den Skandal. Dann machte die Firma dicht, als all diese kleinen Familienbetriebe dicht studium in Stuttgart. 1997 begann die Arbeit an ihrem ersten gemeinsamen Kinofilm
„Oi! Warning“. Seitdem arbeiten sie für Fernseh- und Kinofilmprojekte zusammen.
machten, inmitten der schillernden New Economy, der Shareholder Values und globalen
050 • AIT 10.2020