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Aktuelle Studien zeichnen ein alarmierendes                                  an verschiedene Arbeitsstile anpassen lassen –
                  Bild:  Nur  48  Prozent  der  deutschen  Arbeit-                             von  offenen  Kreativzonen  bis  hin  zu  ruhi-
                  nehmer*innen sind motiviert, ihr Bestes bei                                  gen Rückzugsorten. Hochwertige, natürliche
                  der Arbeit zu geben. Besonders die Gen Z fällt                               Materialien wie Holz, Filz oder Lehmputz ver-
                  mit gerade einmal 43 Prozent auf, während                                    bessern nicht nur die Akustik, sondern schaffen
                  die Babyboomer mit 63 Prozent deutlich moti-                                 eine warme, haptisch angenehme Umgebung.
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                  vierter sind.  Doch die entscheidende Frage                                  Handwerkliche Präzision ist unerlässlich: Maß-
                  lautet: Was sind die Ursachen für die allge-                                 gefertigte Möbel, ergonomische Lösungen
                  meine Motivationsflaute? Ein wichtiger Faktor                                und individuell gestaltete Lichtkonzepte stei-
                  wird in der Diskussion dabei häufig übersehen:                               gern die Aufenthaltsqualität. Auch Farbe spielt
                  die Arbeitsumgebung. Denn betrachtet man                                     eine Schlüsselrolle – gezielt eingesetzt, fördert
                  die niedrige Motivation vieler Mitarbeitenden,                               sie Konzentration und Kreativität. Unterneh-
                  rückt die räumliche Gestaltung der Büros in   Rückzugs-Cocoon & Chillout Area – Entspannung trifft   men sollten zudem Mitarbeitende aktiv in die
                  den Fokus. Es ist naheliegend, dass die Qua-  Design für Different Berlin (Entwurf/Design: Rahil Nasser   Gestaltung einbinden, um Identifikation und
                  lität der  Arbeitsumgebung einen erhebli-  und Studio Henri Fischer | Planung/Umsetzung: Rahil Nasser   Akzeptanz zu stärken. Wer Räume mit Sorgfalt
                                                         und Zwischenraum | Foto: Thomas Meyer Ostkreuz)
                  chen Einfluss auf die Motivation haben kann.                                 und handwerklichem Know-how gestaltet,
                  Warum sollten Arbeitnehmer*innen Höchst-  schreiben. Ein solch niedrigschwelliger Zugang   investiert nicht nur in Ästhetik, sondern in die
                  leistungen erbringen, wenn ihre Büros wie ein   zu Gestaltungsmöglichkeiten würde nicht nur   Motivation und Zufriedenheit der Menschen,
                  Tiefpunkt wirken? Nach dem Motto: Warum   den Mut zu neuen Konzepten fördern, sondern   die darin arbeiten.
                  sollte meine Motivation eine  1+ sein,  wenn   auch den Raum für Kreativität und Individua-
                  meine Arbeitsumgebung eine glatte 6 ist?  lität erweitern.
