Page 2 - AIT0420_VilleBenkemoun
P. 2
Émile Sala (1913-1998)
1938 Diplom an der Ecole des Beaux-arts in Paris 1942 Architekturbüro in
Faverges 1946-1954 Mitarbeit beim Wiederaufbau von Dünkirchen 1956 Ar-
chitekturbüro in Paris 1961 Übernahme eines Architekturbüros in Arles
Das Wohnzimmer geht nahtlos in den Außenbereich über. • The living room merges into the outdoor area. Den raumhohen Kamin gestaltete der Metallkünstler Max Sauze. • The fireplace was designed by Max Sauze.
von • by Jan Neflin
D er gut erhaltene römische Altstadtkern, eine reiche Kunsttradition und ein in- chummantelter, doppelgeschossiger Kamin, gestaltet von dem französisch-algeri-
schen Künstler Max Sauze. Ein absolutes Unikat! Genau das trifft auch auf die Villa
ternational bekanntes Fotografiefestival – das südfranzösische Arles übt seit
jeher einen ganz besonderen Reiz auf die zahlreichen Besucher und Kunstschaffen- Benkemoun zu! Das Bauwerk, das vor allem durch Eigenheiten und Besonderheiten
den aus, die das Städtchen Jahr für Jahr besuchen. So auch auf das Ehepaar Simone besticht, kann als ein Manifest für seine Zeit bezeichnet werden. Als 1972 – noch
und Pierre Benkemoun, die 1962 aus Algerien nach Arles übersiedelten und sich kurz vor der ersten Ölkrise – mit dem Bau des Gebäudes begonnen wurde, befand
zehn Jahre später dort von ihrem Freund, dem in Arles ansässigen Architekten Emile sich Frankreich in den sogenannten „Trente Glorieuses“, den 30 Jahren wirtschaft-
Sala (1913–1998), ihr Wohnhaus bauen ließen. Das Grundstück – nicht weit von der lichen Aufschwungs nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Eine Zeit des Optimis-
Innenstadt entfernt – war mit einer Fläche von über einem Hektar der perfekte Ort mus, in der – wie es die Schriftstellerin und Journalistin Brigitte Benkemoun, die
für die Art von Architektur, die dem ehrgeizigen Sala vorschwebte. Inspiriert von Vor- Tochter der Bauherren – beschreibt, „alles möglich schien“. Es ist also kein Wunder,
bildern wie Frank Lloyd Wright oder Alvar Aalto plante Sala für seine Freunde ein dass ein Gebäude wie die Villa Benkemoun mit ihrem gewagten Grundriss, der fu-
Wohnhaus, das bereits damals durch seine außergewöhnliche wie elegante und ei- turistisch-bunten Einrichtung und den einladenden sowie extravaganten Formen
genwillige Formensprache bestach – die Villa Benkemoun. Während das hell ver- genau zu dieser Zeit entstehen konnte.
putzte Gebäude der nördlichen Seite des Grundstücks den Rücken zuwendet, um die
Bewohner vor den unnachgiebigen Windstößen des Mistrals zu schützen, öffnet es Preisgekrönt und frisch renoviert
sich zum Süden hin und bildet durch organische Ein- und Ausbuchtungen einen In-
nenhof sowie mehrere Terrassen. Wahrscheinlich spielte diese Überlegung auch eine Rolle, als das französische Kul-
turministerium dem Gebäude 2015 die prestigeträchtige Auszeichnung „Kulturerbe
Eine Oase der Ruhe – ein Manifest seiner Zeit des 20. Jahrhunderts“ verlieh. Da das Haus inzwischen ein wenig in die Jahre gekom-
men war, entschloss sich Brigitte Benkemoun gemeinsam mit ihrem Ehemann
Über diesem Ensemble von Rundungen thront der ebenfalls kreisförmig angelegte Thierry Demaizière, die Villa zu renovieren, um dieses Vermächtnis der 1970er-Jahre
Turm – eine Hommage an die klassischen provenzalischen Taubenhäuser. Wo sich wieder in neuem Glanz erstrahlen zu lassen und es im Anschluss auch der Öffent-
andere Gebäude durch klare Kanten und geschlossene Wände von den Gartenflä- lichkeit zugänglich zu machen. Das Mobiliar wurde runderneuert und um einige
chen abgrenzen, zelebriert Salas Bau die Verbindung von Innen- und Außenraum: Stücke ergänzt, ohne dass dabei jedoch der Spirit und Charme der Originaleinrich-
Die gekrümmten Wände sind von unzähligen Fensteröffnungen durchbrochen, die tung verloren gegangen ist. Gerade die Nähe zur Innenstadt von Arles macht das
Terrassen schmiegen sich an das Gebäude, und gerade die avantgardistisch runde frisch renovierte Gebäude heute zu einem beliebten Ort für kulturelle Veranstaltun-
Formensprache bezieht die großzügige Gartenflächen in das Gebäude ein, umarmt gen und Ausstellungen von Künstlern aller Art. Und nicht nur das – mithilfe des Web-
dieses mit großzügig geschwungenen Kurven und Gegenkurven. Wem es trotzdem portals urlaubsarchitektur.de ist es Architekturbegeisterten nun auch möglich, die
im Außenbereich des Gebäudes noch nicht rund genug zugeht, der wird spätestens Villa Benkemoun – mitsamt dazugehörigem Pool und weitläufigem Anwesen – für
im Inneren auf seine Kosten kommen. Elliptische, kreisrunde oder y-förmige Räume einen längeren Aufenthalt zu mieten. Vor allem für etwas größere Gruppen ist das
öffnen sich zum Garten hin und werden durch die einfallenden Sonnenstrahlen er- Gebäude, das insgesamt fünf Schlafzimmer birgt, perfekt geeignet. Neben dem Haus,
leuchtet und dynamisiert. Auch die Inneneinrichtung fügt sich in dieses bunte Ge- das jeden aufgrund seiner Bauform, Materialien, Farben und Muster in eine längst
samtbild ein. Verschiedenfarbige Möbel aus den 1970er-Jahren der Erbauung, vergangene Zeit versetzt, ist auch Arles, dank interessanter antiker Überbleibsel und
runde, futuristische Accessoires und Einbauten in Küche oder Bad, verschiedenste, spannender aktueller Bauprojekte – unter anderem ein spektakulärer Turm von
zeittypische Bodenbeläge und – das Herzstück der Innenraumgestaltung – ein ble- Frank O. Gehry – immer eine Reise wert ist.
AIT 4.2020 • 041