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FORUM KORRESPONDENZ • CORRESPONDENCY
LIS 38° 46’ 27’’ N, 9° 8’ 3’’ W (Lissabon) Hendrik Bohle
Architekt, Autor und
Kurator, lebt und arbeitet
in Berlin, berichtet auf
thelink.berlin über Städte,
Lissabon – Outeiro de Polima (27 km)
Länder und Bau-/Kultur
Historische Schichten
Saloio umschreibt nicht nur die ländliche Holz und schlichte Kalkputze schaffen eine Saloio refers not only to Lisbon’s rural
Bevölkerung im Umland Lissabons, son- Brücke zwischen Alt und Neu. Die zeitge- population but also to a way of life shaped
dern eine bis in die 1990er-Jahre prägende nössischen Ergänzungen treten bewusst by small-scale farming, craftsmanship and
Lebensweise: kleinbäuerliche Landwirt- zurück. Flachdächer ohne Ziegeldeckung, a close bond with nature. The Casal Salo-
schaft, handwerkliches Wissen und eine großflächige Verglasungen und präzise io de Outeiro de Polima – a modest 16th-
symbiotische Beziehung zur Natur. Das gesetzte Fensterrahmen aus Eiche betonen century farmhouse – preserves this culture.
Casal Saloio de Outeiro de Polima, ein die Differenz zur historischen Bausubstanz, Converted into a rural museum in 2023, it
bescheidenes, im 16. Jahrhundert errichtetes ohne sie zu dominieren. Im Inneren kon- merges historical substance with contem-
Gehöft, dokumentiert diese Kultur. Seit dem trastieren roh belassene Bruchsteinmau- porary additions. Architect Miguel Mar-
Umbau und der Eröffnung 2023 ist es ein ern, der erhaltene Steinofen und sichtbare celino transformed the organically grown
Museum des ländlichen Raums, das histori- Holzbalken mit modernen Elementen wie ensemble into a monument to vernacular
sche Substanz und moderne Interventionen glatten Eichenböden und minimalistischen building, conserving its irregular geome-
dialogisch verschränkt. Architekt Miguel Vitrinen. Die Ausstellung nutzt die ursprüng- try. Two new museum wings embrace the
Marcelino verwandelte das Ensemble, liche Raumfolge, um die Geschichte der old structures, creating a courtyard. Local
das über Jahrhunderte durch pragmatische Saloio-Bauern zu erzählen – von der hand- stone, raw timber and lime plaster con-
Anbauten wuchs, in ein Denkmal des orga- werklichen Werkzeugherstellung bis zur sai- nect old and new. Inside, original stone
nischen Bauens. Sein Konzept konserviert sonalen Landbewirtschaftung. Marcelinos walls and beams meet smooth oak floors
die gebrochene Geometrie des Bestands. Ansatz entspricht einem zeitgemäßen Denk- and minimalist display cases. The muse-
malschutz: Statt Rekonstruktion priorisiert
um follows the original layout to tell the
Die neuen Museumsvolumina – zwei zu
Fotos: Hendrik Bohle einem L verschränkte Körper – setzen diese er die Sichtbarmachung historischer Schich- farmer’s history. Instead of reconstruction,
Marcelino‘s approach prioritises making
Logik fort und formen einen Innenhof mit
ten. Jeder Anbau, jeder Riss im Mauerwerk
dem Bestand. Lokaler Stein, unbehandeltes
historical layers visible.
wird zum Archiv der kollektiven Erinnerung.
VIE 48° 6’ 39’’ N, 16° 34’ 15’’ O (Wien) Kira Kawohl
Studierte Kunstgeschichte
an der Universität Wien,
Innenarchitektur an der TH
OWL in Detmold. Ist seit
2020 Redakteurin bei AIT.
Wiener Geschichten
Wenn Architekt Oswald Haerdtl (1899– von den kreisförmig perforierten Lampen- If architect Oswald Haerdtl (1899–1959)
1959) heute durch seine Heimatstadt Wien schirmchen über die Nussbaum-Griffmul- were to stroll through Vienna today, he’d
schlendern würde – er könnte stolzerfüllt den samtener Fauteuils zwischen üppigen be proud of his work: the recently expan-
auf sein Lebenswerk blicken: Das Wien Palmenarrangements bis zu den konisch ded Wien Museum (1959) offers fresh
Museum (1959) eröffnet nach jüngster zulaufenden Metallzeigern einer großen views of Karlsplatz, the Volksgarten dance
Erweiterung neue Perspektiven auf den Wanduhr, die wirklich seit 1955 stillzuste- café (1950) still swings – and Café Prük-
Karlsplatz, im Volksgarten-Tanzcafé (1950) hen scheint ... Kurzum: Das Beste an der kel (1955) now shines in new splendour.
wird geschwoft wie eh und je, und jetzt eben durch eichinger offices finalisierten This iconic Ringstraße café, redesigned by
erstrahlt auch noch das Café Prückel Renovierung ist, dass man nichts davon Haerdtl in post-war “Espresso style, is a
(1955) in neuem Glanz! Das altehrwürdige mitbekommt! Behutsam ließen die Archi- rare intact and listed example of his interi-
Ringstraßen-Café, gegründet 1903, ist seit tektInnen Fenster, Möbel und Elektrizität or work. Every detail remains “prückelig”:
seinem Fifties-Update durch Haerdtl ein erneuern, mehr Steckdosen für zeitgenös- perforated lampshades, walnut armrests
innenarchitektonisches Gesamtkunstwerk sische Kaffeehaus-Literaten sowie eine on velvety chairs, palm arrangements and
im „Espressostil“, der in der Nachkriegs- schicke, energieeffiziente Tortenvitrine ein- a wall clock seemingly frozen since 1955.
zeit die Wiener Kaffeehäuser eroberte. bauen, ohne dem süßen alten Abbild auch The recent renovation by eichinger offices
Im Gegensatz zu den übrigen, meist ver- nur ein Härchen zu krümmen. Sogar der is almost invisible – new electrics, restored
lorenen Gastro-Interieurs des Architekten grün-beige karierte Polsterstoff, der schon furniture, more sockets for laptop writers
Fotos: Daniele Ansidei, Berlin Gesamtheit erhalten, weshalb er unter te, wurde nach historischer Vorlage neu carefully added. Even the original green-
einige Wiener Geschichtln anhören muss-
ist der Hauptraum des Prückel in seiner
and an energy-saving cake display were
Denkmalschutz steht. Wer einmal auf
gewebt. „Facelift ohne Zuckerguss“ nannte
beige check fabric was rewoven. A “facelift
die Journalistin Barbara Jahn diese Maß-
einen hausgemachten Eistee vorbeikam,
without icing”, as journalist Barbara Jahn
weiß: Hier ist einfach alles so prückelig –
put it – and rightly so.
026 • AIT 6.2025 nahmen – nichts ist dem hinzuzufügen.