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Entwurf • Design ORA, CZ-Znojmo
Bauherr • Client Kocanda Kravsko, CZ-Kravsko
Standort • Location Kravsko 45, CZ-Kravsko
Nutzfläche • Floor space 6850 m 2
Fotos • Photos BoysPlayNice, CZ-Rožnov
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Neuer, barrierefreier Hauptzugang aus rotem Beton • New, barrier-free main entrance made of red concrete Die Wandinstallation im Foyer besteht aus alten Gussformen. • The wall installation consists of old casting moulds
von • by ORA, CZ-Znojmo
D ie Bezeichnung Kocanda-Kravsko-Komplexes bezieht sich auf den Standort der Anla- musste das sich zu einer Seite neigende Gebäude mit Stützpfeilern stabilisiert werden.
ge unweit des Dorfes Kravsko und bedeutet sinngemäß übersetzt „Gott sei Dank Die Bestandsfassade wie auch der erstaunlich intakte Dachstuhl blieben erhalten und
Kravsko“ oder auch „Zum Glück Kravsko“. Inmitten eines Weinanbaugebietes in der Regi- wahren so weitestgehend das ursprüngliche Erscheinungsbild.
on Südmähren entstand hier bereits im Mittelalter eine Poststation an der Fernstraße von
Prag nach Wien. Der historisch seither stetig gewachsene Komplex verfügt neben einem Ein 50 Meter langer Lagerbau wird zum Gästehaus
Gästehaus mit mittelalterlichen und barocken Strukturen über verschiedene Erwei-
terungsbauten aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, die den Komplex zu einer Um das etwa 50 Meter lange, aber nur sechs Meter breite Lagerhaus schlussendlich neu
industriellen Keramikfabrik ertüchtigten. Nach rund 100 Jahren der Herstellung kerami- zu nutzen, wurde das Gebäude wie eine Salami in einzelne Raumsegmente unterteilt.
scher Produkte stand die Anlage schlussendlich im Zuge eines Besitzerwechsels in den Aufgrund der schmalen Struktur erfolgte die Erschließung allerdings über eine auf der
1990er-Jahren leer und verfiel. Die Wende brachten erst die aktuellen, aus Kravsko stam- Gebäudesüdseite angebaute, zweigeschossige Galerie aus Eichenholz, die dank ihrer
menden Eigentümer, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, den Komplex mit Events, vertikalen Holzlattenverkleidung einer wettergeschützten Veranda gleichkommt. Das alte
Veranstaltungsräumen und Gästezimmern wiederzubeleben. Die Umsetzung erfolgt seit- Lager erhielt damit zum Hof des Gebäudekomplexes ein neues Erscheinungsbild. Im Kon-
her schnittweise in Zusammenarbeit mit dem Team von original regional architecture trast dazu blieb die Fassade auf der Nordseite unverändert. Lediglich aus den vorgefun-
(ORA), die sich dem Erhalt und der Pflege von regionaler und historischer Architektur- denen historischen Sprossenfenstern wurde die Einfachverglasung entfernt. Eine innen
qualität verschrieben haben. Der erste Sanierungsabschnitt von 2018 bis 2020 umfasste liegende Aufdoppelung mit neuen Fenstern sorgt für den thermischen Raumabschluss,
die Sanierung des historischen Gästehauses samt barockem Festsaal und der Installation während die alten Stahlsprossen aufgrund der niedrigen Brüstungshöhe jetzt als Absturz-
eines Restaurants samt Küche zur Vermietung als Veranstaltungs- und Hochzeitslocation. sicherung dienen. Die im Erdgeschoss befindlichen Zimmer sind helle Räume, an die sich
Der zweite, jetzt erfolgte Abschnitt widmet sich der Neunutzung dreier Fabrikgebäude. jeweils ein fensterloses Bad anschließt. Tageslicht fällt bei dieser Raumkonstellation über
eine Sprossenverglasung über den Gastraum ins Bad. Im Obergeschoss bestimmt hinge-
Neue Ordnungsstrukturen für alte Gemäuer gen die freiliegende Dachkonstruktion die Raumeindrücke. Die Bretter, die ursprünglich
den Dachspitz verkleideten, fanden unterdessen als Bodenbelag ihre neue Bestimmung.
Weithin sichtbares Wahrzeichen und Orientierungspunkt des Geländes ist der Fab- Darüber hinaus ergänzen auch hier alte Gipsformen – mal in Form von Tischen oder
rikschornstein. Unmittelbar an diesen Ankerpunkt angrenzend, findet sich die alte Lampenschirmen und mal als rein kunstvolle Skulpturen – die Raumausstattung.
Tonmischhalle, die jetzt als Empfangs- und Personalgebäude fungiert. Der dafür neu
geschaffene, barrierefreie Hauptzugang liegt an der ehemaligen Rückseite des Gelän- Geschichte soll sichtbar bleiben – weitere Maßnahmen geplant
des und weist mit einer großzügig bemessenen, roten Rampen- und Treppenanlage
aus Beton auf die aktuelle Gebäudefunktion hin. Um den Charakter und die Identität Die ehemalige Sortieranlage ist das jüngste Gebäude der Anlage. Mitte des letzten Jahr-
der Gebäude zu erhalten, wurden in der Empfangshalle sämtliche Tonmischer an ihren hunderts gebaut, schien der Industriebau wie geschaffen für eine zusätzliche Veranstal-
Standorten belassen und teilweise zu Präsentationsregalen umfunktioniert. Andere tungslocation. Das Gebäude beherbergt unter anderem ein „Gewächshaus“, das durch
vorgefundene Elemente aus der Zeit der Keramikherstellung wurden neu arrangiert den Austausch einer üblichen Dachdeckung gegen ein Glasdach entstand. Der Zugang
wie die Stahlschwellen, die nun als Empfangstresen dienen, oder die zahlreichen zum Dachgeschoss erfolgt über eine schwere, geschweißte Stahltreppe, die ihrerseits ein
Gussformen für Keramiktöpfe, die zu einer Wandinstallation aufgestapelt wurden. Für eigenständiges Kunstobjekt darstellen soll. Diese wie alle bisher erfolgten Maßnahmen
die Realisierung neuer Gästezimmer galt es, das auf der anderen Seite des Schorn- legen die Intention der Planer offen, die Geschichte und den Habitus des Komplexes zu
steins angrenzende Lagerhaus zu sanieren und umzustrukturieren. Zu diesem Zweck pflegen und sichtbar zu erhalten. Ein dritter Bauabschnitt ist nicht ausgeschlossen.
AIT 6.2024 • 115