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SERIEN PERSPEKTIVWECHSEL • CHANGE OF PERSPECTIVE



                                                                          r Worin sehen Sie das Erfolgsrezept Ihres Verlags Hermann Schmidt?
                                                                          Nachdem wir die Buchschätze, die mein Mann als Außendienst der Druckerei gemacht
                                                                          hatte, 1992 auf der Frankfurter Buchmesse zum ersten Mal präsentiert hatten, wurden
                                                                          uns zwei Dinge klar. Erstens: Die Resonanz auf diese ganz besonders gestalteten und
                                                                          hergestellten Bücher war enorm, da lag und liegt Potenzial. Und zweitens: Schönheit
                                                                          allein ist kein Programm, wir brauchen ein klares Profil. Damals hatte der Apple Mac-
                                                                          intosh gerade seinen Siegeszug begonnen, die Menschen verfügten über eine riesige
                                                                          „Setzerei“ und hatten nicht das Know-how, sie zu nutzen. Bertram war ausgebildeter
                                                                          Schriftsetzer, Chairman des Type Directors Club of NY in Deutschland, Gründungsmit-
                                                                          glied des Forum Typografie, kurz Typografie-Maniac. Also wurde Typografie unser
                                                                          Thema. Aus der konsequenten Orientierung an den Needs und Wants der Zielgruppe
                                                                          wurde das Verlagsprogramm. Seit 30 Jahren begleiten wir nun die Zielgruppe der Krea-
                                                                          tiven durch die verschiedensten Herausforderungen und Bedingungen des Umfelds,
                                                                          immer mit dem Ziel, das Leben der Kreativen mit unseren Büchern und Kalendern
                                                                          schöner, einfacher und erfolgreicher zu gestalten. Diese konsequente Kundenorientie-
                                                                          rung scheint zu nützen. Unsere AutorInnen, die meist auch GestalterInnen sind, müssen
                                                                          die Kompetenz und Bereitschaft mitbringen, mit uns gemeinsam aus einer „Rohdia-
                                                                          manteniIdee“ einen Buchbrillanten zu schleifen.
            Foto: Bertram Schmidt-Friderichs                              r Die Liebe für das Schöne, handwerklich und inhaltlich gut Gemachte liegt Bau-


                                                                          und Buchkunst zugrunde. Worin sehen Sie Parallelen und Unterschiede?
                                                                          Bücher dürfen meines Erachtens mutiger Neues ausloten, sie dürfen frecher, frischer,

                                                                          Lebens verbringen sie im Regal. Architektur hat Bestand. Auch sie darf Neues wagen –
            Mit der Friedenspreisträgerin 2021 des Deutschen Buchhandels Tsitsi Damgerembga in der Paulskirche  freier, wo sinnvoll auch zeitgeistiger sein. Sie leben zwar lange, aber die meiste Zeit ihres
                                                                          ich fahre gerade jeden Tag am Olympiagelände vorbei, und auch nach fast 50 Jahren ist
                                                                          das, was Günter Behnisch und Frei Otto geschaffen haben, noch atemberaubend –, aber
                                                                          sie darf nicht modisch-zeitgeistig sein. Dafür werden Bauten über eine zu lange Zeit ab-
                                                                          geschrieben. Ich persönlich finde auch Materialfehler beim Bau weniger verzeihbar als
                                                                          beim Buch, selbst wenn ich mich sehr schwertue, uns Fehler zu verzeihen.

                                                                          r Hatten Sie anfangs eigentlich einen Plan B, für den Fall des Scheiterns?
                                                                          Während ich an etwas arbeite, habe ich nie einen Plan B, das würde mir die Entschlos-
                                                                          senheit und Energie rauben. Aber ich glaube „There ist always another bus“. Ich glaube
                                                                          an die Existenz eines Plan B, außer im Fall des menschengemachten Klimawandels,
                                                                          der heute so sehr mit „there is no plan B“ thematisiert wird.

                                                                          r Betrachten Sie Ihre haptisch und optisch schönen Druckwerke auch als eine Art
                                                                          Gegenentwurf oder gar als eine Bastion zum digitalen Overkill unserer Zeit?
            Schmidt                                                       Ich glaube, dass die Digitalisierung unser Leben so sehr verändert, dass wir das Hapti-
                                                                          sche, wo wir es noch nutzen, besonders zu schätzen wissen, aber ich sehe das nicht
            Foto: Verlag Hermann                                          als Gegenentwurf, sondern als Miteinander. Das Auspacken eines neuen iPhones ist üb-
                                                                          rigens ein haptisches Vergnügen. Aber lieblos gestaltete und gedruckte Bücher kaufe

                                                                          Lesen gerne so tief ein, dass ich kein Multimedia brauche. In der Lehre und in der Kin-
            Verlegerin Karin Schmidt-Friderichs im Gespräch mit KundInnen beim Open Office 2019 ...  ich nicht mehr, da lese ich den Inhalt digital oder höre. Ich selbst tauche im linearen
                                                                          derbeschäftigung gibt es aber sehr gute Beispiele für ein gelungenes Miteinander.
            ... und beim Vortrag für BuchwissenschaftstudentInnen der Universität Mainz im Verlag
                                                                          r Seit 2019 sind Sie Vorsteherin des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels.
                                                                          Damit bekleiden Sie die höchste Position in der deutschen Buchlandschaft. Wie ge-
                                                                          langten Sie zu diesem Amt, und wie sieht Ihr Aufgabenspektrum aus?
                                                                          Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels ist ein Unternehmensverband, der die
                                                                          Interessen des Buchhandels, der Verlage und des so genannten Zwischenbuchhandels,
                                                                          also der Logistik dazwischen, vertritt. Für die Position des oder der VorsteherIn können
                                                                          sich MitarbeiterInnen der Mitgliedsunternehmen zur Wahl stellen. Ende 2018 häuften
                                                                          sich die Fragen, warum ich für dieses Amt nicht kandidieren würde. Ich habe mich seit
                                                                          2003 ehrenamtlich im Verein engagiert und mir dabei wohl einen gewissen Ruf erar-
                                                                          beitet. Ich habe also kandidiert, es gab einen Mitbewerber, und am 19.06.2019 ent-
                                                                          schied sich die Hauptversammlung des Börsenvereins für mich. Nach innen moderiert
                                                                          und bündelt die VorsteherIn die divergierenden Interessen, nach außen ist es eher eine
            Schmidt                                                       repräsentative Aufgabe. Corona hat das alles etwas verändert. Das Amt in seinen Fa-
                                                                          cetten vollumfänglich zu beschreiben sprengt diesen Rahmen. Es reicht von der Tätig-
            Foto: Verlag Hermann                                          keit im Aufsichtsrat der Wirtschaftstöchter des Börsenvereins, von denen die bekann-

                                                                          teste die Frankfurter Buchmesse ist, bis zur Mitgliedschaft im Stifterrat, der die Frie-
                                                                          denspreisträgerInnen auswählt, im Fall der VorsteherIn bis zur Rede in der Paulskirche.

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