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REDINGS ESSAY
ES BRENNT!
Ein Essay von Dominik Reding
D ie Stimme klingt nicht panisch, aber bestimmt: „Es brennt!“ Jemand ruft es. Die müssen auch mit! Die eine, glückhaft in Amsterdam ergatterte Ausgabe von Bruno
Laut. Draußen, vor dem Haus. Was mag die Stimme meinen: Die Ukraine? Israel?
Taut´s „Frühlicht“, das eine, originale Bauhaus-Heft („junge menschen, kommt ans
Donald Trump? Madame Le Pen? Den Jemen, den Sudan, Taiwan, Nord-Korea? Die bauhaus!“) mit Lotte Beeses Foto der lachenden Studentinnen auf dem Cover und das
ganze Weltlage? Oder „nur“ einen brennenden Mülleimer auf dem Stadtplatz vor mei- berühmte 1927er-Sonderheft der „Innen-Dekoration“ zur Stuttgarter Weissenhof-Sied-
nem Balkon? Ich will mich ungern stören lassen, blättere gerade in der aktuellen AIT, lung. Ach und überhaupt: Die Architekturbücher! Wenigstens die signierten Exemp-
staune über die teils exotischen, teils bizarren Bar-Lokalitäten in Melbourne, Posznan lare, vom Bauhäusler Gustav Hassenpflug, vom „Post“-Modernen Robert Vorhoelzer,
und Madrid, stelle mir den Geruch des Weinkellers aus Esslingen und der „Naked & vom Architektur-Sonderling Otto Bartning und das Theaterbuch von 1904 mit jenem
Famous-Bar“ in Sevilla vor. Apropos Geruch. Jetzt riecht es tatsächlich etwas streng in markanten Bürostempel auf Seite 1: „Bauatelier Poelzig, Potsdam, Neues Palais“ und
meiner Wohnung. Leider nicht nach Wein oder Holz oder Leder, eher nach geschmol- Poelzigs rötelrotem Daumenabdruck, dick auf einem der abgedruckten Semper´schen
zenem Plastik und verbranntem Papier. Aha, also doch ein öffentlicher Mülleimer, Theaterentwürfe. Alles einst bei Ebay für schmales Salär ergattert. Überhaupt, die Ein-
draußen auf dem Platz. Ich blättere entspannt weiter. „Es brennt!“ Wieder der Ruf. zelstücke, das Unwiederbringliche, das muss ich retten! Wie den Rest der antiken,
Ich blättere weiter. Jetzt nochmal: „Feuer!“ Ok, ich lege das Heft beiseite, stehe auf, römischen Säule, in Ostia höchstselbst im Sand des Strandes gefunden, wie die kleine,
schlendere zur Balkontür und sehe da draußen zwar keinen qualmenden Mülleimer, quadratische Holzskulptur in Schwarz und Weiß, typische, kantige 1970er-Jahre-Kunst,
aber viele Passanten, die seltsam erschrocken von uns Kindern leidenschaftlich als Holz-
in die Richtung eben jenes Miethauses blicken, klotzspielzeug (um-)genutzt und, ja, wie
in dem ich wohne. Ich laufe zur Wohnungs- auch der Stuhl. Der MUSS mit. Gefunden
tür, öffne: Rauch! Brandrauch! Noch nicht sehr auf der Straße, mitgeschleppt in die U-Bahn,
dicht, aber unüberseh-, unüberriechbar. Und dann bis nach Hamburg-Billstedt auf den
im Hof, hinter den Treppenhausfenstern: ein Schultern getragen. Ein echter Stahlrohr-Frei-
rötliches Flackern. „Uh, ja, es brennt…“, sage schwinger aus den 1930er-Jahren. Aber nicht
ich mir, schließe die Wohnungstür und überle- irgendeiner. Bauhaus? Vielleicht. Aber wer
ge: Was nimmst Du mit? Natürlich, die wichtig- darauf einmal gesessen hat: Alfred Hitch-
sten Unterlagen! Personalausweis, Mietvertrag, cock höchstselbst! Durch ein altes Presse-
Steuerbescheid. So ein übliches „Notfall-Kit“, foto glaubhaft belegt: Sir Alfred gedanken-
das hat ja jeder. Aber ich bin kein Dooms- verloren 1963 auf der Reeperbahn im Café
day-Apologet, kein „Prepper“, habe nie daran „Lausen“, auf eben jenem Stuhl. Ich renne
gedacht – ehrlicher: denken wollen – nix für in die Küche, ergreife das sperrige, angeros-
„Tag-X“ vorbereitet. Solcherlei Handeln schien tete Ding. Und halt, natürlich noch die Vase!
