Page 2 - AIT0925_NovaGorica
P. 2

Tanja Pabelick

                                                                                                                                      Foto: www.vipavskadolina.si
                                 2002–2004 Studium Landschaftsarchitektur an der TU Berlin bis 2010 Studium Produktdesign an der UdK Berlin 2006 (Mit-)
                                 Gründung der Plattform Designjournalists seit 2010 Freie Redakteurin für Design- und Architekturmagazine mit den Schwerpunk-
                                 ten Baukultur, Stadtplanung, Interior Design, aktuelle Diskurse und Zukunftsprognosen





















            Foto: Miran Kambic, SI-Ljubljana                                                                                          Foto: Miran Kambic, SI-Ljubljana







             Das von Vinko Glanz entworfene Rathaus (1) wurde 1948 erbaut. • The town hall (1), designed by Vinko Glanz  Mit wabenförmigen Loggien ähnelt das Cebelnjak (2) einem Bienenstock. • Honeycomb-shaped loggias



            W     ährend Slowenien mit seinen fantastischen Nationalparks, dem eisblauen Fluss   (Kidriceva ulica 18) von Ernest Bregant aus dem Jahr 1962, das mit seinen bunten, waben-
                  Soca und der entspanntesten Hauptstadt Europas Ljubljana auf der Bucket List  förmigen Loggien an den namensgebenden Bienenstock erinnert.
             vieler Reisender steht, fahren die meisten an der Grenzstadt Nova Gorica einfach vorbei.   r 11 Uhr — Trinken Sie den ersten Kaffee wie viele BürgerInnen Nova Goricas auf dem
             In diesem Jahr ist das anders, denn Nova Gorica ist gemeinsam mit der italienischen   Bevkov Platz (3), dem zentralen Stadtplatz. Seit seiner umfassenden Renovierung im Jahr
             Schwesterstadt Gorizia (und Chemnitz) Europäische Kulturhauptstadt 2025. Ein genaue-  2014 ist er mit seiner großen Pflasterfläche, dem Brunnen und den vielen Sitzgelegen-
             rer Blick lohnt sich also, denn obwohl der Ort noch nicht einmal 80 Jahre alt ist, verbirgt   heiten zu einem kollektiven Wohnzimmer geworden. Das Interieur der Pizzeria Le Cité
             sich hinter seiner jungen Fassade eine außergewöhnliche und vielseitige Geschichte: Das   (4) (Bevkov trg) mit seinen smaragdgrünen Fliesen soll derweil an die Farbe des Flusses
             benachbarte Gorizia, das heute auf italienischer Seite liegt, gehörte einst als Görz zu  Soca erinnern. Es wurde vom ortsansässigen Designstudio Kreadom entworfen, das auch
             Österreich-Ungarn. Nachdem die Grenze nach dem Zweiten Weltkrieg neu und endgül-  die Räume des sich in der Nähe befindenden Restaurants Soca (5) (Rejceva ulica 1a)
             tig gezogen worden war, blieb Gorizia in Italien, und Jugoslawien beschloss daraufhin,  gestaltet hat. Hier gibt es guten slowenischen Burek.
             auf seiner Seite eine neue Stadt zu bauen, die als „sozialistisches Schaufenster für den   r 12 Uhr — Bis 13 Uhr hat die Landwirtschaftliche Genossenschaft Zadruga Tolmin (6)
             Westen“ dienen sollte. Der Entwurf wurde dem Architekten Edvard Ravnikar übertragen,   (Kidriceva ulica 20) geöffnet. Sie vertreibt Produkte der Bauern aus den Gemeinden Tol-
             der als Schüler Le Corbusiers auf eine funktionale Organisation, große Gesten wie eine   min, Kobarid, Bovec und der Banjšice-Hochebene und macht mit fantastischem Käse,
             zentrale Magistrale und viel urbanes Grün setzte. Einige Wohnblöcke wurden schnell  exzellentem Olivenöl – das slowenische Öl gilt als eines der besten der Welt – und Pršut,