                  Die Realität zeigt, dass außerhalb der soge-  Es wird höchste Zeit, zeitgemäßes Workspa-
                  nannten  „New-Work-Bubble“  oft  räumliche   ce-Design zu etablieren. Arbeitsumgebungen
                  Tristesse herrscht. Viele Büros folgen vorher-  sollten nicht nur funktional, sondern inspi-
                  sehbaren Standards und gleichen sich in ihrer   rierend sein – Räume, die auf die Bedürfnisse
                  Gestaltung – als  wäre das Ziel, ähnlich  wie   der Menschen zugeschnitten sind und eine
                  bei  Hotelketten  ein  immer  gleiches  räum-  Atmosphäre schaffen, in der Kreativität,
                  liches  Erlebnis  zu  schaffen,  egal,  wo  man   Zusammenarbeit und Wohlbefinden gefördert
                  „eincheckt“. Doch dieser Ansatz verkennt die   werden. Denn die Qualität der Räume sendet
                  Vielfalt der Arbeitswelt: Arbeitnehmer*innen   eine  klare Botschaft  an die  Menschen,  die
                  sind keine homogene Gruppe – sie sind viel-  darin arbeiten: „Ihr seid uns wichtig, und wir
                  fältig. Und trotzdem sehen die meisten deut-  schaffen die besten Bedingungen, damit ihr
                  schen Büros nahezu identisch aus und leiden   euer Potenzial entfalten könnt.“ Wenn Unter-
                  unter den immer gleichen, standardisierten   nehmen diesen Gedanken verinnerlichen und   Rahil Nasser, M.A. Innenarchitektur, ist seit
                  Raumkonzepten.                         konsequent umsetzen, machen sie mehr als   ihrem Bachelor-Abschluss im Jahr 2018 selbst-
                  Hinzu kommt, dass der Zugang zu innovati-  nur eine Investition in schöne Räume – sie sen-  ständig und arbeitet und betreut Projekte in
                  vem Workspace-Design für viele Unternehmen   den ein echtes und glaubwürdiges Angebot an   Berlin und NRW. Parallel dazu lehrt und forscht
                  unnötig erschwert wird – vor allem durch Büro-  ihre Mitarbeitenden. Es ist ein klares Signal,   sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der
                  kratie. Die deutsche Arbeitsstättenverordnung,   dass Wertschätzung nicht nur eine Floskel ist,   TH-OWL,  Detmolder  Schule  für  Gestaltung,
                  ein wahres Bürokratieungetüm, trägt dazu bei.   sondern gelebt wird. Denn eines ist sicher: Wer   und ist seit zwei Jahren Mitglied im bdia.
                  Hält man sich strikt an jede Vorschrift, sehen   als Arbeitgeber nur so tut, als würde er sich für
                  Büros am Ende aus wie Rettungswagen: vol-  seine Mitarbeitenden interessieren, darf nicht
                  ler  Sicherheitshinweise  und Warnleuchten.   erwarten, dass diese mehr als eine gespielte
                  Perfekt gesichert, aber so aufregend wie ein   Motivation zurückgeben. Echter Einsatz ent-
                  Warndreieck. Diese Überregulierung bremst   steht dort, wo Wertschätzung spürbar ist – und
                  kreative Lösungen aus und macht es schwie-  dazu gehört in jedem Fall eine durchdachte
                  riger, innovative Ansätze in die Gestaltung von   und zeitgemäße  Arbeitsumgebung: kreativ,
                  Arbeitsräumen einzubringen.            kollaborativ und inspirierend.

                  Um moderne und inspirierende Raumkonzep-  Doch  wie lässt sich eine  Arbeitsumgebung
                  te einfach umzusetzen, braucht es  weniger   gestalten, die Motivation und Wohlbefinden
                  Bürokratie und mehr Eigenverantwortung   nachhaltig fördert? Die Antwort liegt in einem   1  Vgl. IBA-Studie 2023/24, forsa Gesellschaft für Sozialforschung
                  für Unternehmen und ihre Mitarbeitenden.   durchdachten Zusammenspiel aus Raum-  und statistische Analysen mbH im Auftrag des Industrieverbands
                  So sollten sie zum Beispiel selbst entscheiden   struktur,  Materialwahl  und handwerklicher   Büro  und Arbeitswelt e. V. (IBA), https://iba.online/studynet/
                  können, in welchem Abstand sie zueinander   Qualität. Innenarchitekt*innen setzen dabei   iba-studie-2022-23/ (21.02.25)
                                                                                               2  Aktuelle Gallup-Befragung (Engagement Index Germany), Die
                  sitzen wollen. Das muss ihnen niemand vor-  auf modulare Raumkonzepte, die sich flexibel   Zeit, abgerufen: 07.01.2025

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