mir das Schicksal mehr herauszufordern als es Keramik, quadratisch, feuerrot, auf dem
zu besänftigen. Immerhin, wo mein Perso liegt, Boden datiert: „Italy, 1958”. Auch auf einem
fällt mir trotz aufkochender Panik noch ein: In Trödel entdeckt und für den Preis eines
der Silberdose im Arbeitszimmer! Da renne Döners erworben. Wenn die nicht von Ettore
ich hin. Die kleine, schnittige Art-Déco-Ziga- Sottsass stammt, von wem sonst? Ein Hus-
rettendose. Als Teenager für hart ersparte fünf tenanfall schüttelt mich. Die Bücher, Fotos,
D-Mark Taschengeld auf dem Trödel gekauft. Foto: Benjamin Reding der Freischwinger, alles kracht zu Boden. Der
Drei Zigaretten, fast so alt wie die Dose, lagen Rauch! Das Feuer! Die Gefahr! Fahrig wische
noch im versilberten Rechteck. Dass Du die ich mir den Schweiß von der Stirn, halte
aber nicht rauchst!, warnte damals väterlich der Händler. Nein, habe ich nicht, dazu inne. „Drum besser wär’s, das nichts entstünde“. Mephisto sagt es zynisch dem Herrn
sahen die wirklich zu gammmlig aus. Viele Jahre später sah ich eine solche Dose wie- Dr. Faust und ich, hier, mir selbst. Vielleicht ist es besser, man nimmt nichts mit. Lässt
der, in London, im Museum, ausgestellt als Beispiel für englische Wohnkultur der frü- los. Man verliert alles und kommt nackt, wie neugeboren, ohne die Last des Vergan-
hen 1930er-Jahre. Eigentlich müsste ich auch die Dose mitnehmen. So schön, so sel- genen aus dem Purgatorium hinaus. Die eigene Stunde Null, Akt der Befreiung. Oder
ten… Meine Gedanken schweifen ab. Es brennt! Bleib beim Wichtigen! Beim Dose-Auf- der Auslöschung? Von allem, auch dem Selbst. Uff, das Selbst! Ich muss es doch retten,
klappen fallen mir der Personalausweis und zwei verblichene Familienfotos entgegen. das Selbst, ich muss doch… Bam! Bam! Bam! Roh donnert es gegen die Wohnungstür.
Der Kolumnenautor, einjährig, mit Steiff-Plüschtier und Blechrassel im Kinderbett, und Das schon einstürzende Treppenhaus? Oder das Dach? Oder sind´s gar Ritter, Tod und
seine Eltern, jung und stolz, vor dem Rohbau ihres Einfamilienhauses. Oh, all die Feuerteufel in personam und selbdritt? Ich reiße die Tür auf: Ein Feuerwehrmann, in
anderen Familienfotos, die müssen natürlich auch mit! Ich renne ins Nebenzimmer, massiger Montur. Ich betrachte ihn erschrocken. „Eine Garage hat gebrannt im Hof. Das
suche, finde und ergreife die eingestaubte Foto-Pappschachtel. Und die aktuelleren Feuer ist gelöscht. Nur noch der Rauch. Bleiben Sie in Ihrer Wohnung, schließen Sie
Lebensabbildungen, gespeichert auf meinen USB-Sticks und Festplatten? Gedankliche die Fenster!“ befiehlt er. Und dann, vielleicht bemerkt er mein Zittern: „Ist doch schön,
Fehlanzeige. Von den Nullerjahren wird wenig bleiben, vielleicht nicht nur bei mir. so ´ne Bude, wenn sie noch da ist, was?!“ Ohne eine Antwort abzuwarten dreht er sich
Und was liegt in der Pappschachtel daneben? Ah, die seltenen Architekturzeitschriften! um und entschwindet ins verrauchte Treppenhaus.
044 • AIT 7/8.2024