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WOHNEN • LIVING
WOHNHAUS OS66.1
IN STUTTGART
Entwurf • Design g2o Architekten, Stuttgart
Triste 1950er-Jahre-Nachkriegsarchitektur kennzeichnet das Wohn -
haus in der Olgastraße 66 in Stuttgart-Mitte. Kaum jemand würde
vermuten, dass ausgerechnet der Hinterhof mit einem architektoni-
schen Highlight aufwartet. g2o Architekten haben dort ein typi-
sches Werk statt- und Wohnhaus aus den 1930er-Jahren aufgestockt
und zum attraktiven Wohn- und Bürogebäude umgewandelt.
von • by Annette Weckesser
W ie ein Monolith steht der Baukörper im Hinterhof. Hellgrau verputzte Fassaden
gehen nahtlos in kunststoffbeschichtete, skulptural verformte Wand- und Dach -
flächen im selben Farbton über. Bündig sitzen die Fenster in der Fassade. Die filigrane,
außen liegende Stahltreppe wirkt wie eine kleine Nebenskulptur. g2o Architekten –
Michele Grazzini und Stephan Obermaier – entwarfen das Wohn- und Bürohaus im
Auftrag von Obermaiers Vater Hans-Peter. Von außen könnte man es für einen Neubau
halten. Erst innen, im Erdgeschoss, wo die Architekten ihr Büro bezogen, verweisen
rohe, alte Backsteinwände auf den Bestand. Das in den 1930er-Jahren erbaute,
unscheinbare dreigeschossige Gewerbe-, Büro- und Wohnhaus eines Modelleisen bahn -
bauers stand zuletzt einige Jahre leer. g2o Architekten erhielten die Genehmigung, sel-
biges aufzustocken und entschieden sich für eine Stahl-Holz-Konstruktion. Der
Bebauungsplan erlaubte drei Vollgeschosse und ein Dach. Im Norden steht das
Gebäude auf der Grundstücksgrenze zum Nachbarn, städtebauliche Regeln von 1935,
Abstandsflächen und Dachformen, waren einzuhalten und führten zur expressiven
Geometrie des Daches auf der südwestlichen Gebäudeseite. Insgesamt entstanden
475 Quadratmeter Wohnfläche im heiß umkämpften Stuttgarter Wohnungsmarkt, und
das in begehrtester Innenstadtlage. Im Untergeschoss gibt es zwei Einlieger wohnungen.
Das erste Obergeschoss bezog Stephan Obermaier mit seiner Familie, die Dach -
geschoss-Maisonette-Wohnung sein Vater. In diesen beiden Wohnungen und im Büro
sorgen Zementestrichböden für homogene, großzügige Flächen. In der Wohnung des
Architekten separiert eine lange, doppelt tiefe und zweiseitig nutzbare Schrank wand
den offenen, lichtdurchfluteten Wohnbereich von Schlafzimmer, Bad und Kinder -
zimmer. In der Maisonette-Wohnung darüber bieten großformatige Fenster eine gran-
diose Aussicht auf Stuttgart. Wenn Beispiele wie dieses und der Schlosserhof von
InteriorPark (siehe AIT 7/8.2018) Schule machen, könnte das der Beginn einer neuen
Stuttgarter Hinterhof-Baukultur sein – ganz im Sinne der städtischen Nachverdichtung.
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