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Mit diesen Worten führte das Museum Bau-  Neben unter anderem nicht ausreichend  Während Büros individuelle, arbeitskultu-
                        kultur NRW im Oktober 2020 in die Ausstel-  balancierten gesamtgesellschaftlichen Rol-  relle Konzepte schaffen, die ein ausgewo-
                        lung „Frau Architekt. Seit mehr als 100  len- und Verteilungsverhältnissen, die sich  genes Geschlechterverhältnis im Team
                        Jahren: Frauen im Architekturberuf“ ein  auf die Sichtbarkeit von Frauen in der Ar-  überhaupt und mehr und mehr ermögli-
                                                                                                 chen, frage ich mich, ob eine stärkere über-
                        und definierte so den Kern einer Debatte
                                                             beitswelt auswirken, kommen in den archi-
               Porträt Sabine Keggenhoff. Foto: Marcel Schwickerath.  Unsere Gesellschaft ist divers. Ziel: Die  tige Verfügbarkeit. Die Zerrissenheit, die ich  können wir uns also als Berufsfeld ein neues
                                                                                   noch
                                                                                         eigene
                                                                                                 geordnete Präsenz der Innenarchitektur
                        um ein auszugleichendes Geschlechterver-
                                                             tektonischen
                                                                         Disziplinen
                                                             Schwierigkeiten hinzu. Beton wartet leider
                        hältnis in den architektonischen Diszipli-
                                                                                                 auch zu einer verstärkten Sichtbarkeit von
                                                             nicht. Baustellen bedingen eine fast allzei-
                        nen. Die Zeit im Wandel birgt Veränderung:
                                                                                                 Innenarchitekt*Innen führen würde. Wie
                1 Pepchinski, Mary: Frauenpower in der Architektur (08.03.2019), https://www.baumeister.de/frauen-in-der-architektur/: (Stand: 08.07.2022).
                                                                                                 Bewusstsein schaffen? Uns sichtbar ma-
                        Menschen, die für sie bauen, sollten dies re-
                                                             in meinem Berufsalltag und in meiner Posi-
                                                                                                 chen und in unserer ganz eigenen Kompe-
                        präsentieren. Das Resultat: mehr Gemein-
                                                             tion wahrnehme, ist für Frauen oftmals
                               mehr
                        schaft,
                                                                                                 tenz mit einem dezidierten Leistungs-
                                     Identifikation
                                                             nicht leicht zu handhaben. Organisatorisch
                                                       ein
                                                  und
                                                                                                 spektrum kommunizieren? Wie bleiben wir
                        inklusiveres Füreinander. Helden neben
                                                             wie moralisch, bedingt durch fremde und
                                                             eigene Erwartungen an die Vereinbarkeit.
                        Held*innen. Götter neben Gött*innen. Der
                                                                                                 unterscheidbar und unabhängig von selbst-
                                                             Aus meiner Arbeitgeberinnensicht stellt dies
                        Status quo aber: Zu oft sind Frauen* die
                                                                                                 ernannten Interieur-Spezialist*innen? Wel-
                                                             eine ebenfalls überaus herausfordernde Be-
                                                                                                 chen Einfluss wird eine globale Pandemie
                        „unsichtbaren“ Architekt*innen, die un-
                        sichtbaren Innenarchitekt*innen. Zu oft
                        mangelt es noch an Rollenvorbildern, die in
                                                                                                 sellschaft haben? Welchen Einfluss hat dies
                                                             SICH SICHTBAR MACHEN
                                                                                                 auf uns als Innenarchitekt*innen?
                        der Vergangenheit bereits erfolgreich Stra-
                        tegien entwickelt haben (zum Beispiel Mo-
                                                             Wir bedienen den Markt präzise, wir sind
               Titel: Projekt „Hasenkopf Industrie Manufaktur“. Büro: KEGGENHOFF | PARTNER. Foto: Heiner Heine.
                        bilitätsbereitschaft, Zusatzqualifikationen,  lastung dar.               auf die Sichtbarkeit von Frauen in der Ge-
                                                                                                 Die Innenarchitektur konnte sich schnell
                                                             hervorragende Expert*innen. Es braucht
                        Netzwerkbildung und Gründungen in Part-  gut ausgebildete Innenarchitekt*innen und  und konstruktiv an die Gegebenheiten der
                                 1
                        nerschaften ), das Ziel beruflicher Selbst-  ihr Wissen um Raum. Gegenseitige Förde-  letzten Jahre anpassen. Guter, mehrdimen-
                        ständigkeit und Selbstbestimmtheit zu  rungen, die Ausweitung des berufspoliti-  sionaler, nachhaltiger Innenraum wird nicht
                        verwirklichen. Aber es tut sich etwas.  schen Engagements und unserer externen  an Relevanz einbüßen. Innenarchitektur
                                                             Kommunikation stellen weitere Schritte zur  kann Wandel wertevermittelnd und identi-
                        WO SIND SIE, DIE FRAUEN?             Sichtbarmachung dar. Es bedarf außerdem  tätsstiftend mittragen. Am Ende geht es
                        Die Innenarchitektur zeichnet sich im Ge-  starker, sensibilisierter und informierter  um  Unabhängigkeit,  Vorurteilsfreiheit,
                        gensatz zur Architektur schon länger durch  Partner*innen: unsere Berufsverbände, die  Selbstbestimmung und Gleichberechtigung
                        eine höhere Anzahl weiblicher Protagonis-  Architektenkammern, die Baukultur-Initia-  aller. Ein absolut erstrebenswertes Ziel. Am
                        tinnen aus. Dennoch scheint sich diese Tat-  tiven, die Politik in Bund, Ländern und Kom-  besten: Seite an Seite.
                        sache aktuell noch nicht positiv auf die  munen, die Wirtschaft, Präsenz in der
                        Sichtbarkeit innerhalb des Berufsfeldes In-  Lehre. Nicht zu vergessen: die interessierte
                        nenarchitektur auszuwirken. Die vermeint-  Öffentlichkeit und das Feuilleton, das mit
                        liche „Unsichtbarkeit“ betrifft dabei die  oder für uns im Diskurs über das Fachgebiet
                        mangelnde Repräsentation von ikonogra-  hinaus Räume öffnet.
                        phischen Persönlichkeiten als solche in Füh-
                        rungspositionen oder Anstellungsverhält-  Meine ausdrückliche Empfehlung an wer-
                        nissen. Die Entschlüsselung des Warum  dende Innenarchitekt*innen lautet den-
                        empfinde ich als eine zukunftsorientierte  noch: Nehmen Sie Ihre Zukunft selbst in die
                        Zielsetzung. Antworten dafür sind so viel-  Hand. Seien Sie sich dessen bewusst. Sie
                        fältig wie die Biografien der Anwär-  können den Lauf der Dinge aktiv und be-
                        ter*innen. Mit einem Blick nach vorn setzt  wusst beeinflussen, denn noch hängt viel
                        sich das Bewusstsein durch, dass sich die-  von der eigenen Zielformulierung und dem
                        ses Unverhältnis nicht ausschließlich, aber  beharrlichen, eigenen Willen ab. Nutzen Sie
                        maßgeblich gesamtgesellschaftlich und  eingangs erwähnte Strategien, die die Bio-
                        strukturell - über die Grenzen unseres Be-  grafien vieler etablierter Kolleg*innen kenn-
                        rufsfeldes hinaus - auflösen lässt.  zeichnen.                           Sabine Keggenhoff
                                                                                                                        AIT 7/8.2022 • 139
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