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Mariella Schlüter
1989 in Bottrop geboren 2009 Abitur am St. Matthias-Gymnasium in Gerolstein 2009–2013 Architekturstudium an der Bauhaus-Universität Weimar, B.Sc. 2010 Praktikum im Architekturbüro Modersohn & Freiesleben in
Berlin 2013 Praktikum bei Schlenker Architekten in Villingen-Schwenningen 2014 Architekturstudium an der Universität Stuttgart 2014–2016 wissenschaftliche Hilfskraft am Städtebau-Institut bei Prof. Franz Pesch und Prof.
Martina Baum 2016 Praktikum in der Redaktion AIT in Leinfelden-Echterdingen 2016 Abschluss an der Universität Stuttgart, M.Sc.
gangsbereich wurde rechtwinklig zugemauert. Weitere äußere Um bau maß nah men –
wie die Begradigung der Treppen haus ver gla sung an der Nord fassade oder das Um man -
teln des offenen Glockenturms – ließen den ursprüng lichen Stil vollständig ver schwin -
den. 1944 wurde die Brenzkirche durch Luft angriffe schwer beschädigt, doch schon zwei
Jahre später im veränderten Zustand von 1939 wieder aufgebaut. Auch hier übernahm
Rudolf Lempp die Bau lei tung und ver änderte dieses Mal nicht nur das äußere
Erscheinungsbild der Kirche, sondern auch den Gemeinde saal selbst. Die asym-
metrische Ausrichtung durch die west liche Be lichtung, die Daiber für den Ge meindesaal
vorgesehen hatte, wandel te Lempp durch eine gleichwertige Fensterreihe an der Ost fas -
sade um. Durch die Auf nahme in die Liste der Kulturdenkmäler 1983 wurde der
umgestaltete Zustand der Brenz kir che manifestiert. In der Gemeinde kam jedoch die Foto: Evangelische Nordgemeinde Foto: Mariella Schlüter
Frage auf, wel chen ge schicht lichen Teil des Kirchen baus man hätte schützen sollen. Als
Be grün dung für die getroffene Entscheidung wurde der sichtbare Kampf des Dritten
Reiches gegen die moderne Kunst her an geführt. Zustand von 1933 und heute • State in 1933 and today
Ak zeptanz ihrer kontinuierlichen Ver änderung
Im Innenhof wird die runde Ecke wieder aufgegriffen. • The rounded corner is found again in the courtyard.
Selten folgen Ver än der ungen reibungslos aufeinander - weder gesellschaftlich, poli-
tisch noch architektonisch. An einem Ge bäude ver deutlicht zum Beispiel der Über -
gang eines historischen Bauabschnittes und einer additiven Neuerung diese Ver -
änderung. Ob diese verbindende Situation nun positiv oder ne ga tiv ins Auge fällt - sie
ist immer die Be son der heit am Gebauten. Der Übergang macht durch den ersten
Moment der Irritation auf sich aufmerksam und wird interessant, wenn der Be -
obachter sich mit dem Gesehenen auseinandersetzt. Ob die ein zelnen Bauteile naht-
los an einander anschließen, durch die Fuge von einander abgesetzt oder der Abstand
im klaren Nebeneinander ge sucht wurde, ist für das entstehende Gesamtbild ent -
scheidend, weil sie eine Haltung zur Geschichte des Gebäudes zeigen. Die Formen der
bau lich sichtbaren Ak zep tanz von Ge schich te lassen ein historisches Gebäude zu
einem Bauwerk der Gegenwart werden. Mit diesem Ge dan ken, der die Ver voll komm -
nung im Aufzeigen dieses Prozesses sieht, wurde auch der Um- und Weiterbau der
Ein Lichtband betont die Asymmetrie des Gemeindesaals. • A band of light emphasizes the asymmetry.
Brenzkirche in der Arbeit angegangen.
Geschichte produziert Schichten
An der Brenzkirche ist heute nur eine Schicht der Zeit ablesbar, was das Verstehen
die ses Gebäudes für unsere Gesellschaft erschwert. Nar rativ die Geschehnisse eines
Bau werkes in all seinen Zeitabschnitten gleichwertig für die kommenden Ge nera -
tionen of fen zu legen, ist im Fall der denk mal ge schützten Brenz kirche ein theore ti -
scher An satz. Die Re kon struktion – das Wie der zu sam men fügen – kann im Fall des
Kirchenbaus das Nach erzählen ihrer Geschichts schichten bedeuten. Jede ihrer bau -
lichen Pha sen hat ihre Berechtigung und könnte in der zeitlichen Rei hen folge zum
Aus druck kommen. In der erste Bauphase wurde das Haus der Ge meinde errichtet,
was im Stil der Mo derne rekonstruierbar wäre, weil die runde Ecke und das Flach -
dach, sowie die ur sprüng lichen Fensteröffnungen noch vorhanden sind. Es wäre eine
Re kon struk tion im Sinne einer Subtraktion, damit etwas darunter Liegendes zum Vor -
schein kommen kann – wie bei einem archäologischen Vorgang. In der zweiten Bau -
phase wurde das Pfarr haus errichtet. Dieser Bauteil könnte demnach mit dem aufge-
setzten Sat tel dach erhalten bleiben. Das Er wei tern des Kir chenbaus zu einem Ge -
mein de zen trum mit Kin der gar ten, weiteren Ver samm lungs räumen und einer Ge mein -
de bib lio thek würde den heu tigen An for derungen der gewachsenen Gemeinde ent -
sprechen. Die An ein an der reih ung von Re kon struktion, Erhalt und Erweiterung wäre
eine nach voll zieh bare Wieder gabe des ge schichtlichen nahtlosen Werdeganges. Die
ein schnei den den Ereignisse stellen die irritierenden Brüche im Zeit lauf dar. Warum
sollte man sie im Nachhinein nicht auch als sol che erkennen dürfen?
AIT 5.2017 • 069