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Foto: Familie Kiefner/Elisabeth und Jörg Kiefner Elisabeth Kiefner
1925 geboren in Stuttgart 1946–52 Architekturstudium Uni Stuttgart 1950 Planung 1. Einfamilienhaus 1951 Diplom,
Marohn Architekten, Stuttgart; erste selbstständige Planungen 1954 Heirat mit Jörg Kiefner 1957/59/63 Geburten der
Töchter 1957 Salamanderhaus Freiburg 1968 Wettbewerb Literaturarchiv Marbach 1973 Einweihung Literaturarchiv
Elisabeth Kiefner aus Stuttgart
Elisabeth Kiefner, auch liebevoll „Lissi“ genannt, fasziniert durch ihren Esprit, ihre familienhäuser gemeinsam, es gab ein Gartenzimmer im Untergeschoss des elterlichen
Lebendigkeit, ihr Wissen, ihre Erfahrung, ihre Ausstrahlung, ihren Stil … kaum zu Hauses, dort gründeten wir quasi auf dem zweiten Gleis unser Büro. Wir fingen an, bei
glauben, dass diese Stuttgarter Architektin 95 Jahre alt ist. Man fragt sich, worin das Wettbewerben mitzumachen, gewannen sogar ab und an einen Ankauf.
Geheimnis dieser erfolgreichen Berufs- und Familienbiographie liegt, die in dieser
Form selbst heute nur wenigen Architektinnen gelingt. Vor 75 Jahren hat sie sich als Wie darf man sich Eure Wohnsituation in diesem Haus in den 1950-ern vorstellen?
eine von acht Frauen unter 292 Männern für Architektur an der Universität Stuttgart Ihr wart ja eurer Zeit mit eurem Arbeits- und Lebensentwurf weit voraus.
eingeschrieben. Das entspricht einem Anteil von 2,7 Prozent, 2016 waren 58 Pro- Meine Eltern wohnten im Obergeschoss, meine Schwester im Erdgeschoss, wir im Dach-
zent der Studierenden Frauen. Das für die Einschreibung notwendige Baupraktikum geschoss. 1957 kam unsere Tochter Petra, Tochter Viola folgte bald – noch wohnten wir
wurde zwischen Trümmern absolviert – Ziegelsteine aussortieren und säubern. im Dach. Beruf und Familie ließ sich vereinbaren, ich hatte familiäre Unterstützung und
eine Kinder- und Haushaltshilfe. Das waren glückliche Umstände. Als meine Schwester
Lissi, wo und wie hast Du Deine Kindheit und Jugend verbracht? auszog, bekamen wird mit Tochter Julia das Erdgeschoss. 1961 wurde das Dachgeschoss
Als ich zehn Jahre war, also 1935, wurde mein Vater als Bundesbahnbeamter von Stuttgart unser Büro. 1957 kam mit dem „Salamanderhaus“ in Freiburg der erste größere Auftrag,
nach Essen versetzt. 1943 wurde Essen schwer bombardiert, mein letztes halbes Schuljahr 1968 gewannen wir den eingeladenen Wettbewerb für das Literaturarchiv in Marbach.
verbrachte ich durch die Kinderlandverschickung bei Tábor in Böhmen, dort machte ich Das war dann schon ein beachtlicher Erfolg, wir konnten uns gegenüber Wettstreitern wie
Abi tur. Nach Arbeitsdienst auf dem Feld folgte der Dienst in einem Lazarett bei Prag. März Rolf Gutbrod und Manfred Lehmbruck durchsetzen. Hans Scharoun hatte den Juryvorsitz.
1945 nahten die Russen, und die Familie sammelte sich wieder im Umland von Stuttgart.
Das 1973 eingeweihte Literaturarchiv Marbach (siehe Bild unten) ist ein markanter
Und wie kamst Du dann zur Architektur? Wie hast Du Dein Studium empfunden? Bau des „Béton Brut“ und wurde 2018 als Denkmal eingestuft. Wie gelang eine so
Wurden Studentinnen anders behandelt als Studenten? stimmige gemeinsame Handschrift?
Es war eigentlich eine ganz pragmatische Entscheidung, wir hatten keine Architekten im Ja, wir haben immer im Austausch und der Diskussion eine gemeinsame Lösung gefun-
näheren familiären Umkreis. Meine Kunstlehrerin empfahl mir Architektur – ich war gut den. Nur bei der Einfamilienhausplanung konnte es passieren, dass sich die Bauherrinnen!
in Mathe und konnte „gut zeichnen“. Nach meinem Empfinden wurde mit uns während für den Vorschlag des Herrn Architekten! entschieden, er war eben ein attraktiver Mann …
des Studiums gleich umgegangen, es gab keine Unterschiede, vielleicht hatten manche
Studentinnen einen Vorteil, wenn sie dem Professor gefielen … Lissi, du hast neben Deinem beruflichen Erfolg zusammen mit Deinem Mann drei
wunderbare Töchter großgezogen, eine Architektin, eine Künstlerin und eine Grafi-
Wie kann man sich ein Architekturstudium direkt nach dem Krieg vorstellen? kerin … ein wahrlich geglückter Lebensentwurf, der sicherlich seinesgleichen sucht!
Es gab keine Unterrichtsmaterialien, Bücher, Zeitschriften … es wurde abgezeichnet, abge-
zeichnet, … meist stand man wartend vor dem Kopierer, alles sehr mühselig und stupide. Die Fragen stellte Daniela Keck, Architekturjournalistin, Stuttgart
Ungekürztes Interview auf ait-xia-dialog.de
Kannst Du Dich daran erinnern, wann Deine Leidenschaft für Architektur entfachte?
Ja, das war die Begegnung mit Prof. Adolf Schneck, Rektor der Staatlichen Kunstakademie
am Weißenhof. Er ermutigte mich zum Durchhalten, das „Entwerfen“ würde ja erst im
Hauptstudium kommen. Ich habe bei ihm das Wahlfach „Innenarchitektur“ belegt.
Was waren die nächsten Meilensteine auf Deinem Weg?
1950 übertrugen meine Eltern mir die Planung für das Elternhaus in Stuttgart. Ich war noch
mitten im Studium, aber für mich war klar, dass ich das mache und ein Jahr pausiere. Das
war auch die Zeit, als Jörg Kiefner (1922–2007) und ich ein Paar wurden. Wir kannten uns
schon seit dem ersten Semester, etwas später hat es gefunkt … Jörg hat dann die Baulei-
tung übernommen, er hatte zuvor sein Zwischenpraktikum bei Döcker gemacht.
Jörg und Du, Ihr war zeitlebens ein perfekt eingespieltes Team in gleichberechtigter
Partnerschaft, in beruflicher wie in familiärer Hinsicht. Wie entwickelte sich das?
Nach dem Diplom 1952 arbeiteten wir beide angestellt in Stuttgarter Büros, Jörg bei Hol- Foto: Hendrik Bohle
stein & Frowein, ich bei Marohn Architekten. Aber schon 1951 planten wir die ersten Ein-
012 • AIT 6.2021