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Alvar Aalto Hendrik Bohle
1898 in Kuortan/Finnland geboren 1916-1921 Architekturstudium Helsinki 1974 geboren, studierte Architektur, Projektarchitekt bei internationalen
1927 Büro in Turku mit Ehefrau Aino Marsio 1933 Gründung Artek 1952 Bauprojekten, Stadtforscher mit Schwerpunkt Istanbul und Autor für Fach-
Heirat mit Elissa Mäkiniemi 1976 in Helsinki/Finnland gestorben publikationen, Digitalmagazin The Link, lebt und arbeitet in Berlin Foto: Jan Dimog
Hendrik Bohle und Jan Dimog - The Link
Fotos:
Blick in den allseits umschlossenen, erhöhten Patio • View into the completely enclosed, raised patio Curia: Neuinterpretation italienischer Hügelstädte • Curia: re-interpretation of Italian hill towns
von • by Hendrik Bohle, Berlin
A lvar Aalto zählt unbestritten zu den einflussreichsten Architekten der europäischen besuchen jährlich etwa 3000 bis 4000 Menschen Säynätsalo. Der Tod seiner geliebten
Moderne. Sein Schaffen spannt sich von den frühen 1920er-Jahren bis zu seinem
Frau Aino war 1949 gewissermaßen ein Wendepunkt im Leben Alvar Aaltos. Bereits zu
Tod 1976 und darüber hinaus. Gemeinsam mit seinen beiden Frauen Aino und Elissa hat seiner Zeit in Boston hatte er die „Rote Phase“ eingeleitet. Ziegelstein war in den 1940er-
er mehr als 200 Bauwerke errichtet, darunter sechs in Deutschland. Hinzu kommen 300 und 1950er-Jahren sein bevorzugtes Baumaterial. Aus ihnen formte er monumentale, frei
nicht realisierte Bauten sowie Entwürfe für Möbel, Leuchten und Glasobjekte. Stilprägend ausgreifende Baukörper, die er mit verschiedenartigen Öffnungen aufbrach und durch-
waren seine organischen Linien, kennzeichnend seine tiefe Verwurzelung in der finni- schnitt. So auch beim Rathaus von Säynätsalo. Aalto gewann den geladenen Wettbewerb
schen Natur, einfallsreich seine Verwendung und Verarbeitung natürlicher Materialien. 1949 mit einem Entwurf, den er bezeichnenderweise Curia nannte. Die sorgfältige Kom-
Aalto setzte schon früh entscheidende Impulse für ein nachhaltiges und menschen- position der Bauteile ist unverkennbar als eine Neuinterpretation italienischer Hügel-
freundliches Bauen, die Generationen von Architektinnen und Architekten bis heute prä- städte zu lesen. Sie hatten Aalto auf seinen Reisen durch Italien tief beeindruckt. Das En-
gen. Zu Recht läuft unter dem Titel „The Architectural Works of Alvar Aalto – a Human Di- semble besteht aus vier Flügeln, die einen erhöhten Patio umgeben, der nach außen mit
mension to the Modern Movement“ derzeit ein UNESCO-Welterbeantrag Finnlands auf hohen Wänden abgeschlossen ist und alles Leben nach innen zieht. Zwei Treppenanla-
Anerkennung seiner künstlerischen Kraft und herausragenden Rolle für die Architektur gen führen zu beiden Seiten auf den höher gelegenen Platz. Der Turm des Ratssaals über-
des 20. Jahrhunderts – so wie es bereits Le Corbusier (2016) und Frank Lloyd Wright (2019) ragt die gesamte Anlage. Im Zentrum platzierte er einen Brunnen und den Bronzeguss
bescheinigt wurde. Der Prozess ist langwierig und ein bürokratischer Kraftakt. Wichtige „Tänzer“ des Bildhauers Väino Aaltonen. An sonnigen und warmen Midsommar-Tagen
Bausteine auf diesem Weg ist das bürgerschaftliche Engagement der lokalen Bevölkerung träumt man sich hier unweigerlich an eine mediterrane Piazza.
