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WOHNEN • LIVINGOHNEN • LIVING
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               WOHNHAUS PATH

               IN TOKIO


               Entwurf • Design ARTechnic architects, JP-Tokio



               Wenn ein Wohnhaus durch seinen Architekten einen markanten
               Namen erhält, kann man davon ausgehen, dass ebendieser zum Pro-
               gramm wird. Entsprechend erweckt das vorliegende Einfamilien-
               haus in Tokio ziemlich deutlich den Eindruck eines verschlungenen
               Pfades, der sich durch einen Berg windet. Eine originelle und extra-
               vagante Umsetzung – ganz nach dem Motto: „Der Weg ist das Ziel“.



               von • by Anna Katharina Göb
               S  etagaya ist mit über 900.000 Einwohnern einer der bevölkerungsreichsten Bezirke
                  der japanischen Hauptstadt. Ein Blick in die Natur, geschweige denn in einen eige-
               nen Garten, wird somit zu einem beinahe nicht mehr umsetzbaren Luxusgut. Da Not be-
               kanntlich erfinderisch macht, hat Kotaro Ide von ARTechnic architects eine beeindru-
               ckende Lösung konzipiert, um einer fünfköpfigen Familie trotz allem ein Wohnhaus im
               Grünen zu ermöglichen. Dieses schlängelt sich auf spannende Weise u-förmig über drei
               Etagen – genauer gesagt über sechs versetzte Ebenen – auf dem knapp 300 Quadratmeter
               großen Grundstück um eine innenhoforientierte Vegetation. Dabei wird die Treppe zum
               Hauptakteur. Ob klein und schmal, plateauförmig und ausladend oder als ein einzigar-
               tiges, spannendes Möbel, die Stufen geben hier den Takt und die Raumgestaltung vor.
               Auf raffiniert angeordneten Fenstervorsprüngen säumen Pflanzenbeete den Aufstieg vom
               Eingang bis zur begehbaren Dachterrasse, sodass man sich bei jedem Schritt mit der
               Natur verbunden fühlt. Kotaro Ide war es ein Anliegen, eine abstrakte Naturlandschaft
               zu gestalten – angelehnt an die südwestlich von Tokio gelegene Izu-Halbinsel, die ihn mit
               ihrer säulenförmig aufstrebenden Gesteinsformation seit seiner Kindheit nicht mehr los-
               lässt. Auf dieser Basis ist das an drei Seiten geschlossene Gebäudevolumen im wahrsten
               Sinne des Wortes gewachsen – zuerst im 3-D-Programm modelliert und dann im Nach-
               gang mit dem Raumprogramm detailliert ausgearbeitet und in Einklang gebracht wor-
               den. Wenig verwunderlich also, dass im gesamten Gebäude kaum rechte Winkel zu fin-
               den sind und die Bewehrung sowie sämtliche Möbel aufwendig an- und eingepasst wer-
               den mussten. Doch gerade dies legt einen zusätzlichen Hauch von Mystik und Verwun-
               schenheit über das extravagante Gebäudemassiv. Entgegen vermeintlicher Annahmen,
               die dominierenden grauen Oberflächen bestünden ausschließlich aus Sichtbeton, wurde
               im Inneren wie im Äußeren mit Mörtel, Putz und Stuck gearbeitet. Auf diese Weise
               konnte das Gewicht des immensen Volumens maßgeblich reduziert werden. Damit be-
               weist Ide echtes Geschick, auf mehreren Ebenen ein wahres Wunschbild zu erzeugen.


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