Eine Frage an…

Als Vorgeschmack auf das Vortragsforum, das Sie während der Messe Heimtextil an drei Tagen erwartet, sind wir bereits im Vorfeld mit einigen Referenten und der Messe in Frankfurt in Dialog getreten und haben Sie zu den Vortragsthemen – Customization, Care Spaces und innovative Hotelkonzepte – befragt.
Erich Bernhard des Wiener Büros BWM Architekten und Oliver Thill von Atelier Kempe Thill aus Rotterdam sowie Sabine Scharrer der Messe Frankfurt haben sich unseren Fragen gestellt.

Die 2018 erstmals stattfindende Interior.Architecture.Hospitality Expo ist das neue Ausstellungsformat für den Objektbereich in der Halle 4.2. Im ersten Jahr präsentieren die Expo-Aussteller ihre Produkte rund um das Thema „customized“. Dort geht es vor allem um individuelle und kundenorientierte Lösungen aus dem Bereich Interior Design, Architektur und Hotelausstattung. Warum ist das Themenfeld „customized“ besonders für den Bereich Textil ein spannendes Thema?

Erich Bernard, BWM Architekten, AT-Wien:
Textile Flächen wie Teppichboden Vorhänge, Tapeten oder Bezüge von Polstermöbeln sind räumlich dominante Elemente, bei denen durch eine spezifische Gestaltung sehr leicht eine starke Veränderung und Individualisierung der Raumwirkung hervorgerufen werden kann. Im Gegensatz zur Hardware-Elementen wie Fliesen, Holzböden oder auch Einbaumöbeln, die stets als Investition über einen langen Zeitraum gedacht werden, unterliegen die Textilien in der Hospitality einem kürzeren Veränderungs-Rhythmus und sind somit auch jene Teile die bei einem Refurbishment eine zentrale Rolle spielen.

Sabine Scharrer, Leiterin Heimtextil, Messe Frankfurt
Customized, also genau auf den Bedarf des Kunden bzw. die Anforderungen des Projekts zugeschnittene Lösungen erfordern eine große Flexibilität des verwendeten Materials. Bei all den festen Vorgaben in der Objektplanung, sei es im Hinblick auf Brandschutz, baulichen Vorgaben, Wirtschaftlichkeit, Terminplanung oder ähnliches, bietet Textil unter den in Frage kommenden Materialien die größtmögliche Schnittmenge mit weichen Faktoren wie Ästhetik, Haptik aber auch Nachhaltigkeit und Modularität. Es ist ein flexibles Material, das Raum für Individualität und Veränderung lässt.

Auch der erste Vortragstag steht unter dem Leitthema „Customization“. Ob im Bereich der Mode, der Konsumgüter, der digitalen Medien oder der Autoindustrie – auch in der Architektur, der Innenraumgestaltung und dem Produktdesign ist die Individualisierung der Megatrend. In welchen Bereichen sehen Sie das meiste Potenzial für die individualisierte Gestaltung und welche neuen, beispielsweise auch technischen Prozesse schaffen hier neue Möglichkeiten?

Sabine Scharrer, Leiterin Heimtextil, Messe Frankfurt
Der Megatrend Individualisierung zieht sich auch durch die verschiedenen Bereiche unserer Textilmessen. Ganz wesentlich zeigt sich dies auch beim Digitaldruck. Dort beobachten wir seit Jahren einen Boom, an dem der wachsende Bedarf nach individualisierter Gestaltung einen großen Anteil hat. Der digitale Textildruck eröffnet ungeahnte Möglichkeiten, etwa durch die digitale Vernetzung der automatisierten Prozesse individualisierte Produkte wettbewerbsfähig, regional und bedarfsgerecht zu produzieren sowie zügig auf Trends zu reagieren.

Erich Bernard, BWM Architekten, AT-Wien:
Es ist vor allem der Einzug der CAD Technologie in Druck- Färbe- und Webtechnik, die bei der individuellen Gestaltung von Textilien, Teppichen oder Tapeten völlig neue Möglichkeiten bietet. Teppiche von Foyers, Zimmern und Korridoren können sich nun ebenso wie Wand- oder Möbeloberflächen nach der übergeordneten spezifischen Gestaltungskonzeption richten und nicht umgekehrt, so wie in der Zeit als man die Gestaltungsidee auf ein verhältnismäßig überschaubares Angebot auf dem Markt ausrichten musste.

Die Vorträge am Mittwoch widmen sich dem Thema „Care Spaces – neue Formen des Wohnens“. In Zeiten des demografischen Wandels und der Individualisierung der Gesellschaft ist die Notwendigkeit in den Vordergrund getreten, die Bedürfnisse der Generation Silber zu erkennen und auf diese architektonisch einzugehen. Wohngemeinschaften für das Dritte Lebensalters, betreutes und altersgerechtes Wohnen in den urbanen Zentren, Bauprojekten für generationenübergreifendes Wohnen rücken seit einigen Jahren stärker in den Fokus. Welche Chancen ermöglichen neue Wohnkonzepte für mehrere Generationen und welche Strategien und Möglichkeiten bietet die Architektur in der Auseinandersetzung?

