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Stella Zoe Brandes


                                                                                               2016–2017 FSJ Kultur, Museum für Angewandte Kunst, Frankfurt 2017–2021
                                                                                                Bachelorstudium Innenarchitektur, Hochschule für Technik Stuttgart 2019
                                                                                                Auslandssemester, Lahti 2020 Praktikum bei 12:43 Architekten, Stuttgart









































             Ankommen im student:inn an einer der beiden Rezeptionen • Arriving at one of the two reception desks.  Alles Wichtige auf schmalem Grundriss untergebracht. • Everything is accommodated in a small space.


             von • by Stella Zoe Brandes
             S   tuttgart ist für viele Dinge bekannt, aber als eine Stadt am Fluss würden es wohl  schweren. Wer nach Stuttgart zieht – vor allem als Studierender –, steht vor der schein-
                                                                           bar unlösbaren Aufgabe, bezahlbaren Wohnraum zu finden. Um diesem Unterfangen
                 nur die Wenigsten bezeichnen. Der Neckar fließt zwar nicht durch die Innenstadt,
             sehr wohl jedoch durch den bedeutenden Stadtteil Bad Cannstatt. Im Rahmen des In-  entgegenzuwirken und einen Unterschlupf zu bieten, bis die passende Wohnung oder
             frastrukturprojekts Stuttgart 21 und der Neuentstehung des Rosensteinquartiers be-  Wohngemeinschaft gefunden ist, bietet das Studierenden-Hotel „student:inn“ kleine
             kommt auch das Areal um den Neckar eine neue Relevanz. Die heute viel befahrenen  Zimmer zum Wohnen für einen begrenzten Zeitraum.
             Straßen werden zukünftig durch die Maßnahmen entlastet, und dank neuer Ideenwett-
             bewerbe soll das Neckarufer zu einem attraktiven Aufenthaltsort werden. Unmittelbar  Kontrastierende Gestaltungsmerkmale zonieren das „student:inn“
             dort am „Neckarknie“ ist ein Zeitzeuge aus dem Zweiten Weltkrieg zu finden, der Ro-
             sensteinbunker. In meiner Bachelorarbeit im Sommersemester 2021 – betreut durch  Zusätzlich zu den oberen Stockwerken, die dem Wohnen und der Unterkunft vorbehal-
             Prof. Andreas Kretzler, Prof. Thomas Hundt und Prof. Carsten Weigel – beschäftigte ich  ten sind, bieten die beiden Eingangsgeschosse mit kleiner Bar und Kiosk für Bewohne-
             mich mit der Umnutzung für diesen bereits seit 2016 aufgrund von Brandschutzmängeln  rinnen und Bewohner sowie externe Gäste Platz zum Entspannen und zur Zusammen-
             leerstehenden Schutzbau. In seiner ursprünglichen Nutzung bot der Rosensteinbunker  kunft. Der Außenbereich ist additiv so gestaltet, dass er erhöhte Aufenthaltsqualität er-
             ab 1942, als einer von insgesamt 20 Stuttgarter Hochbunkern, Zuflucht für 1.470 Men-  hält und somit zum neuen Gesamtbild des Neckarufers beiträgt. In den bewusst in ihrer
             schen. Auf seinem Dach war ursprünglich eine Flakstellung vorgesehen. Nach Ende des  rohen Anmutung belassenen und schlicht gestalteten Zimmern bleibt der Charme des
             Krieges bis ins Jahr 1947 diente der Schutzbau noch der Unterbringung von Geflüchteten  Bunkers erhalten. Die Ausstattung der acht Quadratmeter großen Zimmer ist auf das
             und Evakuierten. Aufgrund der angespannten Hotelsituation in Stuttgart Ende der  Wesentliche reduziert – auch in der Farb- und Materialwahl spiegelt sich dieser Ent-
             1940er-Jahre wurde der Rosensteinbunker erstmals als Hotel mit Gastronomie umge-  wurfsgedanke wider. Durch jeweils drei kleine, kreisrunde Öffnungen fällt Licht durch
             nutzt. Fußballer Edmund Conen eröffnete am 16. August 1948 dort sein Turmhotel mit  die meterdicken Wände, was eine besondere Atmosphäre in den Hotelzimmern erzeugt.
             42 Betten und einem kleinen Restaurant. Nachdem auch Conens Nachfolger 1952 das  Die Gemeinschaftsbereiche des Studierendenhotels bilden den gestalterischen Gegen-
             Hotel an der Rosensteinbrücke aufgab, endete die gastronomische Nutzung. Ab den  pol zu den privaten Zimmern und wirken durch ihre farbenfrohe Aufmachung und Groß-
             1970er-Jahren wurde der Bunker von verschiedenen regional und national bekannten  zügigkeit der Räumlichkeiten einladend. Mit warmen Farben, Seekiefer-Einbauten und
             Rockbands als Probenraum angemietet und bespielt. Anknüpfend an die frühere Nut-  weichen Textilien wird ein starker Kontrast zum rauen Beton gesetzt. Ziel der beiden
             zung als Gastronomiegewerbe sollte meinem Entwurf nach nicht einfach nur ein Hotel  konträren Atmosphären ist die Verlagerung des Aufenthalts in die Gemeinschaftsberei-
             entstehen, sondern ein Begegnungs- und Wohnort. Das Angebot richtet sich insbeson-  che. Ein Highlight ist dabei die großzügige Sitztreppe, die die beiden Eingangsgeschosse
             dere an Studierende und junge Menschen, aber auch an alle Bürgerinnen und Bürger  miteinander verbindet und gleichzeitig zum gesellschaftlichen Leben beiträgt. Sie bildet
             der Stadt Stuttgart. Steigende Mieten, Leerstand und Landflucht sind nur einige Fakto-  einen Dreh- und Angelpunkt im öffentlichen Teil des Gebäudes und schafft durch die
             ren, die die Situation am Wohnungsmarkt für viele Bevölkerungsschichten zusätzlich er-  Galeriesituation eine neue kommunikative Großzügigkeit im Raum.

                                                                                                                           AIT 3.2022 • 037
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