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SERIEN FRAU ARCHITEKT • MS. ARCHITECT
Foto: TU Dresden, Fotothek des Instituts für Baugeschichte Abbildung aus: Innen-Dekoration 1909 Eines von vielen Berliner Landhäusern • One of many Berlin country houses: Haus Pesber
„Mit großem Takt ging sie auf die Wünsche
Nobel und ernsthaft • Noble and serious: Viktoria Studienhaus Charlottenburg (1916)
der Bauherren ein...“
Häuser ähnelten denen von anderen bekannten Architekten der Zeit. Woran liegt diese
Diskrepanz? Die These wäre: Im Kontext der Frauenbewegung betrat Emilie Winkelmann
zwar nicht bautypologisch, aber inhaltlich Neuland, womit sie rückblickend für bestimm- Repertoire gehörte. Spätestens das 1910 fertiggestellte Leistikowhaus in Charlottenburg,
te Aspekte gesellschaftlicher Modernisierung anschlussfähig wird und für ein Fort schritts - ein fünfgeschossiger Komplex mit großzügigen Mietwohnungen, führt das eindrücklich vor
modell in Anspruch genommen werden kann. Bei den anderen Bauaufgaben bietet sich Augen. Winkelmann nahm hier offenkundig Maß am gleichzeitigen Reform wohnungs bau
diese Möglichkeit vordergründig nicht. Zumindest war Winkel mann keine explizite Neutö - von den nicht weit vom Leistikowhaus entstehenden großen Wohn häusern an der Reichs -
nerin im Sinne von Hermann Muthesius, auch beteiligte sie sich nicht an programmati- straße und am Kaiserdamm. 1910 standen alle diese Bauten noch nahezu allein auf weiter
schen Debatten. Diese Haltung korrelierte aber zweifellos mit den Absichten ihrer Auftrag - Flur, es waren zeichenhafte Außenposten einer kommenden Großstadt bildung. Gleiches
geber: Emilie Winkelmann baute für Literaten, für Bildungs bürger und für den Landadel, gilt für das 1914–16 ebenfalls in Charlotten burg errichtete Viktoria-Studien haus (heute Haus
also nicht für die Geschäftsleute und Bankiers und auch nicht für die Paradiesvögel aus Ottilie von Hansemann), ein Wohnheim mit Bildungs- und Freizeitein rich tungen für knapp
der Kulturszene. Im Grunde hatte Emilie Winkel mann eine ähnliche Klientel wie Paul 100 Studentinnen, das für Emilie Winkel mann zu einem ihrer wichtigsten Projekte wurde.
Schul tze-Naumburg: seriös und gebildet, gut situiert und statusbewusst, Reformen gegen - Auch in diesem Fall ging es um eine zeichenhafte großstädtische Setzung und um die
über durchaus aufgeschlossen, aber im Grunde dem Alther gebrachten verpflichtet. Formulierung eines gesellschaftlichen Anspruchs – eine Heraus forde rung, der Winkel -
mann dadurch begegnete, dass sie sich gestalterisch deutlich von typologisch verwandten
... ein von den inneren Abläufen her gedachtes Bauen Sozialbauten absetzte, die kurz zuvor entstanden waren. Emilie Winkel mann wählte für
ihr Studienhaus den Bautyp des vornehmen Hotels: eine symmetrische Putzfassade mit
Bei genauerem Hin schauen wird klar, dass Emilie Winkelmann sich intelligent und mit zwei Eckrisaliten, die erdgeschossig durch eine Werkstein kolonnade verbunden sind,
großem gestalterischem Gespür zwischen dem Überkommenen und dem Neuen beweg- einem auf Werkstein konsolen vorkragenden Balkon vor dem obersten Geschoss des
te. Sie hielt sich an Konventionen, benutzte diese aber so, dass in jedem Einzelfall eine zurückgesetzten Mittel teils und einem Konsol gesims als Abschluss. Der nahezu völlige
