Page 129 - AIT0420_E-Paper
P. 129

Foto Gründungspartner: Maurice K. Grünig, Zürich
                                                                           Entwurf • Design Architektur: Ernst Niklaus Fausch Partner AG,
                                                                           CH-Zürich; Innenarchitektur: Verena Frey, CH-Aarau
                                                                           Bauherr • Client Givaudan AG, CH-Kemptthal/Lindau
                                                                           Standort • Location Kemptpark, CH-Kemptthal/Lindau
                                                                           Fotos • Photos Johannes Marburg, CH-Genf
                                                                           Mehr Infos auf Seite • More infos on page 150






























             Empfang: Historische Stützen mit Kapitellen • Reception: historic pillars with capitals  Mittiges Treppenhaus, zweiseitig belichtete Bürogeschosse • Office floors illuminated from two sides



             von • by Annette Weckesser
             W     Fertigsuppen und -saucen mit dem gelb-roten Logo? Nur den Wenigsten dürfte  Partner gelang es, diese einzigartige Struktur im Zuge des Umbaus und einer weiteren
                   er  kennt  sie  nicht,  die  Gewürzflaschen,  Instantsuppen  und  Brühwürfel,
                                                                           Aufstockung um zwei Geschosse zu erhalten und herauszuarbeiten. Die Schönheit und
             hingegen  bekannt  sein,  dass  Julius  Maggi  ursprünglich  die  Ernährungsweise von   Großzügigkeit der Hallen und ihrer Galerien ist auch heute noch raumprägend. Haus-
             Arbeiterfamilien verbessern wollte, als er 1896 den Mühlenbetrieb seines Vaters über-  technische Installationen an den Decken waren für die Architekten deshalb tabu. Inte-
             nahm. Dazu stellte der Unternehmer am Firmensitz im Schweizerischen Kemptthal bei  griert wurden sämtliche Heizungs-, Lüftungs-, Kühlungs-, Elektro- und Kommunikati-
             Winterthur seit 1884 zunächst ein Mehl aus eiweißreichen Hülsenfrüchten, sogenann-  onskomponenten in eigens entwickelte Brüstungselemente in den Fassaden sowie ver-
              ten Leguminosen, her. In der Folge baute Maggi sein Unternehmen zu einem der ersten  tikale Schächte im Bereich der bestehenden Treppenhäuser. Für die notwendige ther-
              industriellen Lebensmittelbetriebe der Schweiz aus. In den Anfängen des 20. Jahrhun-  mische und akustische Dämmung sorgen innenliegende Verkleidungen.
              derts entstand auf einem langgestreckten Areal, parallel zur heutigen Bahnlinie Win-
              terthur–Zürich, ein homogenes, markantes Backsteinensemble. 1947 fusionierte Maggi  Open Spaces: früher in der Produktion, heute im Büro aktuell
             mit der Nestlé AG, 2002 wurde das Kemptthaler Maggi-Areal an den Aroma- und Duft-
             stoffkonzern Givaudan veräußert. Der Standort gilt als wichtiger Zeitzeuge der Schwei-  Gemeinsam mit der Aarauer Architektin und Innenarchitektin Verena Frey entwickelten
              zer Industriegeschichte und ist als „Bundesinventar der schützenswerten Ortsbilder der  Ernst Niklaus Fausch Partner das Möblierungs- und Nutzungskonzept. Die auf Original-
              Schweiz von nationaler Bedeutung“ – kurz ISOS – klassifiziert. Einst hatten Debrun-  fotos zu erkennenden Kugelleuchten aus Porzellan interpretieren heute textile, wohn-
             ner+Blankart als Hausarchitekten das Gros des Maggi-Areals realisiert. Unter dem  lich wirkende Leuchtballons. Um den offenen Charakter der Hallen zu bewahren, wur-
             Namen „The Valley“ soll dieses in den nächsten Jahren reanimiert und zu einem hoch-  den diese entlang der Fassaden mit kompakten Arbeitsplätzen in Form von Clustern
             wertigen Standort für neue Arbeitsplätze entwickelt werden. Ernst Niklaus Fausch Part-  bespielt. Taghell belichtet und alle in Fensternähe! Da sich die bestehenden Holzfenster
             ner aus Zürich konzipierten dafür nicht nur einen neuen Master-, sondern auch einen  nicht sanieren ließen, wurden diese samt ihren Originalbeschlägen und -fenstern nach-
             Gestaltungsplan. Neubauten und Aufstockungen sollen die ursprüngliche Dichte aus  gebaut und als äußere Fassadenebene eingesetzt. Innen nehmen neue, dreifach verglas-
             den 1940er-Jahren wiederherstellen. Die vorhandene zentrale Erschließungsachse soll  te Holzfenster die alten Proportionen auf. Unter den Galerien befinden sich die Service-
             zum neuen, starken Rückgrat des Areals ausgebaut werden.      bereiche der Büros, darüber informell möblierte Kontakt- und Rückzugsbereiche. Farb-
                                                                           lich  sind  die  Akustiktrennwände  der  Cubicles  auf  die  Ziegenhaarteppiche  der
             Gebäude Nr. 1246 – einst Suppenabfüllerei und Kistennaglerei  Galerien abgestimmt. Das erste Obergeschoss bestimmen Rot-, das zweite Grüntöne.
                                                                           Die nahezu weiß gestrichenen Betondecken und -stützen sowie variierende Grautöne –
             Hinter der schnöden Gebäude-Nummerierung Nr. 1246 befindet sich die ehemalige  dunklere Polyurethanbeläge und hellere Holzverkleidungen – bilden den neutralen Hin-
             Suppenabfüllerei und Kistennaglerei, ein markanter, mit hellem Klinker verkleideter,  tergrund für die dezent-farbige Möblierung. In der zweigeschossigen Aufstockung von
             solider Baukörper. 1931 hatten Debrunner+Blackart selbigen als eingeschossigen Bau-  2019 setzt sich die Grundstruktur des Bestands konsequent und deutlich ablesbar fort.
             körper erstellt und 1940 um zwei Geschosse aufgestockt. In der Fassade ist die Höhen-  Vertikal verlegte, rot-braune Klinker betonen die Geschichte der Aufstockung, die das
             entwicklung durch den Wechsel von liegenden zu vertikalen Fensteröffnungen ables-  Gebäude erzählt. Hinter den Fassaden liegen zweigeschossige Orangerien. In diesen in-
             bar. Innen spiegeln luftige, hohe, helle Volumen – Geschosse mit Galerien – den Pro-  formellen Kontaktzonen gedeihen Pflanzen für die Aromaproduktion von Givaudan. Im
             duktionsprozess wider. Historische Fotografien zeigen, welchem Zweck diese Zwischen-  Zentrum sind auf zwei Ebenen – analog zu den Galerien des Bestands – die Sitzungsbe-
             ebenen dienten: Oben wurde angeliefert, unten abgefüllt. Auch in formal-konstruktiver  reiche und Open Spaces der Geschäftsleitung angesiedelt. Die Givaudan-Büros wurden
             Weise unterscheiden sich die Bauabschnitte: Das Erdgeschoss kennzeichnen Stützen  mit LEED-Gold zertifiziert. Das substanziell und ästhetisch nachhaltige Maggi-Erbe ist
             mit kräftigen Kapitellen, die Obergeschosse elegantere Pilzstützen. Ernst Niklaus Fausch  für einen langen Lebenszyklus gerüstet. Um Aromen geht es hier immer noch.

                                                                                                                           AIT 4.2020  •  129
   124   125   126   127   128   129   130   131   132   133   134