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WOHNEN • LIVING
CUARTO BOCEL APARTMENT
IN MADRID
Entwurf • Design Estudio Gonzalo del Val + Toni Gelabert Arquitectes, ES-Madrid
„Cuarto Bocel“ – „Viertelkreis“ wurde das jüngste Sanierungsprojekt
der beiden spanischen Architekten Gonzalo del Val und Toni Gela-
bert benannt. Bei einem Blick auf den Grundriss wird der Zusammen-
hang schnell klar: Die kreisförmigen Mauern des geschichtsträchti-
gen Apartments dienten als konzeptioneller Ausgangspunkt für die
Sanierung. Doch von verstaubter historischer Substanz keine Spur …
von • by Yannice Keller, Stuttgart
E rbaut wurde das herrschaftliche Domizil zu Beginn des 20. Jahrhunderts vom
Madrider Architekten Gustavo Fernández Balbuena, dessen Wirken die Entwick-
lung der spanischen Metropole maßgeblich mitbestimmt hat. So wird das 140 Qua-
dratmeter große Apartment heute zum Kulturerbe der Stadt gezählt. Vor diesem Hinter-
grund galt es unbedingt, die Struktur und den Geist des ehrwürdigen Hauses zu wah-
ren, ohne dabei die Anforderungen an den heutigen Lebensstandard zu vernachlässi-
gen. Glücklicherweise gelang es Gonzalo del Val und Toni Gelabert scheinbar mühelos,
diese Geschichte angemessen fortzuschreiben: Dem Bestand wurde eine zweite Ebene
in Form von vier hölzernen Elementen hinzugefügt, um die Fläche in ihre Nutzungen –
Schlafen, Essen, Wohnen, Arbeiten – zu unterteilen und präzise auf die Bedürfnisse der
neuen Bewohner einzugehen. Von den beiden Architekten werden diese räumlichen
Pufferzonen als Préludes bezeichnet. Der aus der Musik entliehene Begriff umschreibt
für gewöhnlich ein frei gestaltetes Instrumentalwerk, eine Art Einleitung, die die Zuhö-
renden auf das Folgende vorbereitet. Vergleichbar mit einem Bilderrahmen wird das
jeweilige Szenario optisch eingefasst und spürbar aufgewertet. Während sich dadurch
vielfach spannende Ausblicke ergeben, entsteht zusätzlich reichlich Stauraum. Gele-
gentlich eröffnen sich überraschend ganze Räume! Die Zirkulation des Nutzers inner-
halb des Apartments wird auf subtile Art und Weise geleitet. Im Arbeitsbereich bildet
ein halbrunder, massiver Schreibtisch dann unvermittelt das Finale der Komposition.
Jedes einzelne der eingestellten Elemente verfügt über eine eigene, individuelle Form
- alle vier zeichnen sich durch einen sehr spielerischen Umgang mit dem Kreissegment
in den drei Dimensionen aus. Durch ihre konträre Materialität grenzen sich Alt und Neu
deutlichst voneinander ab. Das Fischgrätparkett sowie die Stuckelemente an Wänden
und Decken sind gerade aufgrund ihrer homogenen Farbgebung in blendend reinem
Weiß weiterhin unschwer als Teil des historischen Bestandes identifizierbar. Die Wir-
kung des Ganzen: Luftig und elegant. „Altern in Würde“ par excellence!
082 • AIT 7/8.2023