Page 34 - AIT0118_E-Paper
P. 34

SERIEN FRAU ARCHITEKT  • MS. ARCHITECT




















               Foto: TU Dresden, Fotothek des Instituts für Baugeschichte   Abbildung aus: Innen-Dekoration 1909  Eines von vielen Berliner Landhäusern • One of many Berlin country houses: Haus Pesber












                                                                             „Mit großem Takt ging sie auf die Wünsche
               Nobel und ernsthaft • Noble and serious: Viktoria Studienhaus Charlottenburg (1916)
                                                                             der Bauherren ein...“

               Häuser ähnelten denen von anderen bekannten Architekten der Zeit. Woran liegt diese
               Diskrepanz? Die These wäre: Im Kontext der Frauenbewegung betrat Emilie Winkelmann
               zwar nicht bautypologisch, aber inhaltlich Neuland, womit sie rückblickend für bestimm-  Repertoire gehörte. Spätestens das 1910 fertiggestellte Leistikowhaus in Charlottenburg,
               te Aspekte gesellschaftlicher Modernisierung anschlussfähig wird und für ein Fort schritts -  ein fünfgeschossiger Komplex mit großzügigen Mietwohnungen, führt das eindrücklich vor
               modell in Anspruch genommen werden kann. Bei den anderen Bauaufgaben bietet sich  Augen. Winkelmann nahm hier offenkundig Maß am gleichzeitigen Reform wohnungs bau
               diese Möglichkeit vordergründig nicht. Zumindest war Winkel mann keine explizite Neutö -  von den nicht weit vom Leistikowhaus entstehenden großen Wohn häusern an der Reichs -
               nerin im Sinne von Hermann Muthesius, auch beteiligte sie sich nicht an programmati-  straße und am Kaiserdamm. 1910 standen alle diese Bauten noch nahezu allein auf weiter
               schen Debatten. Diese Haltung korrelierte aber zweifellos mit den Absichten ihrer Auftrag -  Flur, es waren zeichenhafte Außenposten einer kommenden Großstadt bildung. Gleiches
               geber: Emilie Winkelmann baute für Literaten, für Bildungs bürger und für den Landadel,  gilt für das 1914–16 ebenfalls in Charlotten burg errichtete Viktoria-Studien haus (heute Haus
               also nicht für die Geschäftsleute und Bankiers und auch nicht für die Paradiesvögel aus  Ottilie von Hansemann), ein Wohnheim mit Bildungs- und Freizeitein rich tungen für knapp
               der Kulturszene. Im Grunde hatte Emilie Winkel mann eine ähnliche Klientel wie Paul  100 Studentinnen, das für Emilie Winkel mann zu einem ihrer wichtigsten Projekte wurde.
               Schul tze-Naumburg: seriös und gebildet, gut situiert und statusbewusst, Reformen gegen -  Auch in diesem Fall ging es um eine zeichenhafte großstädtische Setzung und um die
               über durchaus aufgeschlossen, aber im Grunde dem Alther gebrachten verpflichtet.   Formulierung eines gesellschaftlichen Anspruchs – eine Heraus forde rung,  der Winkel -
                                                                             mann dadurch begegnete, dass sie sich gestalterisch deutlich von typologisch verwandten
               ... ein von den inneren Abläufen her gedachtes Bauen          Sozialbauten absetzte, die kurz zuvor entstanden waren. Emilie Winkel mann wählte für
                                                                             ihr Studienhaus den Bautyp des vornehmen Hotels: eine symmetrische Putzfassade mit
               Bei genauerem Hin schauen wird klar, dass Emilie Winkelmann sich intelligent und mit  zwei  Eckrisaliten, die erdgeschossig durch eine  Werkstein kolonnade verbunden  sind,
               großem gestalterischem Gespür zwischen dem Überkommenen und dem Neuen beweg-  einem  auf Werkstein konsolen  vorkragenden Balkon  vor dem obersten Geschoss des
