Page 128 - AIT0423_E-Paper
P. 128
BÜRO UND VERWALTUNG • OFFICE BUILDINGS THEORIE • THEORY
terschiedlicher Bedürfnisse entwickelt. Da die KreativWerkstatt durch alle Mitarbeite-
rInnen buchbar sein soll, war der Nachweis maximaler Nutzungsflexibilität erforder-
lich. Zum einen sollte ein großer Besprechungsbereich für inspirierende, kreativitäts-
fördernde Meetings entstehen, zum anderen ein Loungebereich für Kaffee- und Mittags-
pausen mit einem kleinen Küchenmodul in einem angehobenen Bereich. Zugänglich
ist dieser Kommunikationsbereich von beiden Stirnseiten: Durch einen Hauptzugang,
von dem man direkt in den Besprechungsbereich gelangt, und einen untergeordneten
Eingang, der zu weiteren Büros und den Sanitärräumen führt.
Agiles Arbeiten mit mobilen Bausteinen
Die alten Spinde waren neben dem schweren Tresor unser Highlight! Wir haben sie auf
unterschiedliche Weise genutzt und in Szene gesetzt: In Form einer mobilen Garderobe
und einer rollenden Theke – dank einer Drehung um 90 Grad bekommt der Spind eine
völlig neue Form der Nutzung. Die mobilen Module können die Aufgabe der Abschir-
mung der Besprechungsbereiche vom vorbeilaufenden Publikum übernehmen. Es sind
Grundrissvariante mit zwei Meetingflächen • Floor plan variant with two meeting areas verschiedene Besprechungsmodi möglich: Am häufigsten genutzt wird – für große Mee-
tings oder auch für kleine Firmenevents – die große Tafel. Hierzu lassen sich die beiden
vorhandenen Tische zu einer großen Fläche zusammenfügen.Aber auch die Möglich-
keit zweier parallel laufender Besprechungen besteht, indem die vorhandene Fläche
durch die mobilen, sogenannten Multiboxen geteilt beziehungsweise abgetrennt wird.
Letztere bieten Sitz- und Staumöglichkeit und können bei geschlossenen Türen dank
einer beschreibbaren Oberfläche als Whiteboard genutzt werden. Bei dem mobilen Mo-
nitor-Modul – mit großem Präsentationsscreen und leicht zugänglicher, verstaubarer
Technik – besteht ebenso die Möglichkeit, es als trennendes Element einzusetzen. Für
das agile Arbeiten in der KreativWerkstatt wurden somit besondere Funktionsmodule
entwickelt. Hier konnte RE_FRAME im Vergleich zum privaten Wohnbereich völlig neu
eingesetzt werden und zeigt zugleich die Flexibilität des Systems. Gleichwohl bleibt das
Prinzip der Rahmung mit seiner Wirkung bestehen. Aufgrund der Größe der Module
und der daraus resultierenden Spannweiten war ein besonders tragfähiger Plattenwerk-
stoff erforderlich. Mit gebrauchten, ersteigerten Fahrzeugplatten aus Buchensperrholz
(Delignit) hat die Tischlerei Schneider aus Miltenberg den Entwurf umgesetzt. Die ge-
ringe Dimensionierung von 24 Millimetern reicht aus, sodass die Anmutung elegant
und leicht ist. Hinzu kommt der atmosphärische Aspekt des Materials: Ursprünglich
als Bodenplatten für Lkws eines Transportunternehmens eingesetzt, erzählt das Mate-
Grundrissvariante mit einer großen Besprechungssituation • Floor plan variant with a large meeting area rial mit seinen Gebrauchsspuren eine Geschichte – die Patina wird Teil der Gesamtäs-
thetik. Unterhaltsam war der Augenblick der Anlieferung des Materials. Davon ausge-
hend, dass beide Seiten der Platte die typische, dunkelbraune Siebdruckplatten-Farbe
Schematische Darstellung • Schematic representation haben, wurden wir beim Auspacken überrascht: Es zeigten sich eine dunkelbraune
und eine intensiv rostrote Seite. Die außergewöhnliche Zweifarbigkeit der Delignit-Plat-
ten bot sich bei der weiteren Entwicklung für ein Farbspiel der Oberflächen an, das ru-
higere Dunkelbraun für die Außen- und das Rostrot für die Innenseiten der Module.
Arbeiten mit Restmaterialien: „Flickenteppich-Tische“
Die Tische erzählen in besonderer Weise die Geschichte der Nachhaltigkeit: Die Ober-
fläche setzt sich aus den Reststücken des Plattenwerkstoffes als harmonische Collage
zusammen. Nachdem wir auf verschiedenen Secondhandplattformen zunächst erfolg-
los auf der Suche nach passend großen Tischplatten-Formaten aus Delignit unterwegs
waren (es gab in der Werkstatt nur noch „Restschnipsel“), entstand die Idee, die unter-
schiedlich großen Reststücke aus der Werkstatt zu einem Patchwork zusammenzuset-
zen. Ebenso sind die Sitztruhen aus weiß lasierter Seekieferplatte, die den Lounge-
sowie den Besprechungsbereich flankieren, aus Restmaterialien und Verschnitt eines
Mannheimer Kita-Innenausbaus der Firma Schneider hergestellt worden. Das span-
nende und anregende Farbkonzept wurde durch das FarbDesignStudio von Caparol
entwickelt. Ausgangspunkt waren Farbigkeit der Delignitplatten und die vorhandenen
Spinde. Die Subtilität des Petrolschwarz der Wand- und Deckenfarbe reagiert auf das
Resedagrün der Spinde genauso wie auf das spezifische Rostrot des Plattenwerkstoffs.
Die Farbkonzeption vermittelt zwischen den unterschiedlich farbigen „Findlingen“,
wirkt stärkend und unterstützend. Auch ist der Einsatz des frischen, hellen Mint, mit
dem die Tragstruktur belegt ist, erstaunlich und wirkungsvoll im Gesamtkontext. Wir
hoffen, mit unserer Arbeit einen Beitrag für die Änderung von Sehgewohnheiten zu lei-
sten und damit für auch für einen erforderlichen Wertewandel.
128 • AIT 4.2023