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WOHNEN • LIVING THEORIE • THEORY
und im Einklang mit der jeweiligen Nutzung steht. All diese räumlichen und ästhe-
tischen Bedürfnisse in einem Bestandsgebäude mit Wohn-, Geschäfts- und Büronut-
zung zusammen zu bringen war auch eine technische Herausforderung, da die sta-
tischen Reserven des Bestandes nicht auf eine Erweiterung ausgelegt waren.
Gewichtminimierung durch eine Holzkonstruktion
Die Entscheidung für eine Holzmassivkonstruktion fiel daher zu einem sehr frühen
Zeitpunkt. Dies brachte wiederum große Probleme bezüglich Brand- und Schall-
Alt-Neu-Schnitt – Aufstockungskonzept • Section old new – top-up concept schutz mit sich. Die umfassende K260-Kapselung aller Decken und Wände im 4.
Obergeschoss erlaubte die Holzsichtflächen an Wand- und Dachschrägen im 5.
Obergeschoss, die den Charakter der Räume maßgeblich prägen. Die hierfür erfor-
derlichen Brandschutzauflagen und Befreiungen (Gebäudeklasse 5) wurden in Zu-
sammenarbeit mit einer gutachterlichen Betreuung erarbeitet und umgesetzt. Schal-
lentkoppelungen zwischen den Flächen im 4. und 5. Obergeschoss verbessern den
sonst so schwierig erreichbaren Schallschutz reiner Holzbauten. Durch Dämmstär-
ken von 20 und 22 Zentimetern in Fassade und Dach, Dreifachverglasung bei allen
Fenstern und ein Lüftungskonzept mit Wärmerückgewinnung in allen Schlafräu-
men ist ein extrem guter Energiestandard gewährleistet. Während alle Schlaf-, Sa-
nitär- und Nebenräume nach Norden ausgerichtet sind, orientieren sich die im Win-
ter durchgängig beheizten Wohnräume nach Süden und können so von solaren
Wärmegewinnen profitieren. Der gute Dämmstandard und das Heizen mit Wand-
und Fußbodenheizung über Fernwärme bewirken geringe Unterhaltskosten trotz
zum Teil großer Raumhöhen. Nachhaltig und ökonomisch war vor allem die Ge-
samtbaumaßnahme, denn die Dachaufstockung in der Münchner Innenstadt hat
eine Wohnfläche von ca. 570 Quadratmetern, nach Abzug der abgerissenen Berei-
Konzeptdarstellung der flexiblen Wohnsituationen • Concept presentation of flexible living situations che des vormaligen Staffelgeschosses ergibt sich eine hochwertige Wohnflächener-
weiterung von 350 Quadratmetern im Herzen von München.
Konvergenz und Kontrast – die Harmonisierung des Innenraums
Das fließende Raumkonzept des Innenraumes sollte auch durch die Materialwahl und
die Formensprache der Einbauten unterstützt und verstärkt werden, die im Wechsel-
spiel mit den Oberflächen der konstruktiven Bauteile stehen. So setzt sich die ge-
kalkte Eiche von Kücheninsel, Schrankwand und Sockelband nur leicht vom weiß ge-
ölten Eichenboden und den Fensterrahmen ab. Dieses Band, das als Sideboard an der
betongrauen Brandwand beginnt, als mit Schubladen unterbaute Schwelle Richtung
Terrasse weiter führt, mündet als Sitzbank mit schräger Lehne in der Küchenarbeits-
platte Richtung Fenster und Ausblick. Das fast 20 Meter lange Einbauelement ist mit
grau-blauem Jurakalk belegt, der in seiner Marmorierung sowohl das Farbspektrum
der gekalkten Eiche und der unbehandelten Fichtendecke als auch die Grautöne des
Betons der Brandwände in sich trägt. Der Kamin und die Galerie auf der gegenüberlie-
genden Seite sind aus Brandschutzgründen mit Gipsfaserplatten verkleidet, gespach-
telt und mit abgetöntem Weiß gestrichen. Dieser Farbton wird von der angrenzenden
Im Einklang mit dem Holz: Kamin und Galerie in Weiß • In harmony: fireplace and gallery painted white Regalwand, der Kücheneinbauwand und dem großen Schiebeelement zwischen Küche
und Diele wiederum übernommen, die aus weiß lasiertem Birkenschälfurnier erstellt
Kräftiges Schwarz im Kontrast zum sanften Farbverlauf • Striking black in contrast to the soft colour gradient sind. Während die Schiebeelemente der Regalwand aus schalltechnischen Gründen
mit cremeweißem Filz belegt sind, ordnet sich der warmgewalzte Stahl der Inselar-
beitsplatte wiederum dem Grauspektrum von Beton und Jurakalkstein zu. Einen etwas
dunkleren Kontrast bilden die Stahlarbeiten an Treppengeländer und Innenvergla-
sung, die aus rohem Schwarzstahl erstellt sind, und in der angrenzenden, mit Tafel-
farbe gestrichenen Gipsfaserwand eine Fortsetzung finden. So bilden alle verwendeten
Materialien einen Farbenkanon von Schwarz über Grau und Beige bis hin zum Altweiß
der Trockenbauwände. Dieses Spektrum wird vorrangig durch die materialspezifische
Erscheinung der verschiedenen Baustoffe hervorgerufen und bewirkt hierdurch flie-
ßende Farb- und Materialübergänge, die von Sanftheit und Natürlichkeit geprägt sind.
Im Gegensatz zu den warmen Tönen Innen bringt die papierartig erscheinende Stahl-
blechhülle der Fassade eine sanfte Kühle mit sich, die durch ihre matte Oberfläche jede
ungewollte Reflexion verhindert, und so die im Innenraum geschaffene Identität nach
Außen trägt. Es entstehen Räume, die als eine Art bewegte Skulptur wahrgenommen
werden – eine Skulptur, deren organische Erscheinungsform das rationale Bestandsra-
ster überwindet, die aber dennoch eine Brücke zwischen Neuem und Bestehendem
schlägt, und das Ineinandergreifen von Innen und Außen ermöglicht.
114 • AIT 3.2022