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REDINGS ESSAY

                                      „MAN MUSS ES




                                   AUCH WOLLEN!“





                                                            Ein Essay von Dominik Reding




           E   rst war es nur ein Ziehen in der Lendengegend, dann Probleme beim Wasserlassen,   Das ist eine ideale Kombination! Wir kriegen das oft nicht hin, wie in Berlin am Potsda-
               dann Schmerzen im ganzen Unterleib. Also doch, nach ewigem Zögern, auf zum  mer Platz, da haben wir das gar nicht hinbekommen.“ DR: „Warum baut der freie Markt
           Urologen. Die Untersuchung geriet, wie solche Untersuchung so sind: Wenn es eben nur   aber so wenige Wohnungen, die doch auch Renditen abwerfen, jenseits vom ‚Stress‘ mit
           das war, ein Zipperlein, erhält man ein Rezept für ein Medikament, das – so vermute ich   den ‚tausenden‘ Mietern?“ RK: „Ja, es ist aber auch eine Sache der Bauleitplanung, was
           – mehr als Placebo für die gemarterte Patientenseele dient, als sonstige Wirkungen zu  man da zulässt. Das ist, wenn es nicht geschieht, dann ein Versagen der Baupolitik.“ DR:
           entfalten. Oder man erhält kein Rezept, sondern nur den Hinweis, dass man nach Aus-  „Liegt es auch daran, dass in den letzten Jahrzehnten so viele kommunale Grundstücke
           wertung des Blutbildes zeitnah angerufen werde. Wie bei mir. Auf der Rückfahrt in der   privatisiert worden sind?“ RK: „Kommunaler Grund und Boden kann nicht vermehrt
           S-Bahn denke ich an das, was kommen mag, und schaue auf die vorbeiziehende Stadt   werden, und öffentliche Interessen stimmen mit privaten Interessen oft nicht überein. Es
           mit ihrem ungerührten, steinernen Gesicht. Da! Ich erwache. Da war doch immer diese   wäre die Aufgabe der öffentlichen Hand, wieder in den Sozialwohnungsbau zu investie-
           Industriebrache und dort, der aufgegebene Schrottplatz, und da hinten, eine stillgelegte,   ren, aber dazu sehen sich die Kommunen aus finanziellen Gründen kaum in der Lage.
           von der Natur zurückeroberte Minigolfanlage. Jetzt bevölkern Büroneubauten, die so  Deshalb verkauft man dann die Grundstücke an private Investoren, die dort wenigstens
           lange vor sich hindämmernden Grundstücke. Ganze Büro-Neubauviertel! Hoch und glatt   überhaupt etwas hinstellen.“ DR: „Aber warum wurde der unter Kanzler Kohl beendete
           und wuchtig, kaum ein Projekt unter zehn Stockwerken. Comeback der Hochhäuser, mal   soziale Wohnungsbau nicht danach, unter den folgenden Bundesregierungen, reakti-
           rundlich-geschwungen, mal kantig-spitzig, mal silbrig-glänzend, mal mit Fassadenele-  viert?“ RK: „In Teilen wird es ja schon gemacht. Es gibt weiter städtische Siedlungsgesell-
           menten in den Farben der Saison, mal mit Granit, GFK oder PVC. Nur eines haben die   schaften, die Wohnungsbau betreiben, aber der entscheidende Gedanke damals war:
           neuen Bürobauten gemeinsam: Viele stehen leer. Aktuell errichteten Wohnungsbau sehe   alles dem privaten Markt, den privaten Investoren zu überlassen. Ich halte das für falsch.
           ich auf meiner Fahrt selten und wenn, dann nur diese cremeweißen Eigentumswoh-  Als Bauminister habe ich mich bemüht, Wohnungsbauprojekte in Gang zu setzen, aber
           nungsblöcke, immer ein bisschen an trendige Wellness-Resorts auf Ibiza oder Korfu erin-  dem stand die mehr marktorientierte Position unserer Gesellschaft entgegen, die auch
           nernd, mit ähnlichen Preisen, nur nicht pro Nacht, sondern pro Quadratmeter. Wohnun-  von vielen Sozialdemokraten geteilt wird.“ DR: „Gibt es denn gar keine Möglichkeiten,
           gen für Geringverdiener, junge Familien, Studenten und Auszubildende: Fehlanzeige.   mehr Anreize für den Wohnungsbau zu schaffen?“ RK: „Na, man muss es auch wollen.
           Eine Frage keimt auf:  Warum werden in den Großstädten hunderttausende Quadratme-  Dann würde sich ein Weg finden.“ DR: „Welche Wege könnten die Kommunen und die
           ter Büroraum errichtet – trotz Homeoffice, dem dauer-wiederholten            Legislative denn gehen, um den Büroleerstand zu verringern?“ RK:
           Slogan der „Entbürokratisierung“ und der ebenso hartnäckig seit              „Über die Steuern, wie man die Steuerpolitik organisiert, wo man
           Jahrzehnten verkündeten Existenz des „papierlosen Büros“ – und               die Förderschwerpunkte setzt! Über die Steuerpolitik kann man
           gleichzeitig kaum Wohnungen für Otto und Ottilie Normalverbrau-              das beeinflussen.“ DR: „Und was könnte die Politik tun, um den
           cher? Es ist dann hilfreich, wenn man einen ehemaligen Bundes-               Wohnungsbau für sozial Schwächere anzukurbeln, also auch für
