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REDINGS ESSAY
„FÜR PIZZA KÖNNTE
ICH TÖTEN!“
Ein Essay von Dominik Reding
H err Drabert hatte den Treffpunkt vorgeschlagen. Der bekannte, gefürchtete und Haring erinnerte. Sogar die Kleiderhaken waren nicht einfach Kleiderhaken, sondern
doch herbeigesehnte Herr Drabert. Ich kannte den Laden nicht. Obwohl er nur
ragten wie Arme und Beine kleiner, im Mörtel hausender Monster aus der Wand. Wer hat
einen unangestrengten Gang von meiner Haustür entfernt lag. Das „Ammazza che das entworfen? „In Ihrem Buch, dieser Schüler, der handelt ja sehr emotional, sehr
Pizza“, das „Für Pizza könnte ich töten!“ impulsiv, fast anarchisch. Finden Sie das wirklich glaubwürdig?“ Herr Drabert musterte
Herr Drabert ist Lektor der staatlichen Filmförderung. Er kann Geld verteilen. Wenn ihm mich. „Ändern Sie das und wir kommen ins Gespräch.“ Er kippte den Rest Cola herunter,
das Drehbuch gefällt. Viel Geld. Wenn er will. Meistens will er nicht. Hier sollte sie statt - eilig, das Eis klackerte im Glas, und ging, ohne sich umzudrehen. „Wer hat das hier ent-
finden, die alles entscheidende Besprechung. Daumen rauf oder runter, Drehbuch worfen?“ Der Kellner sah mich verständnislos an. „Che cosa?“ Oh, er sprach wirklich
abgenommen oder abgekanzelt. Geld ja oder nein, neuer Film oder nichts. Meine neue Italienisch. „Der Architekt ... l’architetto?“ Der Kellner nickte. „Barenboim!“ Sein Deutsch
Filmgeschichte, der Schüler, der an eine andere Schule versetzt wird und mit seinem war nicht leicht zu verstehen. Wirklich? Entwarf der berühmte Dirigent jetzt schon
Freiheitsdrang, seiner Lebensfreude eine ganze Jahrgangsstufe mitreißt und dafür bitter Pizzerien? „No, no, Peter Behrbohm.“ Er schrieb es auf den Kassenbon. „Grazie.“
bezahlt. Viel Herzblut, viele Monate Schreibarbeit steckten darin. Natürlich kam Herr Peter Behrbohms Mitarbeiterin und Kollegin, Yana Kyuchukova, wartete schon. Im „Am -
Drabert verspätet. Alle Wichtigen kommen zu spät, auf Könige muss man war ten, das maz za che Pizza“, vier Tage später, bei einem Glas Wasser. Im Netz hatte ich gesucht und
gehört zum Spiel dazu. Sie kommen zu spät und gehen zu früh, weil sie noch einen gefunden: Ein „Archiv der Zukünfte“ hatte Peter Behrbohm entworfen, 2014, als Diplom -
„wichtigen Termin“ haben. Wenn Lektoren bei der Begrüßung lächeln, hat man verloren. arbeit, angesiedelt in den unterirdischen Welten des Berliner Alexanderplatzes, einen
Dann gefällt ihnen die ganze Story nicht, und die Vorfreude auf Ablehnung und Glas container ebendort auf dem „Alex“ zu einer Wohnung umgebaut und heimlich
Demontage lässt sie glücklich erschauern. Monate darin zugebracht, und einen Film
Steht es gut um das Buch, dann blicken sie hatte er gedreht, über Johannes Uhl, den
ernst, fast grimmig, weil sie die Verantwor tung Architekten des skandalumwitterten Wohn -
fürchten, ja sagen zu müssen. Schauen sie hoch hauses „Neues Kreuzberger Zentrum“. Er
aber erst ernst und dann freundlich, dann kam mit dem Fahrrad. T-Shirt, Rucksack, lan -
wird es schwierig, dann steht ein langer Lei - ge Haare unter bunter Mütze. Jung und schlak -
densweg bevor. Am besten ist es dann noch, sig. Ich fragte nach Vorbildern, nach Mem phis-
wenn die Lektoren konkrete Wünsche haben. Design, nach Sottsass, nach Pla nungs zeit und
Diese Fi gur raus, hier ein Satz weg, da ein Budget und dem Entwurfs ge dan ken natürlich.
