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EDITORIAL
Liebe Leserinnen, liebe Leser,
bis vor nicht allzu langer Zeit trieb es jeder Innen-/Architektin und jedem Innen-/Architekten
den Angstschweiß auf die Stirn, wenn die Bauherrschaft ankündigte, den Möbelbestand in
den soeben fertiggestellten Büro-Neubau integrieren zu wollen. Was in erster Linie pekuniäre
Gründe hatte, musste nicht immer dazu dienen, den engagierten Entwurf innenarchitekto-
nisch zu unterstützen. Die Zeiten ändern sich – und das ist gut so! Re-use steht heute für das
Wiederverwenden von Möbeln, Materialien und Oberflächen und wird nicht nur zuneh-
mend salonfähig, sondern ist bitter notwendig. Die Baubranche muss sich den Vorwurf ge-
fallen lassen, verschwenderisch mit in aufwendigen und umweltbelastenden Verfahren her-
gestellten Baustoffen und Komponenten umzugehen. Die Antwort darauf ist nicht nur Re-
duce, sondern auch Recycle und eben – Re-use. Wir haben im hessischen Ober-Ramstadt ein
beeindruckendes Beispiel gefunden (Bild links), bei dem die Planerinnen von POINT. Archi-
tektur den Kommunikationsbereich im Verwaltungsgebäude eines Farbenherstellers mit be-
reits vorhandenen Möbeln und online erstandenen Restmaterialien ausstatteten. RE_FRAME
haben sie ihr Modulbaukasten-System genannt und verraten ihr Erfolgsrezept ab Seite 126.
Überhaupt sucht man in dieser Ausgabe zum Thema Büro und Verwaltung vergeblich seriös-
repräsentativ ausgestattete Büroräume mit Chefsesseln, Designklassikern und Leder-Fau-
Foto: Kristina Bacht teuils. Unabhängig von der reinen Bürofläche – wir zeigen Beispiele von 170 bis 40.000 Qua-
dratmetern (ab S. 84) – allen gemein ist eine gelungene Mischung aus verspielter Lässigkeit
und charmantem Rohbaucharme, die nicht im Entferntesten an staubtrockene Bürotätigkei-
ten erinnert. Vielmehr werden flexible, übertrag- und erweiterbare Konzepte angedacht, die
Mit besten Grüßen sich intelligent und weitsichtig auf die stetig verändernde Bürolandschaft einstellen. Den
Petra Stephan, Dipl.-Ing. Wandel mitplanen und weiterbauen anstatt abzureißen, muss die Devise sein. Denn dass
Chefredakteurin • Chief Editor frei gewordene Verwaltungsgebäude durchaus der Stadt und der Gesellschaft – auch nach
Architektin • Architect ihrer ursprünglichen Nutzung – dienen können, zeigen Lorena Stephan und Sylvia Brüstle in
ihrer Masterarbeit „Allianz für die Jugend“ (ab S. 42) eindrucksvoll auf. Auch eine alte Ta-
bakfabrik in Linz (ab S. 130), vom Altmeister der Moderne Peter Behrens in den 1930er-Jahren
entworfen, bietet nach einer Sanierung die perfekte Kulisse für Kreativarbeitsplätze. Umso
mehr freuen wir uns, dass die Büroszenarien, die Dominik Reding in seinem köstlichen Essay
„Lieben Sie diesen Staat?“ (ab S. 56) beschreibt, immer seltener werden. Auch das ist gut so!
Dear Readers,
Until not so long ago, every architect or interior designer broke out in a cold sweat when the clients announced that
they wanted to integrate the existing furniture into the just-completed office building. What was decided primarily for
pecuniary reasons did not necessarily support the committed design concept. Times are changing — and that’s a good
thing! Re-use today stands for reusing furniture, materials and surfaces and is not only becoming increasingly socially
accepted but is urgently needed. The building industry has to put up with the reproach of being wasteful with building
materials and components produced in elaborate and environmentally damaging processes. The answer to this is not
only reduce but also recycle and — of course — re-use. We found an impressive example in Ober-Ramstadt, Hesse (pic-
tured above), where the planners from Point. Architektur equipped the communication area in the administration buil-
ding of a paint manufacturer with existing furniture and leftover materials purchased online. They called their modular
system Re_frame and reveal their recipe for success from page 126 onwards. In this issue on ‘Office and Administration’,
you will look in vain for staid, prestigious office spaces with executive chairs, design classics and leather fauteuils. Re-
gardless of the actual space — our examples range from 170 to 40,000 square metres (from p. 84) —, all offices boast a
successful mix of playful nonchalance and the charming appeal of the unfinished that is not remotely reminiscent of
drab office work. Rather, flexible, transferable and expandable concepts are envisaged that intelligently and far-sightedly
adapt to the constantly changing office landscape. The motto must be to plan for change and to continue building in-
stead of demolishing. In their master’s thesis “Alliance for Youth” (p. 42), Lorena Stephan and Sylvia Brüstle impressively
demonstrate that vacated administrative buildings can serve the city and society. An old tobacco factory in Linz (from
p. 130) designed by the old master of modernism Peter Behrens in the 1930s offers the perfect backdrop for creative Foto: Kira Kawohl
workplaces after renovation. We are all the more pleased that the office scenarios Dominik Reding describes in his
essay “Do you love this state?” (from p. 56) are becoming less common. And that is also a good thing! Ortstermin (S. 90): AENY-Team mit AIT-Redakteurin Kira Kawohl (rechts)
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