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SERIEN IKONEN BEWOHNEN • LIVING IN ICONS
von Italien. Mit dem Semperhaus hatten sie nun wenigstens ein italienisches Zuhause.
1864 bezogen sie es! Sie, das waren der Zolldirektor Agostino Garbald und seine Frau,
die Schriftstellerin – oder wie man hier sagt: die Poetessa – Johanna Garbald-Gredig, bes-
ser bekannt unter ihrem Künstlernamen Silvia Andrea. Unschwer können wir uns heute
ihr Leben im und mit dem Haus vorstellen. Sie an ihrem Schreibpult im beheizten Wohn-
zimmer sitzend; er stolz an der hohen und von einer breiten Pergola begleiteten Garten-
mauer stehend und den Blick hinunter auf die Straße und die nur wenige Hundert Meter
entfernte Zollstation gerichtet. Die Pergola hatte sich Semper übrigens bei Schinkel und
dessen „Römischen Bädern“ in Potsdam abgeschaut. Hier wie dort dient das horizontale
Gartenelement dazu, den vertikalen Zug des Hauptgebäudes zu mildern und optisch aus-
zubalancieren. Zugleich etabliert die Pergola einen Schwellenraum zwischen Straße und
Haus; zwischen öffentlicher und privater Sphäre. Im Sommer ist sie der schönste Raum
des Hauses! Semper hat sie so breit angelegt, dass Tische und Stühle nach draußen wan-
dern können und die Pergola zum eigentlichen Lebensmittelpunkt in den Sommermo-
naten wird. Auch wir werden hier tagsüber sitzen; vom Blattwerk der Weinreben über
uns vor der Sonne geschützt; den Ausblick in die Berge von den mächtigen Pfeilern ge-
rahmt; und umgeben vom unaufhörlichen Rauschen der Mera im Talgrund.
Eine italienische Rustica in den Schweizer Bergen
Viel stärker als im Außenbau kommt der rurale Ursprung des Hauses im Inneren zur Gel-
In den beiden Obergeschossen der Sempervilla ... • The upper floors of the Semper Villa ... tung. Große, repräsentative Gesellschaftszimmer sucht man vergeblich. Wohn- und Ess-
zimmer im Erdgeschoss sind bescheiden dimensioniert; fast kleinlich in Anbetracht der
Stellung des Hausherrn. Ihre Wände sind teilweise vertäfelt oder mit Stoff bespannt. Die
Decken sind wie in allen wichtigen Räumen des Hauses geschmückt von feinen Orna-
mentzeichnungen und Dekorationsmalereien. Für echten Stuck reichte das Budget offen-
bar nicht! Im ersten Obergeschoss befanden sich das Arbeitszimmer des Herrn Zolldirek-
tors, ein großes Gesellschaftszimmer sowie das Schlafgemach der Eheleute mit ange-
schlossenem Kabinett. Das zweite Obergeschoss wiederum enthielt zwei durch ein wei-
... entstanden vier Gästezimmer mit eigenen Bädern. • ... now provide four guest rooms with ensuites. teres Kabinett verbundene Schlaf- und Wohnräume für den zu erwartenden Nachwuchs
sowie zwei kleine Dachkammern. Von Geschoss zu Geschoss nahm die Ausschmückung
der Räume kontinuierlich ab! Ein besonderes Element bildete wiederum der offene Dach-
stock, ein sogenanntes „Solaio“. In den italienischen Rustice diente der Raum als Tro -
ckenboden und Speicher. Im feuchten, alpinen Klima von Castasegna hingegen dürfte
der Raum kaum eine ähnliche Nutzung erfahren haben. Vermutlich ging es Semper und
den Garbalds vor allem um die Außenwirkung der tiefschwarzen – weil fensterlosen –
Attikaöffnungen. Zum Rustica-Modell passen auch die nur grob bearbeiteten Granitbo-
denplatten, die sich vom Vestibül, durch das Treppenhaus und die Vorräume der oberen
Stockwerke sowie die Küchenräume im Erdgeschoss ziehen. Sie sichern der Villa Garbald
trotz aller vornehmen Verfeinerung noch den Charakter eines Landhauses.
Ideale Bedingungen zum Wohnen und Arbeiten
Mit der Renovierung, Umnutzung und Erweiterung der Villa Garbald war in den frühen
2000er-Jahren das Basler Architekturbüro Miller & Maranta beauftragt. Das Haupthaus
strahlt seither wieder im einstigen Glanz. Die originale Farbgebung wurde rekonstruiert
und die Hauptwohnräume wurden in ihren Ursprungszustand zurückgeführt. Wohn- und
Esszimmer im Erdgeschoss dienen heute als Salon und Bibliothek. Die oberen Räume
wurden zu vier großzügigen Gästezimmern mit je eigenem Bad umgewidmet. Der größte
Eingriff in die Substanz erfolgte im Anschluss an die Küche im Erdgeschoss. Hier wurden
das ehemalige Waschhaus und die Speisekammer zu einem neuen, lang gestreckten und
überhohen Speisesaal verbunden. Ein riesiger Holztisch dient am Morgen und Abend als
Treffpunkt für die gemeinsamen Mahlzeiten. Über zwei gläserne Schiebetüren öffnet sich
der Raum zur angrenzenden Terrasse. Eine schmale, verwitterte Treppe führt von hier in
den oberen Bereich des Gartens, wo Miller & Maranta mit dem sogenannten Roccolo ein
modernes Gästehaus realisierten. Der Bau passt sich besser in die Umgebung ein, als
man zunächst vermuten könnte! Zum einen nehmen die Architekten mit der Turmform
Bezug auf ähnlich hohe und schmale Bauten im Umfeld; zum anderen verträgt sich der
grobkörnige Waschbeton in der Fernsicht gut mit den Steindächern der Nachbarbauten.
Im Inneren beherbergt der auratische Wohnturm entlang einer sich spiralförmig nach
oben schraubenden Treppe insgesamt elf Einzel- und Doppelzimmer mit jeweils ange-
schlossenem Bad. Zusammen mit den Räumen der Sempervilla und dem großen Garten
bietet das Ensemble ideale Bedingungen zum gemeinsamen Wohnen und Arbeiten.
058 • AIT 10.2019