subtile Neupositio nierung sichtbar wurde. „Mit großem Takt ging sie auf die Wünsche des Verzicht auf weiteres Dekor verleiht dieser klassizistischen Geste eine Aura von Noblesse,
Bauherrn ein und verstand dieselben dann doch in ihrem Sinne zu modifizieren, sodass zugleich aber auch von Ernsthaftigkeit. Hier ging es nicht mehr nur um bloße Unter -
sich letztlich ihr Stil durchsetzte.“ Winkelmann versuchte also, nicht programmatisch bringung, sondern um die vorbildhafte bauliche Umsetzung eines der modernen Gesell -
anders, aber in der Sache unprätentiös besser zu entwerfen als ihre Architektenkollegen schaft entspringenden neuen Lebens ent wurfs. Die zeittypische Vereinfachung der Formen
in der Nachbar schaft; auf diese Weise schuf sie immer wieder eine unaufgeregte, aber war kein Armutszeugnis, sondern Ausdruck einer durchaus gewollten Monumen talisie -
durchaus wahrnehmbare Individualität. Ihre Berliner Landhäuser sind dezent in den rung des Alltäglichen.
jewei ligen Quartierkontext eingebettet; sie sehen folglich in Grunewald und Zehlendorf
anders aus als in Dahlem oder im Westend. Allen gemeinsam ist die Abkehr vom üppi- Das lange 19. Jahrhundert – Fortentwicklung des Bewährten
gen, neureich wirkenden Historis mus. Ihre Entwürfe basieren auf einem ausgeprägten
Sinn für Propor tionierung, Funktionalität und Materialität, nicht auf einer vorgefassten Emilie Winkelmann wuchs im Deutschen Kaiserreich auf und absolvierte ihr Architek tur -
Ordnungs- oder Gestaltidee. Sorgfältig konstruiert und handwerklich solide ausgeführt, studium zu dem Zeitpunkt, als der Wilhelminische Staat seine größte politische und wirt -
präsentieren die Bauten keine neuartigen oder spektakulären Raumlösungen, aber ein schaftliche Macht erreicht hatte. Menschlich wie beruflich war sie also von dieser Epoche
von den inneren Abläufen her gedachtes Bauen. Auch nach dem Ersten Weltkrieg blieb geprägt, und vieles spricht dafür, dass sie auch nach 1918 dem Gesell schafts modell und
sie diesem Ansatz treu: Das 1926 gebaute Landhaus für Irmgard Bennaton in Berlin- den Haltungen der Kaiserzeit verpflichtet blieb, einschließlich der Klientel, für die sie als
Westend ist in seiner Grund haltung zwar konservativ und unverkennbar klassizistisch, Architektin tätig wurde. Der formal avantgardistische, technisch und handwerklich aber
vermeidet aber den pathetischen Gestus. Der Verzicht auf Gesimse, die abgerundeten nicht immer überzeugende Auftritt des Neuen Bauens lag offenkundig nicht auf ihrer Linie;
Gebäudeecken, die Klapp läden und der kleine Seitenerker mildern den „preußischen ihr ging es stets um Sachlichkeit, um unaufdringliche Evolu tion und um die nachhaltige
Stil“ durch Akzente süddeutscher Verbindlichkeit. Das bedeutet allerdings nicht, dass Fortentwicklung des Bewährten. Das „Haus der Frau“ auf der Bugra-Ausstellung in Leipzig
Emilie Winkelmann nur eine Spezialistin für Zurück haltung gewesen wäre. Im Gegenteil: 1914, das einzige der vielen von Winkelmann entworfenen Gebäude, das geradezu plaka-
Sie hat mehrfach bewiesen, dass auch der repräsentative Auftritt zu ihrem gestalterischen tiv nach Reformarchitektur aussah, war insofern sogar eher ungewöhnlich für ihr Werk.
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