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REDINGS ESSAY
AVENUE OF THE
AMERICAS
Ein Essay von Benjamin Reding
O h, wie schön!“ So ein blöder Satz, aber mir fiel nichts Besseres ein! Was soll man schelte sie alles wieder. „Bloß nichts Langhaariges“, stöhnte sie. Die Filmfeier fand im
auch sagen, wenn man an einem milden Herbstabend aus dem dämmrigen Dun-
Galerienviertel auf der Lower East Side statt. In einem dieser weißen, kühlschrank-hellen,
kel der U-Bahn steigt, eine schmutzige Treppe erklimmt und am Times Square in New vollverglasten Erdgeschossläden. Und sie war schwer zu finden, schienen doch hinter
York herauskommt? Und sich eine neue Welt ausbreitet: warm, dicht, summend, hu- allen Schaufenstern dieselben Gruppen moderner, kunstinteressierter Menschen zu ste-
pend, glitzernd, flackernd, der Boden zitternd, der Himmel rot leuchtend. Coco hielt sich hen. „Hey, it´s over there!“ Jemand brüllte es neben mir, mit einer Emphase, als stünde
die Hand vor den Mund. „Sind die Abgase so schlimm?“ Sie hatte mich gar nicht gehört. Beyoncé auf der anderen Straßenseite. Es war unser langhaariger Gastgeber, heute aber
„Oh, wie im Film“, sagte sie und drehte sich um die eigene Achse. „Wir müssen ins im Anzug, was ihn wie einen russischen Anarchisten kurz vor der Oktoberrevolution aus-
MoMA, auf´s Empire State Building und in den Central Park, an diesen Teich, wo alle sehen ließ. Er schob uns durch die Glastür, grüßte hierhin und dorthin, filmte mit seiner
Filme spielen.“ „Alle?“, fragte ich. „Na, fast alle“, sagte sie und lächelte. „Des is scho Super-8-Kamera. Und er hatte Glück, es gab dort viele Langhaarige, jung und unbe-
schee hier.“ Faust stand nah an einem Schaufenster, spannte den Oberkörper und be- schwert und schön. Nur einmal geriet ein Grauhaariger dazwischen. „I.B. Herman, Actors
trachtete befriedigt die Spiegelung. Sein Fränkisch klang hier so fremd wie ein Kinderlied Agent“, wie er sich ungefragt vorstellte. Ein Endfünfziger mit Maßanzug, Solariumsbräune
auf einem Heavy-Metal-Konzert. Faust war kein Schauspieler, nicht wie Coco, die schon und Zahnpastalächeln. Er drückte mir so fest die Hand, dass die Finger schmerzten und
fürs Fernsehen gearbeitet hatte; er war Laie und Boxer und hatte in meinem Film einen gab allen Anwesenden seine Business Card: Montgomery Build., 722 Avenue of the Ame-
jungen, zornigen Schläger gemimt. Seit den gemeinsamen Dreharbeiten nannten wir uns ricas, 27th floor, Office Suite 401, New York, NY. Goldbuchstaben im Prägedruck auf Samt-
bei den Spitznamen: Coco, weil die harten Kanten ihres papier. Dann sah ich ihn Coco die Hand geben; sie verzog
Gesichts, so sagte sie, an Coco Chanel erinnerten, und ihr Gesicht dabei. „I´m I.B. Herman and I´ll be your man!“
Faust, na klar warum. Mich nannten sie, etwas weniger Er lachte laut über seinen Witz. Dann ließ er ein paar be-
fantasievoll, Benne. „Benne, ich muss in N.Y. (Sie sagte kannte Schauspielernamen fallen, natürlich waren alle
N.Y.!) unbedingt eine Kate-Spade-Handtasche kaufen und Klienten seiner Agentur. „Oh Mann, was für ein Aufschnei-
einen Agenten finden. Ohne Agenten geht in den States der.“ Ich wollte es Coco sagen, aber sie war schon im Ge-
(Sie sagte States!) nix.“ Coco hatte die Kritik gelesen. Un- spräch mit I.B. vertieft, dann wollte ich es Faust sagen,
seres Films! Im Hollywood Reporter! Die Kritik war freund- aber er flirtete mit einer Frau, die Sofia Coppola verblüf-
lich, besonders zu ihr: „She makes the silverscreen shine.“ fend ähnlich sah, und dann bekam ich Hunger und ging
Sie hatte den Artikel ausgeschnitten und schaute ihn wie- zum Buffet und stopfte mir drei Marzipankugeln auf ein-
der und wieder an, sich vergewissernd, wie einen Tipp- mal in den Mund. Und starb. Fast. Es war kein Marzipan,
schein mit sechs Richtigen. „Coco, das ist so ein klitze - es waren Wasabi-Kugeln. Und während ich auf dem Klo
kleines Arthouse-Filmfestival, da wird es keine wichtigen unter Schmerzen, die den Rahmen dieser Darstellung bei
