Page 143 - AIT0718_E-Paper
P. 143
Entwurf • Design InteriorPark, Andrea Herold & Tina Kammer, Stuttgart
Bauherr • Client privat
Standort • Location Stuttgart
Nutzfläche • Floor space 200 m 2
Fotos • Photos bildhübsche fotografie, Andreas Körner, Stuttgart
Mehr Informationen auf Seite • More information on page 152
von • by Andrea Herold & Tina Kammer
D ie alte Schlosserei entstand zu Beginn des 20. Jahrhunderts in einem Innenhof im
dicht besiedelten Stuttgarter Süden. Als die Werkstatt ihren Betrieb vor Jahren ein-
stellte, zerfiel das Gebäude allmählich, bis sich unser Bauherr dem Kleinod annahm und
uns beauftragte, die unter Bestandsschutz stehende Ruine aus ihrem Dornröschenschlaf
zu wecken und mittels eines neuen Zwischenbaus mit dem Erdgeschoss des daneben ste-
henden Mehrfamilienhauses zu verbinden. Das Ziel war es, eine individuelle Wohlfühl -
oase im urbanen Kontext zu erschaffen. Die anspruchsvolle Wiederherstellung des histo-
rischen Bestands und dessen Transformation zu einer modernen Wohneinheit samt sepa-
rat erschlossener Einliegerwohnung erfolgte unter Einsatz lokaler und natürlicher Materia -
lien, die für ein gesundes Raumklima sorgen. Der individuelle Charakter der einzelnen
Bereiche wurde neu interpretiert und der historische Charme in die Neuzeit transferiert.
Erhalt und Neuinterpretation der Bausubstanz gingen Hand in Hand
Das architektonische Konzept der Wiederherstellung berücksichtigte zwei Aspekte: den
weitestgehenden Erhalt der noch vorhanden historischen Bausubstanz sowie die gleich-
zeitige Neuinterpretation des ursprünglichen Werkstattcharakters. Die Verschmelzung von
Alt und Neu sollte dabei der Geschichte des Gebäudes Respekt zollen, den Bau aber zu -
gleich in der Gegenwart verankern. Das Werkstattgebäude war zu Projektbeginn in einem
desolaten Zustand: Das Dach war schon vor Jahren eingestürzt; die drei noch verbleiben-
den Wände notdürftig gegen den endgültigen Zusammenbruch gestützt. Aufgrund bau-
rechtlicher Vorgaben durften die Backsteinwände weder neu errichtet noch eine davon
unabhängige, innen liegende Gebäudekonstruktion implementiert werden. Jeder Einsturz
der Wände während der Bauphase hätte ein sofortiges Erlöschen der Baugenehmigung
bedeutet. Die Wiederherstellungsarbeiten an den alten Gemäuern erforderten deshalb
einen äußert sensiblen Umgang. Das neue Dach erhielt – in Anlehnung an die ursprüng-
liche Gestalt – zwei Oberlichter von jeweils zwei mal vier Metern Größe. Ihre Rahmen
bestehen aus massiver Eiche. Auch die weitere Gestaltung des Innenraums wurde mit
hochwertigen Materialien realisiert. Durch den Einsatz von natürlicher Dämmung und
Lehmputz besitzt der große Einraum heute ein angenehmes Raumklima. An das ehema-
lige Werk statt gebäude wurde zudem ein neuer Anbau angeschlossen, der als Zugangs-
und Ver teilerraum dient. Er verbindet den alten Werkstatttrakt mit dem Erdgeschoss des
daneben liegenden Wohnhauses. Die Räume dienten früher dem Schlossereibetrieb als
Lager- und Büroflächen. Der hier vorgefundene Grundriss musste aus statischen Gründen
beibehalten werden. Als Kontrast zur schlichten Anmutung des ehemaligen Werk - Ein neuer Trakt verbindet den großen Wohnraum mit den ... • A new wing connects the large living room with ...
stattgebäudes entschieden wir uns, die Wände im Wohnhaus vom Putz zu befreien und
den rohen Charakter der Backsteinwände freizulegen. Deren Fehler und Imperfektionen
wurden nicht durch aufwendige „Schönheitsoperationen“ korrigiert, was den Räumen ... übrigen Räumen im benachbarten Mehrfamilienhaus. • ... ... the other rooms in the adjacent multiple dwelling.
eine eigenständige Identität verleiht. Natürlicher Linoleumboden und weiß gekalkte
Lehmputzdecken bilden dazu einen ruhigen und schnörkellosen Hintergrund. Alle Räume
strahlen eine einfache und schlichte Wohnatmosphäre aus.
Nachhaltigkeitsaspekte spielten in der Planung eine zentrale Rolle
Da unser Fokus auf Nachhaltigkeit im Bauen liegt, wurden alle verwendeten Materialien
unter diesem Kriterium ausgewählt. So kamen Lehmputz, Sumpfkalkputz sowie Kalk -
farben, Holzfaserdämmung und Linoleum zum Einsatz – mithin natürliche Materialien,
die zugleich für ein gesundes Innenraumklima sorgen. Für die Arbeitsplatten und das
Podest in der Küche verwendeten wir zudem Douglasie aus nachhaltiger, lokaler
Forstwirtschaft. Die Fensterrahmen und Oberlichter aus massiver, geölter Eiche wurden
individuell gefertigt. Die Türelemente fanden sich im Bestand und wurden aufwendig
restauriert und an neuen Bestimmungsorten wieder eingesetzt. Alle weiteren
Innenausbauprodukte – Arma turen, Beschläge Schalter und Steckdosen – stammen von
deutschen Traditions unternehmen, die sowohl bei den Produktionsabläufen als auch bei
den zu verarbeitenden Materialien großen Wert auf Aspekte der Nachhaltigkeit legen.
AIT 7/8.2018 • 143