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Thomas Huth
1975 geboren 2003 Architekturdiplom an der Leibniz Universität Hannover
2004 Bünemann & Collegen in Hannover 2005–2008 Mitarbeit in diversen
Agenturen für Markenarchitektur 2009 Bürogründung von Parat, Hamburg
Nischen im Wandmöbel erlauben konzentriertes Arbeiten. • Niches in the wall unit allow concentrated work. Wandsitze bieten eine bequeme Sitzmöglichkeit im Flur. • Wall seats provide comfortable seating in the hallway.
von • by Thomas Huth, Hamburg
V on der Tischinsel zum Gemeinschaftsbereich und vom Zellenbüro zum Multispace. schlussfeldern und der großen Tischleuchte. Die filigrane Kompaktplatte unterstreicht mit
ihrer schwarzen Kante den grafischen Ansatz der Gestaltung. Die vom Eingang abge-
Bei der Neugestaltung des 590 Quadratmeter großen Büros von C3 am Hamburger
Standort fiel uns schnell auf, dass die bisherige Bürostruktur sehr starr war und – vom wandte Seite des Wandmöbels dient dem Rückzug und konzentrierten Arbeiten. Sie bie-
Flur abgesehen – nur wenige Begegnungsräume für die über 600 Mitarbeitenden zuließ. tet zwei tiefe Sitznischen mit jeweils einem Schreibtisch und einem Stellplatz für eine Te-
Den Bestand umzudeuten und die gesamte Bürofläche zu transformieren – hinsichtlich lefonbox. Die breite Fensterfront gegenüber sorgt für genügend Tageslicht und einen Aus-
des Erscheinungsbildes und vor allem der Nutzung – das war unsere Absicht! Aufgrund blick ins Freie. Die Materialität auf dieser Seite des Wandmöbels hebt sich deutlich von
des übersichtlichen Budgets war es eine große Herausforderung für unser Team von der Vorderansicht ab. Das Holzfurnier gleicht einem kaschmirgrauen Schichtstoff. Alle an-
Parat, die Überarbeitung des Grundrisses auf nur wenige Eingriffe zu beschränken und deren Materialien ordnen sich dem monochromen Farbkonzept unter. Der grobe Polster-
dabei trotzdem das Bestehende umzudeuten und zukunftsfähige Arbeitsweisen zu er- stoff der Sitzbänke überzeugt durch seine haptische Qualität, und der bündig eingesetzte
möglichen. Um Platz für Konzentrations-, Kollaborations- und Kreativitätsräume zu schaf- Wollfilz in der Rückwand der Sitznischen verbessert zusätzlich die Akustik. Sowohl zwi-
fen, lösten wir zunächst die bestehende Zellenstruktur auf. Zur räumlichen Neuausrich- schen diesen integrierten halboffenen Kabinen als auch zwischen Vorder- und Rückseite
tung verzichteten wir außerdem auf die Zuweisung fester Arbeitsplätze. Wir reduzierten des Raumteilers selbst planten wir eine doppelwandige Konstruktion. Diese reduziert
die Anzahl der Schreibtische und nutzten die dadurch frei gewordene Fläche für Arbeits- den Körperschall zwischen den Einheiten und erlaubt eine revisionierbare Kabelführung
orte, die einen Rückzug für Telefonate, kurze Besprechungen oder kreative Teamarbeit für zahlreiche Leuchten und Steckdosen. An der Stirnseite des Wandmöbels bedient eine
bieten. Der Schwerpunkt der baulichen Maßnahmen lag im unmittelbaren Eingangsbe- Regalkonstruktion die kleine Lounge des offenen Empfangsbereichs – als kleine Biblio-
reich. Durch das Entfernen einer Glastrennwand lösten wir die bestehende Struktur auf thek oder Präsentationsfläche der agentureigenen Publikationen. Außerdem sahen wir
und bildeten einen fließenden Übergang zum Flur. Hierdurch ist eine bisher fehlende weitere kleine Eingriffe auf der Fläche vor, die den neuen Workflow der Agentur unter-
Empfangssituation entstanden – eine Zone des Ankommens und der Kommunikation. stützen. Wir ergänzten das bestehende Mobiliar um Telefonzellen für das spontane Ge-
spräch, zentrale Schließfächer, die den Rollcontainer ablösen, und Wandsitze für den kur-
Das Wandmöbel: Sitznische, Telefonbox, Pinnwand und Bücherregal zen Austausch im Flur. Der zweite Schwerpunkt des Umbaus liegt jedoch am Flurende,
im ehemaligen Eckbüro der Geschäftsführung mit (bislang) exklusivem Blick auf die Elbe.
Die Achse von der Eingangstür zum Fenster mit Blick auf die Große Elbstraße ist erhalten
geblieben und überdies durch das eingestellte Volumen neu inszeniert worden. Wir schu- Tribüne oder Stehtische und Sitzbänke – ein Multifunktionsraum
fen ein Wandmöbel, so kompakt wie ein Schweizer Taschenmesser. Es bietet ein breites
Angebot unterschiedlichster Elemente: Stauraum, Pinnwand, Bücherregal, Sitznische und Wir nutzten das Büro um zu einem Multifunktionsbereich, der allen Mitarbeitenden offen
Telefonbox in einem. Dabei weist der Raumtrenner jeder Seite eine unterschiedliche Ma- steht und – neben dem beeindruckenden Elbblick für alle (!) – durch seine Dynamik über-
terialität, Atmosphäre und ein klares Profil zu. So empfängt eine Schrankwand mit kla- zeugt: Modulare Möbel formen den Raum für Workshops, Kundenpräsentationen oder
rem Raster, die einem Stehtisch als Hintergrund dient, die Ankömmlinge beim Betreten das Getränk zum Feierabend. Das Kernstück ist eine Tribüne, die sich der Kunde aus-
des Büros. Eichenfurnier mit prägnanter Maserung verleiht dem Möbel einen warmen drücklich wünschte. „Aber wird diese ausreichend genutzt werden?“, fragten wir uns und
und wohnlichen Charakter – unterstützt wird dieser Effekt durch Ausfachungen mit einer gingen auf Nummer sicher: Mein Team und ich entwickelten ein wandelbares Möbel. Die
Linoleum- (Bulletin Board) und Wollfilzoberfläche. In einem Fach ist zudem das gefräste Tribüne setzt sich aus zwei Stehtischen und zwei Sitzbänken zusammen. Die Einzelele-
Agentur-Logo inklusive des beleuchteten Claims platziert. Der Stehtisch ist ebenfalls eine mente erlauben unterschiedliche Anwendungen und räumliche Konstellationen und un-
Sonderanfertigung. Abgesehen vom nicht handelsüblichen Format fehlt dem Tischgestell terstützen somit die Idee einer multifunktionalen Raumnutzung. Bewusst verzichteten
im oberen Bereich die Mittelstrebe. Diese Freiheit erlaubt das mittige Einsetzen von An- wir auf unnötige Details, damit die Anwendung der Möbel selbsterklärend ist.
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