             errichtet, dann geriet das Projekt jedoch ins Stocken. Anstatt den Masterplan zu vervoll-  dem lokalen Schinken, schnell klar, warum Slowenien mittlerweile als kulinarische Spit-
             ständigen, wurden immer neue Planer beauftragt, die die Baulücken im Laufe der Jahr-  zendestination gilt. Danach geht es zum MTC-Kaufhaus (7) (Bevkov trg 6), das 1968 von
             zehnte bedarfsorientiert mit Einfamilienhäusern, Supermärkten, Wohnblöcken und vor   Kamilo Kolaric entworfen wurde. Mit seinen Zementrahmen, der Fassade aus braunen
             allem Casinos füllten. Aufgrund seiner strategischen Grenzlage wurde Nova Gorica in den   Ziegelplatten und schrägen Verschattungsblenden ist es ein Wahrzeichen der Stadt.
             1980er-Jahren so als das „Las Vegas des Ostens“ bekannt, bis die Wirtschaftskrise und   r 16 Uhr — Das Knjigarna kavarna Maks (8) (Delpinova ulica 10) ist eine Kombination aus
             die Öffnung der Grenzen zu einer kulturellen Neuorientierung führten. Heute kommen   akademischer Buchhandlung und designaffin eingerichtetem Café. Hier können Sie bei
             die Besuchenden wegen der Kulinarik des nahe gelegenen Vipava-Tals und wegen des  einem Getränk an Tischchen und auf Sofabänken in unzähligen Architekturbüchern und
             wärmsten Wetters Sloweniens, aber auch, um die architektonische Geschichte der Stadt   Fachmagazinen über Nova Gorica und Slowenien blättern.
             zu entdecken – von Ravnikars Planstadt bis zu den ikonischen Casinokomplexen.  r 19 Uhr — Etwas außerhalb des Zentrums liegt das mit einem Michelin-Stern ausgezeich-
                                                                          nete Restaurant DAM (9) (Ulica Vinka Vodopivca), das sich auf Fischgerichte spezialisiert
             Samstag: Von Architektur bis Genuss                          hat. Der Eigentümer, Koch und Novogoricani Uroš Fakuc begrüßt jeden Gast persönlich,
                                                                          führt durch seine Kunstsammlung und serviert das beste Frühstück der Stadt. Sie sollten
             r 10 Uhr — Ein guter Startpunkt für einen Stadtrundgang ist das Bronzemodell von Ravni-  also unbedingt im angeschlossenen Boutique-Hotel übernachten.
             kars Masterplan, auf dem die zwei Kilometer lange Magistrale mit öffentlichen Gebäuden
             und Ladenzeilen maßstabsgetreu zu sehen ist. Von dieser Ursprungsvision wurde jedoch  Sonntag: Zwischen Stadtplanung, Casinos und Grenzenlosigkeit
             wenig realisiert. Das von hier sichtbare Rathaus (1) (Trg Edvarda Kardelja 1) ist allerdings
             Teil des stadtplanerischen Gesamtprojekts. Es wurde 1948 von Vinko Glanz entworfen  r 10 Uhr — Ein ruhiger Sonntagvormittag bietet den perfekten Rahmen für einen Archi-
             und ist mit seiner klaren Fassadenstruktur aus roh behauenem Stein ein Beispiel für die   tekturspaziergang auf den Spuren der slowenischen Moderne. Los geht es an den Rus-
             Tradition der Plecnik-Schule. Sie sollten unbedingt hineingehen und sich die Bodenmo-  sischen Apartmentblocks (10) (Delpinova ulica 18), den Wohngebäuden aus der Feder
             saike anschauen! Gleich gegenüber liegt das Geschäfts- und Wohngebäude Cebelnjak (2)  Ravnikars. Hier zogen 1950 auch die ersten BürgerInnen von Nova Gorica ein. Damals

                                                                                                                          AIT 9.2025  •  035
   1   2   3   4