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                        Innenarchitektur steht derzeit im Fokus wie sel-  sich bdia-Mitglieder konfrontiert sehen. Insge-  Fragen an
                        ten zuvor. Innenarchitekt*innen besitzen eine  samt ist festzustellen, dass die Antworten die   Frithjof Jönsson
                        unschlagbare Expertise, und mehr denn je soll-  Ergebnisse aus der BAK-/ BingK-Umfrage wider-
                        ten sie mit den Architekt*innen von vorne herein  spiegeln. Viele sind von Auftragsverschiebungen  bdia
                        beim Planungsprozess zusammenarbeiten, um  und Stornierungen betroffen. Vor allem Aufträge  Bundesgeschäftsführer
                        die jetzt in der Krise mit aller Wucht zutage tre-  aus den Branchen Gastronomie, Messebau, Re-
                        tenden Defizite im Wohnungsbau zukünftig zu  tail und Hotellerie sind stark zurückgegangen  Warum zeigt sich in den Umfra-
                        vermeiden: „Flexible Grundrisse, unterschied-  oder wurden storniert bzw. bis auf Weiteres auf  gen  unter  den  selbstständigen
                        lichste  Wohnungstypen  für  unterschiedliche  Eis gelegt. Auch der Office-Bereich von Unter-  Innenarchitekt*innen  schon  zu
                        Wohnbedürfnisse, Lebensphasen und Lebenszu-  nehmen, die von der Coronakrise aktuell stark  Anfang  der  Krise  eine  so  hohe
                        schnitte,  für  Homeoffice  und Alten-Wohnge-  betroffen sind, wie zum Beispiel Fluggesellschaf-  wirtschaftliche Betroffenheit?
                        meinschaften,  für  Nerds  genauso  wie  für  ten und Tourismusbetriebe, zählt dazu. Dagegen  Ein  Grund  dafür  ist  sicherlich,
                        Mehrgenerationenhaushalte  –  alles  Fehlan-  gibt es aber auch viele Mitglieder, die weiterhin  dass  viele  Innenarchitekt*innen
                        zeige“, schreibt der Berliner Tagesspiegel. Doch  viel zu tun haben und deren Auftragslage gut ist  auf den Innenausbau von Gastro-
                        ohne Bauherr*innen, die nicht nur auf Normlö-  – da gerade jetzt alle Mitarbeiter der Auftragge-  nomie,  Hotellerie,  Shops  und
                        sungen pochen, wird das schwer.        ber zu Hause sind und für Umbauten, Neuge-  Läden sowie den Messebau spe-
                                                               staltung und Renovierungen die Bahn frei ist.   zialisiert  sind.  Dies  sind  aber
                        Die gemeinsame Umfrage zur Coronakrise von                                        genau  die  Wirtschaftsbereiche,
                        Bundesarchitektenkammer (BAK) und Bundes-  Genehmigungsprozesse dauern dagegen noch  die vom Lockdown besonders be-
                        ingenieurkammer zeigt (BIngK), dass sich Archi-  länger als sonst, da die Mitarbeiter*innen von  troffen gewesen sind. In der Folge
                        tektur-  und  Innenarchitekturbüros  auf  wirt -  Behörden  teils  für  Wochen  nicht  oder  sehr  wurden hier sehr schnell Projekte
                        schaftlich  schwierige  Zeiten  einstellen.  Der   schlecht zu erreichen waren. Gerade jetzt würde  verschoben oder storniert.
                        Berufsstand wird vor allem von nachgelagerten  die Möglichkeit eines digitalen Bauantrags sehr
                        Effekten  betroffen  sein.  Über  6.000  Archi-  helfen, doch dieser ist noch nicht umgesetzt.  Was  sind  die  Forderungen  des
                        tekt*innen aller Fachrichtungen hatten Anfang  Auch mit Materialengpässen haben viele Innen-  bdia an die Politik, um die Folgen
                        April an der Umfrage teilgenommen. Mehr als  architekt*innen zu kämpfen, vor allem aus Spa-  der Corona-Krise zu bewältigen?