               te. Sie hielt sich an Konventionen, benutzte diese aber so, dass in jedem Einzelfall eine  zurückgesetzten Mittel teils und einem Konsol gesims als Abschluss. Der nahezu völlige
               subtile Neupositio nierung sichtbar wurde. „Mit großem Takt ging sie auf die Wünsche des  Verzicht auf weiteres Dekor verleiht dieser klassizistischen Geste eine Aura von Noblesse,
               Bauherrn ein und verstand dieselben dann doch in ihrem Sinne zu modifizieren, sodass  zugleich aber auch von Ernsthaftigkeit. Hier ging es nicht mehr nur um bloße Unter -
               sich letztlich ihr Stil durchsetzte.“ Winkelmann versuchte also, nicht programmatisch  bringung, sondern um die vorbildhafte bauliche Umsetzung eines der modernen Gesell -
               anders, aber in der Sache unprätentiös besser zu entwerfen als ihre Architektenkollegen  schaft entspringenden neuen Lebens ent wurfs. Die zeittypische Vereinfachung der Formen
               in der Nachbar schaft; auf diese Weise schuf sie immer wieder eine unaufgeregte, aber  war kein Armutszeugnis, sondern Ausdruck einer durchaus gewollten Monumen talisie -
               durchaus  wahrnehmbare  Individualität.  Ihre  Berliner  Landhäuser  sind  dezent  in  den  rung des Alltäglichen.
               jewei ligen Quartierkontext eingebettet; sie sehen folglich in Grunewald und Zehlendorf
               anders aus als in Dahlem oder im Westend. Allen gemeinsam ist die Abkehr vom üppi-  Das lange 19. Jahrhundert – Fortentwicklung des Bewährten
               gen, neureich wirkenden Historis mus. Ihre Entwürfe basieren auf einem ausgeprägten
               Sinn für Propor tionierung, Funktionalität und Materialität, nicht auf einer vorgefassten  Emilie Winkelmann wuchs im Deutschen Kaiserreich auf und absolvierte ihr Architek tur -
               Ordnungs- oder Gestaltidee. Sorgfältig konstruiert und handwerklich solide ausgeführt,  studium zu dem Zeitpunkt, als der Wilhelminische Staat seine größte politische und wirt -
               präsentieren die Bauten keine neuartigen oder spektakulären Raumlösungen, aber ein  schaftliche Macht erreicht hatte. Menschlich wie beruflich war sie also von dieser Epoche
               von den inneren Abläufen her gedachtes Bauen. Auch nach dem Ersten Weltkrieg blieb  geprägt, und vieles spricht dafür, dass sie auch nach 1918 dem Gesell schafts modell und
               sie  diesem  Ansatz  treu:  Das  1926  gebaute  Landhaus  für  Irmgard  Bennaton  in  Berlin-  den Haltungen der Kaiserzeit verpflichtet blieb, einschließlich der Klientel, für die sie als
               Westend ist in seiner Grund haltung zwar konservativ und unverkennbar klassizistisch,  Architektin tätig wurde. Der formal avantgardistische, technisch und handwerklich aber
               vermeidet aber den pathetischen Gestus. Der Verzicht auf Gesimse, die abgerundeten  nicht immer überzeugende Auftritt des Neuen Bauens lag offenkundig nicht auf ihrer Linie;
               Gebäudeecken, die Klapp läden und der kleine Seitenerker mildern den „preußischen  ihr ging es stets um Sachlichkeit, um unaufdringliche Evolu tion und um die nachhaltige
               Stil“ durch Akzente süddeutscher Verbindlichkeit. Das bedeutet allerdings nicht, dass  Fortentwicklung des Bewährten. Das „Haus der Frau“ auf der Bugra-Ausstellung in Leipzig
               Emilie Winkelmann nur eine Spezialistin für Zurück haltung gewesen wäre. Im Gegenteil:  1914, das einzige der vielen von Winkelmann entworfenen Gebäude, das geradezu plaka-
               Sie hat mehrfach bewiesen, dass auch der repräsentative Auftritt zu ihrem gestalterischen  tiv nach Reformarchitektur aussah, war insofern sogar eher ungewöhnlich für ihr Werk.



               034  •  AIT 1/2.2018
   29   30   31   32   33   34   35   36   37   38   39