           bauminister persönlich kennt und ihn, durch Glück und Fügung,                Menschen, die sich keine Eigentumswohnung für eine Million
           einen Freund nennen darf. Dann kann man ihn anrufen und ihn                  Euro leisten können?“ RK: „Wir haben das Instrument des Wohn-
           direkt fragen. Und das mache ich:  RK: „Reinhard Klimmt“, DR:                geldes, das helfen soll, auch Einkommensschwache im privaten
           fast alles Büro und Verwaltung, architektonisch mal mehr, mal  Grafik: Benjamin Reding  sozialen Wohnungsbau wiederbeleben.“ DR: „Das hältst Du für
                                                                                        Wohnungsmarktbereich unterzubringen, und wir müssen den
           „Hallo Reinhard, hier ist der Dominik!“ RK: „Hallo Dominik!“ DR:
           „Ich gehe mal gleich in medias res: Immer öfter, wenn ich durch
           die Stadt fahre, entdecke ich ganze Stadtviertel voller Neubauten,
                                                                                        möglich?“ RK: „Ja, man muss es nur wollen!“ DR: „Und warum
                                                                                        kannst Du Deine Parteikollegen nicht dazu bewegen?“ RK: „Frag´
           weniger gelungen. Aber eines haben fast alle diese Neubauten gemeinsam: Sie stehen   Frau Geywitz (die aktuelle Bundesbauministerin), aber die hört nicht auf mich…“ (er
           leer. Warum?“ RK: „Die Entscheidung, in Immobilien zu investieren, ist immer am Profit   lacht). DR: „Eine privatere Frage zum Abschluss: Was war für Dich als Bundesbauminister
           orientiert, und Bürobauten, mit ihren zu erwartenden Mieteinnahmen, sind dann eine   dein wichtigstes Projekt?“ RK (überlegt): „ … ja, das war schon die Bundesstiftung Bau-
           vernünftige Investition. Warum man sich dabei ab und an verschätzt, weiß ich nicht,   kultur, die die Qualität kommunaler und privater Bauprojekte anheben sollte, und die
           aber es gibt noch einen anderen Grund für den Leerstand: Es ist oft besser für die Bilanz,   Idee der Förderung des Erwerbs von Wohneigentum für Familien durch zinsverbilligte
           was die Konsequenzen angeht, die Investition dann steuerlich abzuschreiben, als wenn   Baukredite. Das waren beides soziale und qualitative Ansätze: den sozialen Auftrag des
           die Büroflächen vermietet wären.“ DR: „Aber warum wird dann überhaupt so viel Büro   Bundesministeriums im Auge zu haben und die Qualität der Baukultur zu verbessern.
           und Verwaltung gebaut?“ RK: „Weil man damit gesicherte Renditen erwartet und natür-  Deshalb damals auch meine Genehmigung für den Anbau des Deutschen Historischen
           lich auch, weil man es mit nur wenigen Geschäftspartnern zu tun hat und sich nicht mit   Museums in Berlin, den „Pei-Bau“ (Architekt: Ieoh Ming Pei, Bauzeit: 2000–2003 ), den
           tausenden Mietern herumschlagen muss.“ DR: „Welche Mittel der Regulation des Immo-  gäbe es ohne mich nicht.“ Jetzt gleich treffe er sich mit dem Direktor des UNESCO-Welt-
           bilienmarktes existieren denn für die Politik, die Legislative?“ RK: „Na, es gibt eigentlich   kulturerbes Völklinger Hütte und danach gehe er essen mit seiner Familie, und ich sage
           gar keine. Die Zuständigkeiten liegen, was die Bauleitpläne angeht, bei den Kommunen.   „Danke und bis die Tage” und lege auf. Nach wenigen Minuten schrillt das Telefon. Der
           Man muss dann bei der zuständigen Bauleitplanung dafür sorgen, dass es zu einer ver-  Arzt! Mein Körper spannt sich, das Herz pocht, ich lausche angestrengt: „Alles in Ord-
           nünftigen Mischung aus Büroflächen, Wohnungen und Gewerbe kommt und solche rei-  nung. Nur eine leichte Blasenentzündung. Da reicht etwas Natron, aufgelöst in klarem
           nen Büroneubauviertel erst gar nicht genehmigt werden. Was mir als Bauminister wichtig   Wasser ...” Die Sonne steht hoch, der Himmel grüßt wolkenlos blau, ich nehme die
           war, ist die Verdichtung, also die Kombination von größeren Einrichtungen mit Kleintei-  nächste U-Bahn zur Station „Museumsinsel“. Ich gehe hinüber bis zum barocken Zeug-
           ligkeit. Dass dann eben nicht diese ganzen Büro-„Wüsten“ entstehen, sondern dass die   haus und laufe die letzten Meter. Hell leuchtet der glatte Sandstein am geometrisch ver-
           Menschen sich dort wiederfinden. Ein Vorbild für mich ist Paris, wo Du die großen Bou-  schachtelten „Pei-Bau“. „Wow, schön, dass es ihn gibt!“ Ein paar Touristen drehen sich
           levards hast, aber auch diese ganze Kleinteiligkeit mit Geschäften, Wohnungen, Cafés.   zu mir um. Ich habe es laut gerufen, nicht nur gedacht. Und es gar nicht gemerkt.

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