Oliver Thill, Atelier Kempe Thill, NL-Rotterdam
Wir gehen davon aus, das sowohl der radikale demographische als auch soziale Wandel weitreichende Folgen für Architektur und Städtebau in Europa haben wird. Mit dem Wegfallen der Kernfamilie als treibender Faktor der Wohnungsbauentwicklung entstehen völlig neue Wohngrundrisse, Gebäude- und Wohnformen. Unsere zukünftigen Städte werden wirklich anders aussehen.
Der Wohnungsbau wird einerseits stehts privater, da stets weniger Menschen in den Haushalten wohnen. D.h. konkret werden immer öfter Wohnungen abgefragt, die ohne abgeschlossene Gänge, Küchen und Bäder auskommen. Das Loft wird also stets mehr Wohnrealitiät. Auch wohnen wir immer kompakter und städtischer, dh. die Wohnungen werden tendenziell wieder kleiner. Trotzdem wollen wir nicht auf suburbane Qualitäten verzichten. Wohnungen erhalten daher immer größerer Balkone und Gemeinschaftsgärten, auch die Architektur wird visuell grüner und “landschaftlicher.”
Anderseits nimmt das Bedürfnis nach Kollektivität wieder zu.
Es entsteht eine Architektur des zunehmenden Teilens von Infrastruktur, aber auch eine Architektur die Gemeinschaft stimuliert und erst möglich macht. Eine wichtige Rolle spielen hierbei die Erschließung, die räumlich “aufgeladen” wird, grüne Außenräume und offene Zonen in den Erdgeschossen. Auch entstehen neue Formen des Gebäudemanagments.
Für die Entwicklung der Wohnarchitektur stellen wir zwei Phänomen fest. Auf der einen Seite müssen, die Gebäude vor allem flexibel sein, um sich an die zukünftigen Bedürfnisse anpassen zu können. Auf der anderen Seite wird die Wohnarchitektur wieder “öffentlicher”, da es einen wachsenden Bedarf an größeren Gemeinschaftsräumen innerhalb der Wohnanlagen gibt.

Der Donnerstag steht unter dem Motto Hotel. Neue, innovative und außergewöhnliche Hotelkonzepte sind in den Großstädten weltweit im Aufstreben. Besonders Zwischennutzungen und Umnutzungen von Bestandsimmobilien bieten Platz für kreative Ideen, wie Pop-Up-Hotels, Living Hotels und Themenhotels, abseits des Mainstreams. Welche neuen Impulse und welchen Mehrwert bieten diese neuen Hotelkonzepte für die Metropolen?

Erich Bernard, BWM Architekten, AT-Wien:
Ephemere Formen von Hospitality wie Pop-ups oder Zwischennutzungen sind aufgrund der verhältnismäßig hohen Investitionen, die für den ordnungsgemäßen Betrieb eines Hotels erforderlich sind seltener anzutreffen als Sonderformen wie Beispielsweise unser Grätzlhotel, bei dem leerstehende Geschäftslokale zu Hotelzimmern umgebaut wurden. Sonderformen von Hotels wie diese sind eine mögliche professionelle Antwort auf die Veränderung des Hotelmarktes durch AirBnB das die Sehnsucht der Gäste und Reisenden nach einem authentischen Erlebnis besser zu bedienen vermag als herkömmliche Hotels oder standardisierte Hotelketten. Wir als Architekten erleben daher ein Aufbrechen des konventionellen Hotelmarktes und dessen Standards, wobei Sonderformen und Pop-Ups wichtige Pionlier- und Experimentierfelder sind, die zeigen was eigentlich alles gedacht werden darf und kann.

Sabine Scharrer, Leiterin Heimtextil, Messe Frankfurt
Für viele Gäste bilden Hotels ein zweites Zuhause. Demzufolge haben sie auch höhere Ansprüche an Ihr Zuhause auf Zeit. Sie möchten, dass es mehr ist als eine reine Schlafstätte. Sie wollen sich damit identifizieren können, wollen ihren persönlichen Einrichtungsstil um sich haben. Manche wünschen sich einen Rückzugsort, einen Ruhepol, andere hätten vielleicht lieber einen geselligen Ausgleich, wünschen sich Austausch mit anderen Gästen und „Mitbewohnern“. So umfangreich die Bedürfnisse der Hotelgäste sind, so vielfältig sind die Chancen für neue Hotelkonzepte und deren angrenzende Dienstleister. Daraus können sich noch viele spannende Projekte entwickeln – Wohn- und Objekttextilien bieten dabei in jedem Fall den passenden Rahmen.

Besonders bei der Umsetzung individuell gestalteter Hotelkonzepte, ist ein außergewöhnliches Interieur, das auch unterschiedliche Textilien einbezieht, ausschlaggebend. Welche Trends sind hier zu beobachten?

Erich Bernard, BWM Architekten, AT-Wien:
Der Hotelmarkt bewegt sich ganz allgemein in die Richtung individualisierter Konzepte, betrieblich, inhaltlich und gestalterisch, um so nicht auf den Preiskampf reduziert zu werden. Das kommt wiederum den Gästen zugute, die nun mehr Erlebnis geboten bekommen, als einfach nur die Abdeckung der Grundbedürfnisse des Reisens wie zum Beispiel, Schlafen Essen, Trinken, Sicherheit oder Sauberkeit…
Mit der Entwicklung der Hotels verändert sich auch die Erwartungshaltung der Gäste. Der Anspruch auf besondere Erlebnisse, besondere Orte oder auch besondere Authentizität, erfordert auch vom Interieur der Hotels besondere Gestaltung. Noch mehr als früher wird das Hotel als Wohn- und Esszimmer in einer anderen Stadt begriffen und auch so behandelt. Der alte Logoteppich, der sich oft von der Lobby bis ins Zimmer zog – möglichst unempfindlich gefärbt – hat ausgedient. Es geht jetzt darum in einem Haus viele unterschiedliche Orte zu schaffen, wie in den eigenen vier Wänden zuhause. Cosyness steht visuell im Vordergrund und nicht mehr eine aufdringlich sichtbare Funktionalität. Weiche Materialien, Velvet, besondere Farben und Muster machen das Hotel zu einem wohnlichen Ort der so ist wie man eigentlich das eigene Zuhause gerne hätte.


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