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Foto: Familie Kiefner/Elisabeth und Jörg Kiefner              Elisabeth Kiefner




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                                                                          Marohn Architekten, Stuttgart; erste selbstständige Planungen 1954 Heirat mit Jörg Kiefner 1957/59/63 Geburten der
                                                                          Töchter 1957 Salamanderhaus Freiburg 1968 Wettbewerb Literaturarchiv Marbach 1973 Einweihung Literaturarchiv



            Elisabeth Kiefner aus Stuttgart


            Elisabeth Kiefner, auch liebevoll „Lissi“ genannt, fasziniert durch ihren Esprit, ihre  familienhäuser gemeinsam, es gab ein Gartenzimmer im Untergeschoss des elterlichen
            Lebendigkeit, ihr Wissen, ihre Erfahrung, ihre Ausstrahlung, ihren Stil … kaum zu  Hauses, dort gründeten wir quasi auf dem zweiten Gleis unser Büro. Wir fingen an, bei
             glauben, dass diese Stuttgarter Architektin 95 Jahre alt ist. Man fragt sich, worin das  Wettbewerben mitzumachen, gewannen sogar ab und an einen Ankauf.
             Geheimnis dieser erfolgreichen Berufs- und Familienbiographie liegt, die in dieser
            Form selbst heute nur wenigen Architektinnen gelingt. Vor 75 Jahren hat sie sich als  Wie darf man sich Eure Wohnsituation in diesem Haus in den 1950-ern vorstellen?
            eine von acht Frauen unter 292 Männern für Architektur an der Universität Stuttgart  Ihr wart ja eurer Zeit mit eurem Arbeits- und Lebensentwurf weit voraus.
            eingeschrieben. Das entspricht einem Anteil von 2,7 Prozent, 2016 waren 58 Pro-  Meine Eltern wohnten im Obergeschoss, meine Schwester im Erdgeschoss, wir im Dach-
            zent der Studierenden Frauen. Das für die Einschreibung notwendige Baupraktikum  geschoss. 1957 kam unsere Tochter Petra, Tochter Viola folgte bald – noch wohnten wir
            wurde zwischen Trümmern absolviert – Ziegelsteine aussortieren und säubern.   im Dach. Beruf und Familie ließ sich vereinbaren, ich hatte familiäre Unterstützung und
                                                                          eine Kinder- und Haushaltshilfe. Das waren glückliche Umstände. Als meine Schwester
            Lissi, wo und wie hast Du Deine Kindheit und Jugend verbracht?   auszog, bekamen wird mit Tochter Julia das Erdgeschoss. 1961 wurde das Dachgeschoss
            Als ich zehn Jahre war, also 1935, wurde mein Vater als Bundesbahnbeamter von Stuttgart  unser Büro. 1957 kam mit dem „Salamanderhaus“ in Freiburg der erste größere Auftrag,
            nach Essen versetzt. 1943 wurde Essen schwer bombardiert, mein letztes halbes Schuljahr  1968 gewannen wir den eingeladenen Wettbewerb für das Literaturarchiv in Marbach.
            verbrachte ich durch die Kinderlandverschickung bei Tábor in Böhmen, dort machte ich  Das war dann schon ein beachtlicher Erfolg, wir konnten uns gegenüber Wettstreitern wie
            Abi tur. Nach Arbeitsdienst auf dem Feld folgte der Dienst in einem Lazarett bei Prag. März  Rolf Gutbrod und Manfred Lehmbruck durchsetzen. Hans Scharoun hatte den Juryvorsitz.
            1945 nahten die Russen, und die Familie sammelte sich wieder im Umland von Stuttgart.
                                                                          Das 1973 eingeweihte Literaturarchiv Marbach (siehe Bild unten) ist ein markanter
            Und wie kamst Du dann zur Architektur? Wie hast Du Dein Studium empfunden?   Bau des „Béton Brut“ und wurde 2018 als Denkmal eingestuft. Wie gelang eine so
            Wurden Studentinnen anders behandelt als Studenten?           stimmige gemeinsame Handschrift?
            Es war eigentlich eine ganz pragmatische Entscheidung, wir hatten keine Architekten im  Ja, wir haben immer im Austausch und der Diskussion eine gemeinsame Lösung gefun-
            näheren familiären Umkreis. Meine Kunstlehrerin empfahl mir Architektur – ich war gut  den. Nur bei der Einfamilienhausplanung konnte es passieren, dass sich die Bauherrinnen!
            in Mathe und konnte „gut zeichnen“. Nach meinem Empfinden wurde mit uns während  für den Vorschlag des Herrn Architekten! entschieden, er war eben ein attraktiver Mann …
            des Studiums gleich umgegangen, es gab keine Unterschiede, vielleicht hatten manche
            Studentinnen einen Vorteil, wenn sie dem Professor gefielen …  Lissi, du hast neben Deinem beruflichen Erfolg zusammen mit Deinem Mann drei
                                                                          wunderbare Töchter großgezogen, eine Architektin, eine Künstlerin und eine Grafi-
            Wie kann man sich ein Architekturstudium direkt nach dem Krieg vorstellen?  kerin … ein wahrlich geglückter Lebensentwurf, der sicherlich seinesgleichen sucht!
            Es gab keine Unterrichtsmaterialien, Bücher, Zeitschriften … es wurde abgezeichnet, abge-
            zeichnet, … meist stand man wartend vor dem Kopierer, alles sehr mühselig und stupide.  Die Fragen stellte Daniela Keck, Architekturjournalistin, Stuttgart
                                                                                                        Ungekürztes Interview auf ait-xia-dialog.de
            Kannst Du Dich daran erinnern, wann Deine Leidenschaft für Architektur entfachte?
            Ja, das war die Begegnung mit Prof. Adolf Schneck, Rektor der Staatlichen Kunstakademie
            am Weißenhof. Er ermutigte mich zum Durchhalten, das „Entwerfen“ würde ja erst im
            Hauptstudium kommen. Ich habe bei ihm das Wahlfach „Innenarchitektur“ belegt.

            Was waren die nächsten Meilensteine auf Deinem Weg?
            1950 übertrugen meine Eltern mir die Planung für das Elternhaus in Stuttgart. Ich war noch
            mitten im Studium, aber für mich war klar, dass ich das mache und ein Jahr pausiere. Das
            war auch die Zeit, als Jörg Kiefner (1922–2007) und ich ein Paar wurden. Wir kannten uns
            schon seit dem ersten Semester, etwas später hat es gefunkt … Jörg hat dann die Baulei-
            tung übernommen, er hatte zuvor sein Zwischenpraktikum bei Döcker gemacht.
            Jörg und Du, Ihr war zeitlebens ein perfekt eingespieltes Team in gleichberechtigter
            Partnerschaft, in beruflicher wie in familiärer Hinsicht. Wie entwickelte sich das?
            Nach dem Diplom 1952 arbeiteten wir beide angestellt in Stuttgarter Büros, Jörg bei Hol-                                  Foto: Hendrik Bohle
            stein & Frowein, ich bei Marohn Architekten. Aber schon 1951 planten wir die ersten Ein-

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