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Architektur • Architecture Wessel de Jonge, Wessel de Jonge Architecten, NL-Rotterdam
                                               Innenarchitektur • Interior design Odette Ex, Ex Interiors, NL-Nieuwegein
                                               Bauherr • Client Zadelhoff, Nijkerk Burgerweeshuis B. V., BPD Ontwikkeling BV
                                               Standort • Location IJsbaanpad 1, NL-Amsterdam
                                               Fotos • Photos Roos Aldershoff, NL-Amsterdam; Janita Sassen, NL-Amers foort (Porträts)
                                               Mehr Infos auf Seite • More infos on page 160





























                Aldo van Eycks Idee, das Haus wie eine kleine Stadt mit Straßen und Plätzen zu konzipieren, funktioniert bis heute. • Aldo van Eyck’s idea of designing the building like a little town with streets and squares works to this day.

                von • by Uwe Bresan
                D   as Städtische Waisenhaus in Amsterdam, das sogenannte Burgerweeshuis, ist eine  hand lung von Baudenk mälern des 20. Jahrhunderts. Unter anderem verantwortete er die
                                                                              preisgekrönten Sanie rungen des Zonnestraal-Sanatoriums in Hilversum von Jan Duiker
                    Ikone der Nachkriegsmoderne. Zwischen 1957 und 1960 von Aldo van Eyck (1918–
                1999) am südlichen Stadtrand geplant und realisiert, fand es schon bald nach seiner  und der Rotterdamer Van-Nelle-Fabrik von Brink man & Van der Vlugt. Auch bei der Sa -
                Fertig  stellung international viel Beachtung als herausragendes Beispiel des Struktu ra lis -  nierung des Waisen hauses ging de Jonge mit dem Ziel ans Werk, den ursprünglichen
                mus, einer damals neuen, parallel zur Postmoderne entstehenden Archi tektur-Strömung.  Zustand bei größtmöglichem Erhalt der Original substanz wieder  erlebbar zu  machen,
                Aufgebaut ist es aus 328 kleinen und acht großen, je weils identischen Raummodulen, die  gleich zeitig das Gebäude aber auch für eine neue, zeitgemäße Nutzung zu ertüchtigen.
                sich durch ihre Betonkuppeln in der Dach auf sicht deutlich abzeichnen. Es konnte bis zu
                125 Kinder beherbergen, die in acht Alters grup pen aufgeteilt waren. Jeder Gruppe ordnete  Wünschenswerte Konservierung und notwendige Erneuerung
                van Eyck sowohl einen umschlossenen Hof als auch eines der großen Kuppelmodule als
                individuell gestalteten Ge mein schaftsraum zu. Schlaf- und Neben räume waren im Raster  Dafür ließ er alle nachträglichen Einbauten entfernen und die Beton struktur reinigen und,
                der kleineren Kup peln und je nach Funktion durch Mauern aus Beton, Backstein oder Glas  wo nötig, reparieren. Im Inneren er hielten die Kuppeln eine neue Deckschicht aus akus -
                beziehungsweise Glas bau steinen abgetrennt. So sorgte van Eyck trotz der monotonen  tisch wirksamen Spritz putz. Alle Wand flächen, die noch erhaltenen Holz-Einbauten aus
                Grundstruktur für vielfältige Raum eindrücke und Atmo sphä ren. Den Hauptzugang plante  der Ent steh ungs zeit wie Wand schränke, Arbeitsflächen und  Wandinstallationen sowie
                der Archi tekt wiederum auf der der Stadt zugewandten Seite. Ein zweigeschossiger Wohn-  sämtliche Glas  fassun gen wur  den überarbeitet. Die Glä ser hingegen ließ de Jonge austau-
                und Ver wal tungstrakt für die 25 Betreuer und Betreuerinnen schirmte hier die Anlage zur  schen, um das Ge bäu de sowohl in ökologischer als auch in ökonomischer Hinsicht besser
                Straße hin ab. Von dem dahinterliegenden großen Hof wurde das Haus erschlossen. Für  nutzbar zu  ma chen. Ein Kompromiss  war auch die Montage  von neuen Fußboden -
