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Thomas Vietzke
1975 in Hamburg geboren 2002 Mag. arch., Universität für angewandte
Kunst Wien 2002-2010 Zaha Hadid Architects, London 2010-2014 Asso-
ciate und Büroleiter, Zaha Hadid Architects, Hamburg 2014 Bürogründung
Durchblick vom Wohnbereich in die Küche • View from the living area into the kitchen Die Überkreuzung der Schienen erlaubt Variation. • The crossing of the rails allows for variations.
töne der Wand- und Deckenoberflächen erzeugen eine ruhige meditative Grundstim- Lichtquellen, die mit spezifischen Beleuchtungsmitteln ausgestattet sind: Die Beleuch-
mung – passend dazu: die Yoga-Utensilien, die in den Raumteilern lagern. Beinahe 20 tung der großen Durchreiche zwischen Küche und Wohnzimmer wurde mit neun opti-
Kubikmeter Stauraum bieten die mobilen Wände und halten so den Innenraum frei von schen Mini-Strahlern mit gerichteten Abstrahlwinkeln von 20 und 48 Grad ausgestattet,
losen Gegenständen. Versteckte Funktionen, wie beispielsweise ein Gästebett und ein um die Objekte im Inneren zum Leuchten zu bringen. Die Mini-Strahler sind magnetisch
Schreibtisch, lassen sich bei Bedarf ausklappen. Die Idee von zwei kinetischen Wänden auf einer Roblon-Track-A-Schiene an der Oberseite der Durchreiche versetzbar. Gleich-
mit integrierten Wohnfunktionen hat durch die aktuelle pandemische Erfahrung an Be- sam sind alle Transformer-Möbelöffnungen – Schubladen, herausklappbarer Schreib-
deutung gewonnen. Neben den „Transformern“, die sich axial im Raum kreuzen, unter- tisch, Bücherregale – mit feinen eingelassenen Lichtdetails versehen. Die LED-Flexplati-
schiedliche Grundrisskonfigurationen erzeugen und das fluide Apartmentkonzept aus- nen sind in eingefräste Lichtkanäle eingelassen und erzeugen eine dezente Beleuchtung
machen, gibt es zwei fixe Einbaumöbel – die sogenannten „Anker“. Die große Schrank- der Arbeitsbereiche. An der Oberseite der Raumteiler sind dimmbare Deckenfluter an-
wand mit eingebauter Küchenzeile, die vom Eingang bis ans Außenfenster an der West- gebracht, die auf den Möbeln mitfahren und somit eine gleichmäßige indirekte Aus-
fassade führt, sowie den Sanitärbereich. Anstelle einer Fußbodenheizung kamen Bo- leuchtung des Raumes ermöglichen. Da die beiden verfahrbaren Raumteiler Beleuch-
denkonvektoren wie auch klassische Heizkörper in Cremeweiß zur Ausführung. Mit tung, Beamer und Anschlüsse für Laptops und Telefon beinhalten, sind sie mit einem
einem Rücksprung aus Nussbaumfurnier ist die Küche wie eine Intarsie in die kolossale Medienkabel ausgestattet, das sich wie ein Nabelstrang von der abgehängten Decke
Eichenholz-Schrankwand eingesetzt. Das dunkle Holz der Arbeitsplatte kontrastiert mit zum Raumteiler verhält – hinter dem dafür vorgesehenen Schlitz in der abgehängten
dem honigfarbenen Ton der Eiche. Das Spülbecken wurde aus Edelstahl gefertigt und Decke versteckt sich die Kabelschiene als Verbindung der Elektrozuleitung zum beweg-
bündig in die Arbeitsplatte eingesetzt. Alle weiteren Küchenfunktionen befinden sich lichen Transformerschrank; eine Art Kastenschleifleitung, wie man sie aus dem Kranbe-
hinter den Eichenfurnierelementen; versteckt hinter filigranem Fugenmuster. Die höl- reich kennt. Die Möbel transportieren also die diffuse Lichtquelle an der Decke mit und
zerne Schrank-, Garderoben- und Küchenwand erinnert in ihrer Eleganz und Kompakt- leuchten durch die Integration von Mini-Strahlern und LED-Flächen beziehungsweise
heit an eine Schiffskajüte. In den Sanitärbereichen setzt sich diese an den Schiffbau er- -Bändern in den Holzmöbelfugen mit gerichtetem fokussiertem Licht aus sich heraus.
innernde Handwerkskunst und Materialdisziplin – der Materialdreiklang – fort: Armatu-
ren, Betätigungsplatten und Ablagen aus Edelstahl; raumhohe, aschefarbene Naturstein- Licht aus Norden, hundert Sonnen und Lichtfilter
platten; Dielen und Unterschränke aus Eichenholz. Mit der Eleganz einer Yacht. Die Idee
des flexiblen Grundrisses und des offenen kontinuierlichen Raumflusses wird über die Die spezifische Tageslichtstimmung nahm besonders großen Einfluss auf den Entwurf.
reduzierte Form der zu bewegenden Teile unterstrichen. Hier ist nicht die Form fluide- Die großflächige nordseitige Verglasung sorgt die längste Zeit des Tages für eine ruhige
dynamisch, sondern der Raum selbst wird dynamisiert. und klare Ausleuchtung; wie in einem Atelier. Zu bestimmten Tageszeiten brechen di-
rekte Sonnenstrahlen über Reflexionen der umgebenden Neubauten in den Raum ein.
Die Raumteiler – fahrende Lichtquellen, leuchtende Fenster Diese theatralische temporäre Situation der „hundert Sonnen“ wird über die semitran-
sparenten Vorhangstoffe gefiltert und abgebildet. Eine zweite Vorhangschicht ermöglicht
Vor Ort entwickelten wir gemeinsam mit dem Lichtplanungsbüro Ulrike Brandi Licht das komplette Verdunkelung und absolute Privatheit – aufgrund der dichten Nachbarbebau-
Architektur- und Lichtkonzept. Beide Transformer-Möbel zeigen vitrinenartige Fenster, ung war dies notwendig. Der mittelgraue Farbton der Vorhänge und der helle Stoff wer-
in denen Kunstobjekte ausgestellt werden. Die Öffnungen stellen Fenster zwischen den den als gelayerte Licht– und Sichtfilter zwischen innen und außen eingesetzt. Die Far-
Innenräumen dar, die den loftartigen kontinuierlichen Raumcharakter begünstigen. bigkeit harmoniert mit den natürlichen Tönen des Apartments. In ihrer Haptik und
Geichzeitig sind die Vitrinen auch verfahrbare, Schaufenster und Durchreichen, also Oberflächenstruktur erinnern die Vorhangstoffe an die Einfachheit einer Mönchskutte.
AIT 7/8.2021 • 121