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REDINGS ESSAY
DER GALA-ABEND
Ein Essay von Benjamin Reding
E s gibt Bars dort, von shabby bis chic, gleich zehn davon. Aber darum geht es nicht. Nominierten, Applaus, Filmeinspieler der Nominierten, Applaus, dann die melodrama-
tische Öffnung des Umschlags (akkurat nach Hollywood-Vorbild), dann die Jubelschreie
Es gibt Restaurants dort, von mittel- bis hochpreisig, von französisch bis vietna-
mesisch, aber darum geht es nicht. Es gibt auch Hotels dort, sechs der Mittel- bis der Gewinner, Applaus, dann die zeitlich genau getakteten Dankesworte, Applaus, dann
Oberklasse und drei mit fünf Sternen, aber um die geht es nicht. Und im Basement die nächste Musiknummer, der nächste Sketch und so weiter. Wie jedes Jahr. Bis dahin.
gibt es sogar eine Diskothek, mit nochmal drei Bars, aber darum geht es nicht. Es Journalistin Düzen Tekkal und Regisseur Wim Wenders betreten die Bühne. Zwischen
geht auch nicht um das Gebäude, dabei stammt es von einem bedeutenden Archi- ihnen ein kleiner, vorsichtig gehender, zerbrechlich wirkender Mensch. Übergroß auf
tekten, Renzo Piano, und es geht genauso wenig um die „großen Namen“, von Wim den XXL-Bildwänden links und rechts der Bühne wird ein Gesicht erkennbar: ein falten-
Wenders bis Corinna Harfouch, von Lars Eidinger bis Jella Haase, obwohl sie alle an reiches, ein ernstes, ein schönes Gesicht. Ein Gesicht mit großen, wachen, fragenden
jenem Abend dort waren. Es geht um etwas anderes. Der Gala-Abend begann wie Augen. Das Gesicht einer alten Frau. Düzen Tekkal und Wim Wenders halten lange,
jeder Gala-Abend der jährlich stattfindenden Verleihung des „Deutschen Filmpreises“ sehr lange Einleitungsworte, die alte Frau steht dabei aufrecht, hört zu, wartet höflich.
im lauen, frühsommerlichen Mai: Erst mit der Warteschlange vor den weiß umhüllten Düzen Tekkal erklärt, wer da neben ihr steht. Sie nennt den Namen: Margot Friedlän-
Einlassbüdchen (die Einladung gilt streng persönlich, keine private Begleitung gestattet, der. Und erwähnt ihr Alter: 102 Jahre. Sie sagt, dass Frau Friedländer Überlebende des
geforderter Dresscode: „Abendkleid/Smoking“), dann mit dem üblichen Blitzlichtgewit- Holocausts sei und das KZ Theresienstadt überlebt habe. Sie sagt, dass Frau Friedlän-
ter auf dem regensicher überdachten Red Carpet der Gala-Location, dem „Theater am der 1946 in die USA emigriert und in bewusster Entscheidung 2010 nach Berlin, ihrer
Potsdamer Platz“. Dieses Jahr war die Regensi- Geburtsstadt, zurück gekehrt sei, um an Schu-
cherung unnötig, die Sonne strahlte beständig. len Kindern und Jugendlichen von ihrem Leben
Dann, noch vom Blitzlicht geblendet, entdeckt zu berichten. Der Saal wird still. Frau Friedlän-
man in der Eingangshalle die ersten bekannten der tritt ans Mikrophon. Sie hat ihre Worte vor-
Gesichter. Man winkt, grüßt, lächelt unverbind- bereitet, sie liest den Text vor. Ihre Stimme ist
lich (noch sind die Preise ja nicht vergeben). fest. Sie schaut in den Saal. Sie spricht wenig
Ein kurzes Pläuschchen mit Jasmin Tabatabai, von sich, erwähnt ihren Bruder, seinen Tod in
die wie ich die Schauspielschule in Stuttgart Auschwitz. Sie spricht über ihre aktuelle Angst,
absolvierte, ein freundliches Händeschütteln über neuen Juden-Hass, ihre Hoffnung, ihr Erle-
mit Michael Kessler, mit dessen Spielkunst ich ben werde sich nicht wiederholen. Der Saal hört
im Bochumer Schauspielhaus inszenierte, ein ihr zu. Und etwas schwindet: Der schale Schick
kurzes Herüberblicken zu Katja Riemann, die ich des Theatersaales, die pseudo-glamouröse Büh-
