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Entwurf • Design Victoria-Maria Geyer Interior Design, BE-Brüssel
Bauherr • Client Privat
Standort • Location CH-Erlenbach
Nutzfläche • Floor space 260 m 2
Fotos • Photos Belen Imaz, Pedro Bermejo
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Offenes Raumgefüge, plastisch modellierte Treppe • Open room structure, sculptural staircase Eingangshalle: Original-Küchenelement von Le Corbusier • Entrance hall: original kitchen element by Le Corbusier
von • by Annette Weckesser
D er Schweizer Architekt Ernst Gisel (1922–2021) formulierte das Wesen seiner Archi- Schalung stark strukturierten Sichtbetondecken. Eine offene Treppe mit massiven, an den
Stirnseiten gerundeten Brüstungen und Geländern aus Stahlrohr führt über sämtliche
tektur einmal so: „Jedes Haus ist eine Plastik“. Nach diesem Prinzip entwarf und
baute er in der Schweiz, Deutschland, Österreich und im Fürstentum Liechtenstein zahl- Ebenen. Unter dem Tonnendach liegt ein einziger, zweiseitig von Terrassen flankierter
reiche Öffentliche Bauten, darunter sein frühes Hauptwerk, das Parktheater in Grenchen Raum. Dieses starke, intakte Gefüge fand Victoria-Maria Geyer vor, als sie 2021 beauftragt
(1955), die Reformierte Kirche in Effretikon (1961) oder den Großkomplex Rathaus in Fell- wurde, eines der Häuser an die Bedürfnisse seiner neuen BewohnerInnen anzupassen.
bach bei Stuttgart (1986). Darüber hinaus verwirklichte Gisel Wohnbauten für unter-
schiedlichste Bedürfnisse und Zielgruppen, im großen und im kleinen Maßstab: Einzel- Starke Struktur aus Stahlbeton
und Doppelhäuser, Atelierhäuser und Geschosswohnungsbauten. Für 1800 BewohnerIn-
nen baute er einen Komplex des Märkischen Viertels in Berlin (1969), für temporär Ver- Die brutalistische Architektur genüge im Prinzip sich selbst, konstatiert die in Brüssel an-
weilende die Jugendherberge in Zürich-Wollishofen (1965), für sich selbst sein eigenes sässige Interior Designerin mit deutschen Wurzeln. Die in der Konzipierung hochwertiger
Wohnhaus in Zumikon (1966) und für zahlreiche private Auftraggeber individuelle Häu- Apartments erfahrene Interior Designerin kann in der Regel gestalterisch aus dem Vollen
ser. Seinem Spätwerk sind die beiden Doppelhäuser Leutert in Erlenbach bei Zürich zu- schöpfen. Bei diesem Projekt wünschten sich die Auftraggeber – eine Familie mit zwei
zuordnen, die er 1988 – in jenem Jahr, als er für das Rathaus in Fellbach den Hugo-Hä- Kindern – „etwas Neutrales“ und doch Eigenständiges, um ihre zahlreichen Kunstwerke
ring-Preis erhielt – entwarf. 1991 wurde das Ensemble fertiggestellt: mit Schiefer verklei- zur Geltung zu bringen. Am Boden wurde ein fugenloser mineralischer Spachtelbelag ein-
dete Baukörper, bestehend aus je zwei Häusern mit flach geneigtem Tonnendach und gesetzt, welcher im Gegensatz zu konventionellen Industrieböden reinigungsfreundlicher
massiven Sichtbetonelementen zur Straße. ist und eine „wolkige“ Textur besitzt. Die Sichtbetondecken wirken als fünfte Ebene op-
tisch stark in die Räume hinein. Die (schall-)harten Oberflächen bespielte Victoria-Maria
Snozzi: „... präzise Antwort auf einen bestimmten Ort ...“ Geyer mit haptisch und optisch weichen Teppichen, Textilien, Vorhängen und Polstermö-
beln. Vom Boden bis zur Decke reichende Einbaumöbel im Dachgeschoss belassen den
2010 erschien im Zürcher gta Verlag die Werkmonografie „Ernst Gisel Architekt“. Darin Räumen ihren großzügigen, geordnet wirkenden Charakter. Hier und dort finden sich un-
schreibt Luigi Snozzi: „Gisels Bauten geben alle eine präzise Antwort auf einen bestimm- gewohnt platzierte Fenster: Im Wohnzimmer neben dem Kamin gibt es direkt über dem
ten Ort ...“. So auch die Doppelhäuser Leutert in Erlenbach. Die Gebäude entstanden auf Boden ein kleines Fenster; an der Stirnseite unter dem Tonnendach rahmt ein Bücherre-
einem langen, schmalen, nicht allzu tiefen Grundstück. Sie sind viergeschossig zur gal aus dunkler Eiche ein schlankes Fenster.
Straße, dreigeschossig zum Hang. Durch Vor- und Rücksprünge sind diese Ebenen nach
außen deutlich ablesbar. Gemeinsam bilden sie eine abwechslungsreiche Komposition: Neukonzeption von Küche und Bad
Auf Straßenniveau liegen die verglasten Garagen und die tief in die Gebäude eingeschnit-
tenen, geschützten, hohen Eingangsbereiche. Im darüber liegenden Wohngeschoss er- Ganz neu wurden die rund 30 Jahre alten Bäder und die Küche konzipiert. In den Bädern
weitern nach oben offene sowie überdachte Terrassen die Wohnküche nach Westen ins ließ Victoria-Maria Geyer als Kontrast zur starken Maserung der Sichtbetondecke hellen
Freie, Richtung See. Der massive Sichtbeton verkörpert Schutz, die Pergolen aus Stahl Travertin auf Boden und Wänden verlegen. Die Küchenoberflächen bewegen sich zwi-
strahlen Leichtigkeit aus. Auf der Rückseite öffnet sich der Wohnraum raumhoch, fast schen dunklem spanischem Marmor, grün glasiertem französischem Lavastein, grünem
über seine gesamte Länge zu einem ruhigen Gartenhof. Eigene Freibereiche sind den El- Email und poliertem Messing. Im „blauen Salon“ – Bibliothek und Fernsehzimmer in
ternschlafzimmern zugeordnet; völlig der Straße enthoben sind schließlich die Dachter- einem – sind Wände, Decke, Einbauregale und -schränke monochrom in intensives Blau
rassen. Innen bilden Ein- und Ausschnitte in den Wänden des Wohnzimmers Nischen gehüllt. Die Farbwahl wirkt wie eine Referenz an Ernst Gisels „Blaues Atelier“, das er
und ein Kamin ein plastisch modelliertes Raumgefüge. Markant sind die aufgrund der 1999 der ETH Zürich schenkte und in dem sich auch sein Archiv befindet.
AIT 3.2023 • 115