                van Eyck sollte es wie eine kleine Stadt funktionieren: mit den Ge mein schafts räumen als  heizungen in den Innenräumen. Sie sind wesentlich effektiver als die ursprünglich einge-
                öffentlichen Plätzen, den Wohnräumen als kleinen Häusern und den vielfach sich verzwei-  setzten Ra dia toren, bedingten allerdings auch den Ein bau neuer Boden-Oberflächen. In
                genden Verbindungsgängen und Fluren als Straßen und Wegen.       den mit Quar zit steinen belegten „Innen straßen“ entschied sich de Jonge hingegen für den
                                                                              Erhalt der ur sprünglichen Situa tion. Dass mit dem Projekt- und Gebietsentwickler BDP ein
                Das Haus funktioniert wie eine kleine Stadt                   in Archi tek tur dingen äußerst verständiger Nutzer ge funden werden konnte, erleichterte in
                                                                              vielen Fäl len die Durch- und Um setzung von de Jonges Entscheidungen. Mit Odette Ex
                Bis in die 1990er-Jahre wurde das Waisenhaus als solches genutzt, allerdings nahm die  brach te die BDP darüber hinaus eine kompetente Innen architektin mit an Bord. Alle aus-
                Zahl der zu beherbergenden Kinder seit den 1980er-Jahren rapide ab, weshalb man bereits  gewählten Einrichtungs gegenstände, Materialien und Farben unterstützen die ursprüngli-
                damals begann, Teil bereiche des Hauses zu verändern und als Büroflächen zu vermieten.  chen Raum gedanken van Eycks. So kam auf den Büro flächen betongrauer Teppich boden
                Unter an de rem zog für mehrere Jahre mit dem Berlage Institut eine freie Architekturschule  zum Ein satz. Durch unterschiedliche Farbnuancen reagiert er auf das Raster der Decken -
                in das Gebäude ein. Mit dem Weggang des Instituts und dem Auszug der letzten Kinder  kuppeln. Dazu wurden die Arbeitsplätze mit der Boring Collection von Lensvelt ausgerü-
                begann in den späten 1990er-Jahren der zunehmende Verfall der Anlage, die inzwischen  stet. Die auf das Wesentliche reduzierten Formen der grauen Tische, Stühle, Roll container
                an einen Pro jek t ent wickler verkauft worden war. Der neue Eigen tümer vermietet das Ge -  und Papierkörbe drängen sich dem Auge nicht auf, sondern lassen den Raum an sich wir-
                bäu de zwar weiterhin, kümmerte sich jedoch wenig um dessen Erhalt. Als das Waisen -  ken. Für neue Farbakzente sorgen lediglich Akustik paneele an den Wänden. Die gewählte
                haus 2014 in den Rang eines Rijks mo numents, der höchsten Denkmalkategorie der Nie -  Farb palette ist typisch für die Ent stehungs zeit des Waisenhauses und entspricht der Ver -
                der lande, erhoben wurde, war das Gebäude in einem denkbar schlechten Zustand. Ret -  wendung von Farbe im Werk von van Eyck. In den Pausen- und Gemein schafts räumen
                tung nahte aller dings durch die neuen Eigentümer, die Immobilienfirma Brouwershoff  wiederum kamen sowohl am Boden wie auch in der Möb lierung hell gebeizte Hölzer zum
                (heu te: Zadelhoff) und die Finanzholding Nijkerk Burgerweeshuis B. V., die das Ge bäude  Einsatz. Sie sind den berechtigten Komfort-Ansprüchen der neuen Nutzer geschuldet. Sie
                im gleichen Jahr er warben. Kurz nach der Übernahme beauftragten sie den Architekten  tun auch nicht weh, sondern sind Teil einer intelligenten und vorbildlichen Revitalisie -
                Wessel de Jonge mit einer umfassenden Sa nierung. De Jonge gilt als Spezialist in der Be -  rungs strategie zwischen wünschenswerter Konservierung und notwendiger Erneuerung.



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