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Hendrik Bohle Adolf Loos
1974 geboren, studierte Architektur, Projektarchitekt bei internationalen 1870 geboren in Brno 1933 gestorben in Kalksburg/Wien, Architekt, Archi-
Bauprojekten, Stadtforscher mit Schwerpunkt Istanbul und Autor für tekturkritiker und Kulturpublizist, Wegbereiter der modernen Architektur,
Fachpublikationen, Digitalmagazin The Link, lebt und arbeitet in Berlin bekannteste Werke: Haus am Michaelerplatz in Wien, Villa Müller in Prag
Holzböden, Fenster und Türen wurden aufwendig renoviert • Floors, windows and doors have been renovated. Blick vom Wohn-/Essbereich Richtung Terrasse • View from the living-/dining area towards the terrace
von • by Hendrik Bohle, Berlin
D ie Tschechoslowakai galt in den 1920er- und 1930er-Jahren als eine der wirtschaftlich Die Katastrophe
aufstrebenden Nationen Europas. Zugleich war die noch junge Nation eine der Keim-
zellen der europäischen Avantgarde, von der bildenden Kunst über die Literatur, das The- 1938 wurde das sogenannte Münchner Abkommen beschlossen. Die Tschechoslowakei
ater, Film und Musik bis hin zu Design und Architektur. In Prag, Brno und Zlín entstanden musste das Sudetenland an die Nazis abtreten mit katastrophalen Auswirkungen auch
wegweisende Bauwerke der Moderne. Neben tschechoslowakischen Baumeistern bauten für Kunst und Kultur. Die Familie Winternitz bewohnte die Villa noch bis 1941. Dann
auch renommierte Architekten aus dem Ausland. 1929 gelang Ludwig Mies van der Rohe wurde sie gezwungen, das Anwesen an die „Zentralstelle für jüdische Auswanderung in
mit der ikonischen Villa Tugendhat in Brno ein Paukenschlag. Fast zeitgleich entstand in Böhmen und Mähren“ zu übergeben. Die Familie blieb bis 1943 in Prag, wurde dann nach
Prag die Villa Müller von Adolf Loos und Karel Lhota. Loos gilt heute als Wegbereiter der Auschwitz deportiert. Josef Winternitz und sein Sohn Peter wurden nach der Ankunft in
europäischen Moderne. „Ornament ist ein Verbrechen,“ war sein Credo. Die schlichten der Gaskammer ermordet. Seine Frau Jenny und Tochter Suzana wurden zur Zwangsar-
Fassaden und seine Idee des Raumplans, die er in der luxuriösen Prager Villa kunstvoll auf beit eingeteilt, wo sie bis zum Kriegsende unter schwersten Bedingungen überlebten.
die Spitze trieb, wirken bis heute nach. Die etwas bescheidenere Villa Winternitz entwarfen Nach der Befreiung kehrten beide nach Prag zurück. Die Heimkehr in ihre Villa blieb
Loos und Lhota ebenfalls. Sie war bisher eher unbekannt – zu Unrecht. ihnen allerdings verwehrt. Die neuen kommunistischen Machthaber erkannten zwar das
Recht auf Rückgabe an und erneuerten die Eigentumsrechte, verhängten jedoch eine
Die Villa schamlos hohe Steuer und weitere Zahlungsverpflichtungen. Da beide weder über ein
Einkommen noch über weiteren Besitz verfügten, sah sich Jenny Winternitz gezwungen,
1931 beauftragte der jüdische Rechtsanwalt Dr. Josef Winternitz beide für die Planung das Haus der tschechoslowakischen Regierung als Schenkung zu überschreiben. Die
eines 533 Quadratmeter großen Hauses für sich, seine Frau Jenny sowie seine Kinder Stadt Prag hatte die Villa bereits zuvor von der Nazi-Behörde gekauft und nutzte das
Suzana und Peter. Das großzügige und mit Obstbäumen bestandene Grundstück liegt an Anwesen noch bis 1997 als Kindergarten. Jenny und Suzana betraten die Villa nie wieder.
einem Hang im Stadtteil Smíchov. Hier hoch über der Prager Altstadt ließen sich in den Die wechselvolle Geschichte des Hauses geriet in Vergessenheit. Das Haus verfiel.
Zwischenkriegsjahren zahlreiche Wohlhabende neue Anwesen errichten. Loos‘ letztes
Haus entstand in nur einem Jahr, einschließlich aller Vorbereitungen, Genehmigungen Die Wiederbelebung
und Pläne. Auf teure Baumaterialien wie Marmor oder edle Hölzer wurde verzichtet. Den
schlichten Eingang positionierten die beiden Architekten an der linken Seite das Hauses. Erst 1989 zeigte Suzanna Angehörigen ihr altes Heim. Die Türen blieben ihr bis zu ihrem
Über das Vestibül gelangt man entweder hinunter in die Hausmeisterwohnung oder über Tod 1991 jedoch verschlossen. Im Rahmen der Restitution wurde die Villa erst 1997 den
die schmale Treppe hinauf in den Wohnbereich des Hauses. Der Raum hat eine imposan- Nachkommen zurückgegeben. 1999 veranstaltete die Familie ein erfolgreiches Kulturfes-
te Höhe und breitet sich auf einer Grundfläche von etwa 100 Quadratmetern über zwei tival. Es entstand der „verrückte Traum“, so David Cysar, der Urenkel des Erbauers, die
Ebenen aus. Vor der beinahe vollständig verglasten Südseite erstreckt sich eine breite Ter- Villa als Galerie zu öffnen. Zwischen 1999 und 2002 ließ sein Vater mithilfe eines Teams
rasse. Einige Stufen erhöht befindet sich ein kleinerer Wohn- und Essbereich, der durch von Loos-Experten das Haus rekonstruieren. Als Stanislav Cysar 2016 starb, versprach
eine Tür mit der Küche verbunden ist. Durch die verspiegelten Einbaumöbel wirkt der ihm sein Sohn David, sich weiterhin um die Villa zu kümmern. Zusammen mit seiner
Raum noch luftiger. Die originalen Holzböden, Fenster und Einbauten wurden aufwen- Frau Kristina Cysarová entschied er sich, den Traum Wirklichkeit werden zu lassen. Sie
dig restauriert. Bis auf wenige Erinnerungsstücke der Familie gehören die freistehenden öffneten das Haus zunächst für eine Woche der Öffentlichkeit. Es kamen mehr als
Möbel jedoch nicht zur ursprünglichen Ausstattung. Die Schlafräume und Badezimmer in 5000 Besucher. „Die Energie der Menschen gab uns die Kraft, das Haus permanent
den oberen Etagen sind relativ klein. Den Abschluss bildet die weitläufige Dachterrasse, zu öffnen“, so Cysar. „Wir wollten ein Museum schaffen, das den Besuchern das Gefühl
die nach Süden hin ausgerichtet einen umlaufenden Blick auf die Stadt gewährt. gibt, zu Hause zu sein.“ Mission geglückt. Die Gäste können sitzen, wo immer sie wollen.
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