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Emilie Winkelmann
1875 geboren in Aken 1902 Architekturstudium TH Hannover 1907 eigenes Architekturbüro in Berlin 1914
„Haus der Frau“ auf Buchgewerbe-Ausstellung in Leipzig, Vorentwurf für das „Haus der Freundschaft“ in Istan -
bul 1916 Viktoria-Studienhaus in Charlottenburg 1928 Aufnahme in BDA 1951 gestorben in Hovedissen
Längst überfällig, aber nicht zu spät – hat sich das Deutsche Archi -
tektur museum (DAM) in Frankfurt um die Stellung der Frau im Innen-
/Architekturberuf verdient gemacht. Mit einer bemerkenswerten Aus -
stellung, die noch bis zum 8. März im DAM zu sehen ist, und mit einer
sehr gelungenen Zusammenfassung in Buchform wird unter dem Titel
„Frau Architekt“ verdienten Kolleginnen gehuldigt. Wir starten unse-
re neue, gleichnamige Serie mit dem (gekürzten) Beitrag von Kunst -
historiker Hans-Georg Lippert über Emilie Winkelmann.
Long overdue, but not too late – the Deutsches Architekturmuseum
(DAM) in Frankfurt has paid tribute to the position of women wor-
king as interior designers and architects. With a remarkable exhibi-
tion, which can still be seen in the DAM until 8th March, and with a
very accomplished summary in book form with the title “Frau
Architekt” deserving female colleagues are being honoured. We Foto: TU Dresden
start our series under the same heading with a (abridged) contribu-
tion on Emilie Winkelmann by art historian Hans-Georg Lippert. „Haus der Frau“ – Modellbau von Studenten der TU Dresden • ... – model constructed by students
„Haus der Frau“, Buchgewerbe-Ausstellung Leipzig (1914) • ..., book-trade exhibition Leipzig (1914)
von • by Hans-Georg Lippert
I m 19. Jahrhundert erlangte das Fach Architektur nach und nach den Rang einer uni-
versitären Disziplin; den Endpunkt dieser Entwicklung markierten das Promotions -
recht und die Einführung des Diploms, das auch dem nicht im Staatsdienst tätigen
„Privat architekten“ einen akademischen Abschluss bereitstellte. Emilie Winkelmann,
geboren 1875 in Aken unweit von Dessau, gestorben 1951 in Hovedissen bei Bielefeld, war
die erste Frau in Deutschland, die vor diesem Hintergrund eine Laufbahn als freiberufliche
Architektin einschlug. Die Stationen ihrer Biografie sind gut erforscht: Eine ruhige
Kindheit, dann die handwerkliche Ausbildung und Mitarbeit im großelterlichen Zim merei -
betrieb, schließlich, nachdem ihr Bruder die vom Großvater übernommene Firma hatte
verkaufen müssen und die junge Emilie Winkel mann offensichtlich kein konventionelles
bürgerliches Dasein als vom Mann versorgte Ehefrau anstrebte, das Architek tur studium Foto: Archiv der Buchgewerbe, Band 52
als eine Art Flucht nach vorne. Das war ein sehr mutiger Ansatz, denn um 1900 waren
Frauen in Deutschland faktisch noch nicht als Studierende an wissenschaftlichen
Hochschulen zugelassen; sie konnten gegebenenfalls bestimmte Vorlesungen und Semi -
nare besuchen, benötigten dafür aber jeweils eine Sondererlaubnis.
Nach fünfjährigem Architekturstudium ohne formellen Abschluss Umbau einer Hotelpension (ein Projekt, das ihr den Kontakt zu zahlreichen späteren
Auftraggebern vermittelte). Außerdem nahm sie an wichtigen Ausstellungen teil und lie-
Emilie Winkel mann gelang die Immatrikulation an der TH Hannover. Ab 1902 absolvierte ferte 1914 einen Vorentwurf für das geplante deutsche Kulturhaus („Haus der Freund -
sie ein vollständiges fünfjähriges Architekturstudium, allerdings nur als „Hospitantin“, das schaft“) in Istanbul. 1928, mit 53 Jahren, wurde sie in den BDA aufgenommen. Leider gibt
heißt, ohne die Möglichkeit eines formellen Abschlusses. Die Einzelfall-Zulassung zum es nach wie vor kein detailliertes Werkverzeichnis: Das Berliner Büro wurde im Zweiten
Diplom wurde ihr verweigert. Daraufhin verließ sie Hannover und eröffnete 1907 in der Weltkrieg zerstört, und auch viele Bauakten sind vernichtet worden. Wir kennen das
boomenden Groß stadt Berlin ein Architekturbüro. Da die Berufsbezeichnung „Architekt“ Œuvre von Emilie Winkelmann deshalb vor allem dank der zeitgenössischen Rezeption
erst 1933 durch die neu gegründete Reichskulturkammer geschützt wurde, konnte sie sich und der Erinne rungs berichte von Bauherren und Bau herrinnen sowie aufgrund von kur-
Architektin nennen, auch wenn sie den Titel der „Diplomingenieurin“ nicht führen durfte. zen Auflistungen ihrer Projekte, um die sie verschiedentlich gebeten wurde. Emilie
Besonders in den Anfangsjahren war ihr Büro sehr erfolgreich und beschäftigte phasen- Winkelmann gilt in mancher Hinsicht als Prototyp einer akademisch ausgebildeten
weise bis zu 15 Mitarbeiter und Mitarbeite rinnen. Nach 1918 wurde die Auftragslage deut- berufstätigen Frau unter den Bedingungen des Wilhelminischen Kaiserreichs. Die dama-
lich schwieriger, aber dank ihres Bekannt heitsgrads und des zwischenzeitlich aufgebau- ligen Beobachter beschreiben sie durchweg als eine beeindruckende, ganz der Sache des
ten persönlichen Netzwerks – in dem auch die Frauenbewegung eine wichtige Rolle spiel- Bauens verpflichtete Persönlichkeit, die vollständig in ihrem Beruf aufging und kaum
te – hielt Winkelmann sich trotz ernster gesundheitlicher Probleme bis in die 1940er-Jahre andere Interessen pflegte. Ihre Bauten für die Frauenbewegung (1914 das „Haus der Frau“
hinein wirtschaftlich über Wasser. Sie hat also letztlich rund 30 Jahre lang als freischaf- auf der Internationalen Buchgewerbe-Ausstellung in Leipzig, der Lyceum-Klub in Berlin-
fende Architektin gearbeitet und in dieser Zeit eine große Anzahl vielfältigster Projekte rea- Tiergarten und die Ruhestandswohnungen für berufstätige Frauen in Potsdam-Nowawes,
lisiert: Landhäuser und Villen für das wohlhabende Berliner Bürgertum, Herrenhäuser 1916 das Viktoria-Studienhaus in Berlin-Charlottenburg) sind schon verschiedentlich ana-
und landwirtschaftliche Bauten für den norddeutschen Landadel, Fest- und Veranstal - lysiert und bewertet worden. Die zahlreichen von Winkelmann entworfenen Wohn häuser
tungs säle, Geschosswohnungsbau, Gemein schaftseinrichtungen und Wohnheime, Aus - hingegen werden nur selten Gegenstand der Betrachtung, und die Äußerungen dazu
stel lungs bauten und Musterhäuser, daneben Fabrikgebäude, Lagerhallen und den beschränken sich meist auf kurze Beschreibungen sowie den pauschalen Hinweis, die
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