sowie die Sensibilisierung der Öffentlichkeit für den Erhalt des Bauwerks. Ein wichtiger
Akteur auf diesem Weg sind Harri Taskinen. Er zog vor etwa sechs Jahren nach Säynät- Magisch nächtigen im Gesamtkunstwerk von Alvar Aalto
salo. Auf der Suche nach einem Büroraum stieß er auf das verwaiste Rathaus. Was war
geschehen? Nachdem Säynätsalo 1993 in das benachbarte Jyväskylä eingemeindet Aalto gestaltete das Rathaus als ein Gesamtkunstwerk, von der städtebaulichen Figur
wurde, zogen die MitarbeiterInnen nach und nach aus. 2015 ging das Licht aus. Das Haus bis zu den Türklinken und der eleganten Ausstattung mit viel Kiefernholz und Leder. Er
stand ein Jahr nahezu leer. Zwar war der kulturelle Wert des Gebäudes allen bewusst – soll mehr als 200.000 Ziegelsteine geordert haben, um eine perfekte Auswahl an Far-
es wurde 1994 unter Denkmalschutz gestellt –, doch gab es keine Ideen, es zu bewirt- bigkeit und Oberflächenstruktur treffen zu können. Die Möbel in den Besprechungsräu-
schaften. Taskinen und die Stadt einigten sich nach kurzen Verhandlungen darauf, dass men und in den Fluren gestaltete Artek-Designerin Maija Heikinheimo. Beinahe alles
er einen Arbeitsraum in dem Gebäude bekam. Als Gegenleistung sollte er sich um das hier ist noch im Original erhalten. Notwendige Veränderungen in der Bibliothek, den Bü-
Haus kümmern und es offenhalten für interessierte Besucher. Taskinen ist kein Architekt roräumen sowie in den Gästezimmern wurden mit besonderer Sorgfalt in die Architektur
oder Kunsthistoriker. Sein Wissen um Aalto begrenzte sich zunächst, wie er selbst sagt, einfügt, ohne die fein austarierte Atmosphäre zu stören. Es war auch Taskinens Idee, in
auf das eines jeden Finnen. Schließlich besitzt jeder Haushalt im Land einen Stuhl oder den ursprünglichen Wohnungen Übernachtungsmöglichkeiten anzubieten. Von den Zim-
eine Vase von den Aaltos. Mit der Zeit arbeitete er sich in das Thema ein. Bei unserem mern fällt der Blick auf die Piazza oder in den angrenzenden Kiefernhain. Bezogen wer-
Besuch durchs Haus strahlt Taskinen. Er lebt für das Haus, scheint jede Schraube zu ken- den können Übernachtungsmöglichkeiten für bis zu vier Personen inklusive eigener
nen, jede Ecke zu jeder Tageszeit. Seine Leidenschaft, die Magie des Hauses zu vermitteln, Küche. Auf Wunsch kann auch ein Zusatzbett in Kindergröße zugestellt werden. Das
ergreift auch uns. Er sei überrascht gewesen, wie viele Menschen von weither gereist hauseigene Café bietet Frühstück und kleinere Speisen an. Säynätsalo ist ein magischer
kamen, um das Rathaus zu besichtigen. Also entschied er sich, sich weiterzubilden, sein Ort. Und wie gelänge es besser, dies zu erfahren als hier zu übernachten im Tahiti des
erworbenes Wissen zu teilen in Führungen, Vorträgen und Publikationen, auch um es Päijänne-Sees. Good to know: Noch bis zum Herbst 2023 ist das Alvar-Aalto-Museum
denjenigen zugänglich zu machen, die über kein explizites Fachwissen verfügen. Heute von Jyväskylä im Rathaus von Säynätsalo untergebracht.
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