                        drei Viertel der Befragten spüren bereits konkret  nien, Italien, aber auch China.  Neben  der  notwendigen  Fort-
                        die Folgen der Maßnahmen gegen die Ausbrei-                                       schreibung einer bedarfsgerech-
                        tung  des  Coronavirus,  ein  Drittel  sieht  sogar  Die finanziellen Hilfen der Bundesregierung wur-  ten  wirtschaftlichen  Hilfe  für
                        deutlich negative Auswirkungen. Die Auswer-  den  größtenteils  positiv  aufgenommen,  doch  Freiberufler  und  Selbstständige
                        tung zeigt auch, dass Innenarchitekt*innen jetzt  müssen diese unbedingt über den Mai hinaus zur  durch  den  Staat  stellt  die  Krise
                        schon am stärksten betroffen sind.     Verfügung stehen. Wie alle Planerberufe fürch-  auch die Chance dar, dass die öf-
                                                               ten auch die Innenarchitekt*innen, dass sie von  fentliche Verwaltung und insbe-
                        Die meistgenannten Probleme stellen abgesagte  zeitverzögerten Effekten finanziell betroffen sein  sondere  die  Baubehörden  ihre
                        oder zurückgestellte Aufträge dar (52 %), Ver-  werden. Dann, wenn laufende Aufträge beendet  Prozesse und Abläufe noch stär-
                        zögerungen  im  Genehmigungsprozess  durch  sind und keine neuen Aufträge hereinkommen.  ker  digitalisieren.  Wichtig  ist
                        eine unterbesetzte öffentliche Verwaltung (41  Vereinzelt berichten bdia-Mitglieder aber auch,  zudem, dass die Auftraggeber im
                        %) sowie Störungen auf der Baustelle (34 %). Ab  dass sie als Solo-Selbstständige teils schlechte  Zuge  der  Coronakrise  nicht  in
               Grafik „Make room for distance“ © Sonnenstaub für bdia; Portrait Pia A. Döll: Oliver Schiebener
                        dem 2. Halbjahr 2020 rechnen Architekten und  Erfahrungen bei Ämtern gemacht haben, wenn  ihrer  Investitionstätigkeit  nach-
                        Ingenieure insgesamt mit einer deutlichen Ver-  es um konkrete Nachfragen für finanzielle Un-  lassen, sondern im Gegenteil ein
                        schlechterung der wirtschaftlichen Lage und fi-  terstützung ging. Der bdia ist hier weiterhin mit  staatliches Konjunkturpaket ge-
                        nanziellen Einbußen. 58 Prozent der befragten  der Bundesarchitektenkammer und dem Berufs-  schnürt wird, welches das wirt-
                        Büroinhaber stellen zum Zeitpunkt der Befra-  verband der Freien Berufe im ständigen Aus-  schaftliche Leben ankurbelt und
                        gung negative wirtschaftliche Folgen für das ei-  tausch  hinsichtlich  der  Anliegen  von  Frei -  mit  Investitionen  und  Anreizen
                        gene  Büro  fest  oder  können  diese  absehen.  beruflern und Solo-Selbstständigen.   zum  nachhaltigen  Klimaschutz
                        Besonders häufig betroffen sind Büros für Innen-                                  und  Schonung  der  Ressourcen
                        architektur (79 %).                    Die befragten Innenarchitekt*innen wünschen  verbindet.
                                                               sich  letztlich  auch  Planungssicherheit,  denn
                        53 Prozent der Büroinhaber stellen sich auf Liqui-  daran hängen Aufträge und Akquise. Auch die  Die Bedeutung der Innenarchi-
                        ditätsengpässe ein: 18 Prozent haben zum Befra-  weitere rechtliche Unterstützung des bdia ist ge-  tektur  wurde  in  der  Krise  mit
                        gungszeitpunkt bereits Liquiditätsprobleme oder  fragt, wobei positiv aufgenommen wurde, dass  ihren Kontakt- und Ausgangsbe-
                        er - warten sie noch in der ersten Jahreshälfte. 35  der Verband eine kostenfreie rechtliche Frage-  schränkungen sehr deutlich. Ist

                        Prozent rechnen im zweiten Halb- jahr 2020 mit  stunde mit Prof. Peter Fischer bereits Ende März  das nicht auch eine Chance für
                        Zahlungsengpässen. In einem Fünftel der Büros  anbot. Hier sind weitere Online-Beratungen ge-  Innenarchitekt*innen?
                        sind die Mitarbeiter nicht mehr ausgelastet oder  plant.  In  den  Antworten  der  Teilnehmenden  Dies ist ganz klar zu bejahen. Die
                        werden es in Kürze nicht mehr sein. Während sich  wurde zudem wieder sehr deutlich, dass die Ein-  Menschen  merken  im  Büro  und
                        kleine Büros häufiger mit Liquiditätsproblemen  schränkung der Bauvorlageberechtigung für In-  Zuhause, dass gut gestaltete In-
                        konfrontiert sehen, geben größere Büros häufi-  nenarchitekt*innen einen erheblichen Wettbe-  nenräume einen immensen Ein-
                        ger an, nicht mehr ausgelastet zu sein.  werbsnachteil  darstellt.  Der  bdia  setzt  sich  fluss  auf  unser  Wohlbefinden
                                                               schon lange dafür ein, diese ungerechtfertigte  haben, wenn wir auf einmal nicht
                        Auch der bdia hat seine Mitglieder Ende April in  Einschränkung der Berufsausübung der Innen-  mehr rausgehen dürfen. Die Krise
                        einer Umfrage befragt. Wir haben offene Fragen  architekt*innen in den Bauordnungen der Län-  ist hier auch eine Chance, und wir
                        formuliert, um ein Stimmungsbild zu erhalten.  der  zu  beseitigen,  und  wird  dies  weiter  mit  werden nicht müde, diese Vorteile
                        Die Umfrage ist daher nicht repräsentativ, son-  Nachdruck tun.                   gegenüber Kammern, Verbänden
                        dern zeigt Trends und Themen auf, mit denen                                       und den Medien zu betonen.


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