Agenten geben.“ Sie schaute mich enttäuscht an. „Und so weitem übersteigen würden, meinen Mund ausspülte, sah
eine Handtasche, die bekommst Du auch im Netz und um ich im Spiegel links von mir einen Mann, der Josh Hartnett
die Hälfte billiger.“ Sie schüttelte den Kopf. „Aber dann ist Foto: Benjamin Reding ähnelte, und dann rechts von mir einen älteren Herrn,
sie doch nicht aus New York.“ Unser Festival war so klein, dessen Charaktergesicht dem von Bill Murray glich, und
dass es keine Hotelzimmer zahlte, sondern die Gäste bei plötzlich wurde mir klar, dass diese Menschen ihnen nicht
Privatleuten einquartierte, wie uns bei einem jungen Filmenthusiasten mit langen, wu- ähnlich sahen, sondern sie waren. Sofia Coppola war Sofia Coppola und die Klienten des
scheligen Haaren, der Super-8-Filme sammelte. Nur Super-8-Filme, in denen Langhaa- Herrn Herman wirklich seine Klienten. Ich erschrak! Unter Montgomery Building hatte mir
rige dabei waren. Auf Hochzeitsfeiern, Einschulungen, Urlauben und allerlei Privatem. einen Art-Deco-Palast vorgestellt, aber es war nicht mehr als ein 1960er-Jahre-Hochhaus
Manche Filmbilder vergrößerte er und heftete sie an die Wände seines Apartments: lang- mit Rasterfassade und gläserner Eingangshalle. Coco kam spät. „Na, siehst du was?“ Ich
haarige Soldaten, Priester, Teenager, Hippies, Lehrer und Polizisten. „Ist das da der Cen- schaute sie an. „Nein.“ „Ach, ihr merkt sowas nie.“ Sie ging auf die Fahrstühle zu. „In 20
tral Park?“ Coco stand am Fenster, reckte sich. „Was sonst?“ Unser Gastgeber konnte Minuten bin ich zurück.“ Jetzt sah ich es, sie hatte sich eine Handtasche gekauft, irgend-
Deutsch. Coco schob das Fenster nach oben, schloss die Augen und sog die Luft ein. etwas Längliches in Lila und Lack. „Good luck!“, rief ich, aber da hatten sich die Lifttüren
„Wow, so nah ... Da treffen wir uns, wenn wir in New York mal verloren gehen, ja?“ Unser schon hinter ihr geschlossen. Coco kam nicht wieder. Auch nach einer Stunde nicht. Also
Gastgeber grinste, wir nickten. Und weil das Festival so winzig war, gab es auch keine fuhr ich den 27. Stock und klopfte an die Office-Tür 401. Eine Sekretärin antwortete. „May
Premieren, roten Teppiche, kein Blitzlichtgewitter, sondern nur eine bunte Papiertüte mit I help you? Mr Herman? He´s lunching out. The Lady ... ? Ah, the German actress, yes, she
drei Einladungen: 1. Zur Probe eines Wodkas (dessen Name so absichtsvoll russisch left 20 minutes ago.“ Ich lief die Avenue of the Americas hoch bis zum Central Park. Und
klang, dass er niemals wirklich von dort sein konnte). 2. Zu einem Gratisbesuch im New ja, da saß sie, auf einer Parkbank am Pond, dem Teich aus „allen Filmen“. „Na, wie ist es
York Zoo und 3. zu einer echten Filmparty! Immerhin, so behauptete es der Kartentext, gelaufen? Bist Du in seiner Agentur?“ Sie betrachtete die Schwäne. „Nein, ich wollte
ginge es um den neuesten Film von Sofia Coppola. „Sofia Coppola? Himmel! So kann ich nicht.“ „Warum?“ Coco zögerte, dann sagte sie es klar und entschieden: „Ich mochte ihn
doch nicht dahin latschen.“ Coco betrachte sich im Badezimmerspiegel, beäugt von lang- nicht.“ Danach schwieg sie und betrachtete wieder die Schwäne. Sie zogen Kreise und
haarigen Super-8-Akteuren. „Wenigstens eine Handtasche muss her.“ Coco legte ihre putzten ihr Gefieder. „Hey, Du siehst toll aus, mit Deiner neuen Tasche.“ Sie schaute hoch.
Haare gescheitelt nach links, dann nach rechts, dann wieder nach links. „Coco, das sind „Ja ... echt? Ist vintage.“ Und dann, ihre Stimme fasste sich: „Jetzt muss ich mir noch einen
Vorpremierentermine. Da kommen nur die Lichtleute und Kabelträger.“ „Und Agenten, Hut dazu kaufen. Und einen Schal. Kommst du mit?“ „Na klar.“ „Du Benne, der Central
ganz bestimmt.“ Coco versuchte einen Bubikopf, zupfte sich einen Pony, dann verwu- Park, der ist wie im Film!“ Sie schloss die Augen und sog fest die Luft ein.
050 • AIT 4.2020