Witzchen dazu. Am schlimmsten ist es, wenn „Es soll te Spaß machen“, antwortete er. Mit
sie einfach nur sagen: „Mehr Liebe“ oder zwei Freunden, einem Tischler und einem
„mehr Humor“ oder „mehr Action“, „mehr Schlos ser, habe er die Inneneinrichtung selbst
Drama“, „mehr Realismus“. Dann fängt man ge baut. Ich wurde stutzig. Gab es überhaupt
wieder bei null an. „Wir müssen uns beeilen, eine Planung? Oder war alles nur Ergebnis
ich habe noch einen wichtigen Termin“, sagte kreati ver Bastelstun den, ganz zufällig geglückt.
Herr Drabert, bestellte Cola mit Eis und blickte Ob es Skizzen gäbe, Entwürfe, fragte ich
erst ernst, dann lächelte er. Ein dünnes, vor- unsicher. Er nickte und kramte aus seinem
freudiges Lä cheln. „In Ih rem Dreh buch fehlt ja Rucksack drei dicke Kladden hervor.
so einiges. Vor allem mehr Rea lis mus wäre Es gibt Architekten, da spürt man in den frü -
gut.“ Und für einen kur zen Mo ment meinte Fotos: Benjamin Reding hen Zeichnungen nichts, keinen Hinweis auf
ich Triumph in seinen Augen auf blitzen zu späteres Ausnahmetalent. Mies van der
sehen. Er holte tief Luft und schlug das Dreh - Rohe, Bruno Taut, Hans Poelzig, die ersten
buch auf, als sei es so schwer und spannend wie ein altes Telefon buch. „Jetzt gehen wir Sachen nur brave Hausaufgaben. Und es gibt Architekten, da blitzt schon in ersten
die diversen Problem zönchen in Ihrem Opus Magnum mal durch.“ Skiz zen etwas auf, eigenwillig, ungewohnt, unverkennbar, ein Versprechen auf Kom -
Das „Ammazza che Pizza“ sieht aus wie eine Espresso-Bar in Mailand, die Matteo Thun mendes. Peter Behr bohms Kladden füllten Zeichnungen, keine Skizzen, denn nichts
entworfen hat. Nein, die Matteo Thun, Ettore Sottsass, Alessandro Mendini und die suchte hier, keine Linie zitterte, kein Strich wurde zu oft angesetzt. Hier hatte jemand
besten Designer von Alchimia, Memphis und Superstudio gemeinsam in einem beson- gefunden, Seite für Seite, Entwurf für Entwurf. Stühle, Lampen, Tresen, Türgriffe,
ders krea tiven Moment entworfen haben. Und, nein, eigentlich sieht der Laden noch viel Kleiderhaken, nichts war zufällig und alles voller Selbstvertrauen, spielerisch, humor-
besser aus. Je mehr Herr Drabert das Drehbuch zerpflückte, umso mehr schaute ich mich voll, frei, ohne Angst um „Markt“, „Auftrag“ und „Erfolg“. Ich blätterte, staunte und
um und umso mehr staunte ich. Dieses kleine harmlose Ecklokal war unglaublich. Die ver stummte. Ich machte mir Sorgen. Aus nahmetalente, die brauchen ihre Auftrag -
Wände teils mit quadratischen Spiegel-Rastern bedeckt, teils in Zebra-Mustern ge stri - geber, brauchen Öffentlichkeit, brauchen Mutige, die den Zukünftigen etwas zutrauen.
chen, zitronengelb und hellrosa, die Stühle Einzelstücke mit Stahlrohrlehnen, dünn und Brauchen auch Glück! „Fühlst Du Dich gefährdet?“, es rutschte mir so raus. Aber er
leicht, in Altrosa und Grünblau gepulvert, kombiniert mit einer schweren, kantigen Sitz - schaute mich nur freundlich an und zuckte mit den Schultern: „Nö.“
fläche aus hellem Eschen holz, der Tresen gesägt, mit Zacken, die an Zähne, Vitrinen, die Draußen dämmerte es. Die Wärme des Tages verkroch sich, man konnte die Stadt rie -
an Münder, einem stählernen Pizzaofen, der an eine Rakete oder einen Hut oder einen chen, erdig, rau. Ja, ich würde das Drehbuch ändern, vor allem die Hauptfigur. Ich würde
Kobold, und das alles zusammen an die vieldeutigen, gesprayten Piktogramme von Keith sie freier, mutiger, rebellischer machen. Ich sog die Luft ein. Ammazza che libertà!
074 • AIT 6.2018