Page 104 - AIT0322_E-Paper
P. 104

WOHNEN • LIVING

































            MARYLAND HOUSE

            IN LONDON



            Entwurf • Design Remi.C.T Studio, GB-London


            Kein neuer Nachbar ist gern gesehen, wenn er laut, aufdringlich
            und angeberisch ist. Die junge Architektin Remi Connolly-Taylor
            hat beim Neubau ihres eigenen Wohnhauses mit Atelier im East
            Londoner Stadtteil Maryland also einiges richtig gemacht: Ihr er-
            stes Projekt fügt sich rücksichtsvoll in die benachbarte Bebauung
            ein und überrascht mit viel Charme, Offenheit und Pragmatismus.



            von • by Kira Sophie Kawohl
            L  ondon hat es nicht leicht. Seit Jahrzehnten wächst die Bevölkerung rasant, gleichzei-
               tig wird nicht genügend neuer Wohnraum geschaffen. Worin Architektinnen und Ar-
            chitekten sich einig sind: Mikrohäuser und Nachverdichtungen können der städtischen
            Wohnungsnot entgegenwirken. Wie eine solche kosten- und zeiteffiziente Nachverdich-
            tung in Ballungszentren gelingen kann, zeigte Remi Connolly-Taylor kürzlich mit der Er-
            richtung ihres eigenen Wohnhauses in einer East Londoner Baulücke. Die junge Archi-
            tektin und Projektentwicklerin konnte in kurzer Bauzeit einen pfiffigen Holzrahmenbau
            mit Klinkerriemchen-Fassade realisieren, der sich behutsam zwischen die angrenzenden,
            zweigeschossigen Reihenhäuser fügt. Um deren Bauhöhe nicht zu überschreiten und
            dennoch möglichst viel natürlich belichtete Wohnfläche zu generieren, ließ die Absolven-
            tin der New Yorker Columbia University ein drei Meter hohes Untergeschoss anlegen und
            den geradlinigen Baukörper an mehreren Stellen aufschneiden: Ein durch Glasbausteine
            geöffneter Lichthof im hinteren Gebäudeteil versorgt alle drei Ebenen mit reichlich Hel-
            ligkeit. Im Süden ist ein großzügiger Außenbereich mit Blick auf die benachbarten Vor-
            gärten entstanden, im Westen eine breite Dachterrasse. Die typische Raumabfolge der
            umliegenden „Terraced Houses“ hat Remi hier frech auf den Kopf gestellt: Als integraler
            Bestandteil ihres Lebensstils ist der Arbeitsbereich im lichtdurchfluteten Dachgeschoss
            untergebracht. Die privaten Schlafräume befinden sich im Erdgeschoss, das Unterge-
            schoss nimmt eine goldene Wohnküche auf. Ja, so lässig sind die innenarchitektonischen
            Details und farblichen Akzente im „Maryland House“, wo sich eine knallrote Treppe aus
            dünnem, perforiertem Stahlblech wie ein gefaltetes Band durch die Vertikale des Hauses
            zieht und das Wasser direkt aus goldenen, außerhalb des Wandaufbaus installierten Lei-
            tungen fließt. Die Tatsache, dass diese Extravaganzen allerdings subtil im Inneren ausge-
            spielt werden, macht das ganze Projekt sympathisch und uneitel. Damit ist auch der ge-
            stalterische und gesellschafliche Drahtseilakt gelungen, ein ausgefallenes Architektinnen-
            Häuschen in die gleichförmige Bebauung einer Reihenhaussiedlung zu integrieren.

            104 • AIT 3.2022
   99   100   101   102   103   104   105   106   107   108   109