nie persönlich, außer eben auf den Filmpreis- nendekoration, die Hollywood-Nachmacherei,
verleihungen, traf. Nicht alle hier halten sich die dürftigen Witze, das überdrehte Lachen, der
an den Dresscode, aber alle geben sich Mühe. ganze „Prunk“. Es wird verschluckt, die Stille im
Es glitzert, funkelt, glänzt. Seide, Strass und ja, Saal verschluckt es, selbst das übliche Rumoren
Abendkleider mit Schleppe (wenige) und Smo- der Gala-Gäste. Für den Moment des Zuhörens
kings mit Samt-Revers und blitzweiße Hemdkra- steht man in Berlin – sagen wir 1938 – sieht die
edler Parfums. Die Blumendeko trotzt der Hitze Foto: Benjamin Reding Eis der Zivilisation wegschmilzt, wie schnell alle
gen mit Fliege (überraschend viele). Die über- Scheiben klirren, spürt, wie schnell das dünne
hohe Eingangshalle brummt von aufgeregtem
mitbrüllen, mitmarschieren, die vorgegebenen
Gerede und duftet nach einer wilden Mixtur
Parolen nachkreischen, wie schnell man gehasst
aufrecht-perfekt, die improvisieren Barstände sind dicht umschwirrt, die Scheinwerfer wird, wie schnell man verloren ist. Frau Friedländer schließt ihre Rede mit einem
und Kamerateams umkreisen beflissen die Stars. Alles ist wie jedes Jahr, trotz der Welt Appell. Sie fordert auf: die Filmschaffenden zur Wachheit und uns alle zur Menschlich-
„da draußen“, die von der Ukraine bis zum Gazastreifen, von Trump bis Putin, aus den keit. Sie schaut ihr Publikum an dabei. Ihrem Blick kann man sich nicht entziehen. Der
Fugen gerät. „In wenigen Minuten beginnt die Verleihung des Deutschen Filmpreises Saal erhebt sich, applaudiert, raum- und zeitvergessen. Einige Gäste weinen, selbst hier
2024. Bitte nehmen Sie Ihre Plätze ein.“ Freundlich hallt die jung-dynamische Männer- oben im Rang. Nach den Worten der 102-Jährigen kehrt die Verleihung zu sich zurück.
stimme durch die Flurlautsprecher. Und, wie es sich für Prominente gehört, folgt man Sie versucht es: Stars, Filme, Hanna Schygulla, die einen Ehrenpreis bekommt, Sketche,
der Aufforderung, aber mit lässig-nachlässiger Nonchalance. Mein Platz ist auf dem Witze, Musik, wie jedes Jahr. Nach der Gala sehe ich Frau Friedländer im Foyer des
Rang. Das sei ein Vorteil, behaupten die Insider. Von dort gäbe es die beste Sicht. Nur Rangs. Abseits, fast allein sitzt sie da, erschöpft isst sie etwas, betrachtet die Glasfas-
etwas schwindelfrei muss man sein, so steil hat Renzo Piano hier die Sitzreihen mehr sade des Theaters. Ich überwinde meine Scheu, gehe zu ihr, danke ihr. Sie betrachtet
über- als hintereinander gereiht. Dann dimmt das Licht, das Reden wird zum Tuscheln, mich, dann sagt sie freundlich-leise: „Ich danke Ihnen, dass Sie mir zuhören.“ Vor dem
die letzten Nachzügler finden ihre Plätze, die Musik wird laut. „Let the show begin!“ Theater neben dem roten Teppich steht die Blumenwand, seit einigen Jahren gefüllt
Am Anfang steht das Staatstragende: Kulturstaatsministerin Claudia Roth hält ihre Rede. mit Balkonblumen im Topf. Die Gäste der Filmpreis-Gala dürfen sie mitnehmen. Öko-
Immerhin, fast drei Millionen Euro werden heute Abend verteilt, die höchstdotierte logisch-nachhaltig soll es hier zugehen. Immer blieben viele Pflanzen übrig. Dieses Mal
kulturelle Auszeichnung, die dieses Land zu vergeben hat. Nach höflichem Applaus folgt nicht. Auch ich nehme eine Pflanze mit. Eine schlichte Petunie. Behutsam trage ich sie
der eingeübte Turnus: Musiknummer, gespielter Sketch, Applaus, Laudationen auf die zur U-Bahn. Sie wird mich an diesen Abend erinnern.
050 • AIT 6.2024