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Anja Kluge                               Ingolf Gössel


                                  1993-1998 Architekturstudium Uni und Gesamthochschule FH Siegen 1999-  1990-1992 Akustikstudium 1992-1998 Architekturstudium TU Dresden 1999-
             Fotos: Kluge Gössel  2005 diverse Architekturbüros 2005/2006 gk Gössel + Kluge Freie Architekten  2005 diverse Architekturbüros 2005/2006 gk Gössel + Kluge Freie Archi tekten
                                                                           2010 gk Gössel + Kluge Generalplaner ab 2014 Aufbau Landwirtschaftsbetrieb
                                  2010 gk Gössel + Kluge Generalplaner GmbH






















             Foto: Claus Morgenstern                                                                                                   Foto: Zehnder





             Den Kienzlerhansenhof haben die beiden Architekten originalgetreu restauriert. Rechts: Blick in die Rauchküche • The two architects have restored the Kienzlerhansenhof true to the original. Right: View into the smokehouse




             r Frau Kluge und Herr Gössel, Sie betreiben ein gemeinsames Architekturbüro und  lichen Flächen um den Hof. Es ist eine Berg-Landwirtschaft auf 1.000 Meter Höhe. Wie
             sind seit einigen Jahren Nebenerwerbslandwirte. Eineinhalb Jahre lang bauten Sie  die Flächen zu behandeln sind, wann und wie gemäht wird, in welcher Reihenfolge
             den Kienzlerhansenhof in Schönwald im Schwarzwald um. Was bewog Sie dazu,  über das Jahr die verschiedenartigen Flächen bewirtschaftet werden, all das sind Fein-
             diesen Schritt zu gehen und was gibt Ihnen diese Tätigkeit?   heiten, welche nur durch intensive Arbeit und Auseinandersetzung zu erlernen sind.
             Wir betreiben diese Tätigkeit seit 2014. Anlass war für uns zum einen die Erhaltung
              und Rettung von Baukunst und Baukultur im Kontext ihrer Umgebung, zum anderen  r Auch das Thema Landschaftspflege spielt dabei eine Rolle …
             die authentische Funktion eines solchen Hofes im engen Zusammenhang mit seinen  Ja, mit unserer extensiven Landwirtschaft und den an diese Region angepassten, seit
             Räumen  und  den  ihn  umgebenden  Flächen.  Zugleich  möchten  wir  durch  den   langer Zeit hier lebenden Tierarten beeinflussen wir die „Kulturnatur“ positiv. Und wir
             Erhalt selten gewordener Tier- und Pflanzenarten in einer Art kleinem Reservat oder  holen viele Pflanzen- und Tierarten, welche es hier nicht mehr oder nur noch selten
             Naturpark einen Beitrag zum Umwelt- und Naturschutz leisten.  gibt, wieder zurück. Mittlerweile sind die Wiesen artenreicher geworden, dank Arnika,
                                                                           Trollblume, Orchideen und Teufelskralle, um nur einige zu nennen. Damit entsteht hof-
             r In welchem Zustand fanden Sie die mehr als 450 Jahre alte Bausubstanz vor?  fentlich auch für Wildbienen, Insekten und Singvögel ein besserer Lebensraum. Wir
             Welche Herausforderungen brachte die Sanierung, für die Sie den Denkmalschutz-  verzichten auf künstlichen Dünger, achten bei der Heuernte auf Blüh-Zeiträume, bauen
             preis 2016 erhielten, mit sich, und was war Ihnen besonders wichtig?   autochthone Pflanzen wieder an und vermeiden durch gezielte Weidehaltung Trittschä-
             Vor 150 Jahren fiel der Hof mangels familiären Nachwuchses an die Gemeinde und  den. Durch die Offenhaltung und Beweidung der Landschaft verhindern wir Verwal-
             wurde seither zurück verpachtet. Als der Gemeinde die Kosten zu hoch wurden, fand  dung. Dabei helfen uns die Rinder, Schafe und Ziegen – jedes Tier auf seine Weise.
             eine  Ausschreibung  zum  Verkauf  statt.  Eine  letzte  Not-Erhaltungsmaßnahme  der
             Gemeinde aus dem Jahr 1971 sicherte nur in Teilen den Bestand. Zu erneuern war die  r Was gibt Ihnen dieses Projekt konkret, in das Sie so viel Herzblut, Wissen und
             gesamte Gebäudetechnik, nebst Schadstoff-Entsorgungen und anderem mehr. Zum  Verantwortung investiert haben? Und wie teilen Sie sich die Arbeit zwischen Ihrem
             Glück fanden wir viel von der originalen Bausubstanz unter Asbest-Schindeln und  Architekturbüro und dem Kienzlerhansenhof auf und ein?
             innen unter Gipskartonverkleidungen wieder. Mit umfassender Bauforschung und in  Es ist ein Tapetenwechsel zwischen Büro und Natur. Wir mögen den Schwarzwald sehr.
             Zusammenarbeit mit der Denkmalschutzbehörde stellten wir den Hof originalgetreu,  Dort umgibt er uns. Freundschaften sind entstanden. Die Arbeit mit den Tieren, deren
             fachgerecht und fundiert wieder her. Wegweisend sind dabei die Energiekonzepte, das  Wohlbefinden, die Arbeit an den Flächen um den Hof und das Erleben des Fortschritts
             wohngesunde Klima und die Anwendung nachwachsender Rohstoffe – aktuelle The-  – all das gibt uns unglaublich viel zurück. Der Hof ist zugleich unser Projektbüro für
             men unserer Zeit.                                             Aufträge im Raum Freiburg, Baden-Baden oder Villingen-Schwenningen. Und er ist
                                                                           auch Workshop- und Ideenstätte für unsere Mitarbeiter. Wir verbinden unsere Tätig-
             r Sie betreiben auf dem Hof auch eine kleine Viehwirtschaft. Brachten Sie Vor-  keiten so, dass wir einen überwiegenden Teil der Woche hier sind, haben unseren
             kenntnisse mit? Und was mussten oder durften Sie lernen?      Wohnsitz beziehungsweise zweiten Wohnsitz am Hof. Für die tägliche Tierbetreuung
             Wir hatten bereits zuvor Kenntnisse in der Tierhaltung gesammelt, haben hier dann  oder die Heuernte erhalten wir Unterstützung durch Helfer.
             aber viel mit unseren neuen Aufgaben gelernt. Der Hof wird in seinem Inneren für die
             Tierhaltung weitgehend so genutzt wie zu seiner Entstehungszeit. Wir halten vom Aus-  r Welche Resonanz erfahren Sie bei Wanderern, die am Hof vorbeikommen, bei
             sterben bedrohte Tierarten, wie das Hinterwälder Rind und Moorschnucken – eine sel-  Kollegen, der Fachwelt und bei den Einheimischen?
             tenere Schafrasse – sowie Schwarzwaldziegen. Das Verhalten und die Eigenarten un-  Wir erfahren eine sehr hohe Resonanz. Viele Wanderer bleiben stehen, schauen, foto-
             serer Tiere lernten wir ebenso intensiv kennen wie den Umgang mit den unterschied-  grafieren, fragen, ob sie den Hof, die Tiere, die Wiesen anschauen können, bewundern

                                                                                                                           AIT 9.2021  •  035
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